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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.

ein Verwaltungspostcn oder gar eine Sineeure sein sollte. In der That: kaum
hatte der neue "Intendant" seine Stellung angetreten, so war auch schon von
Meiningen zu hören. Die Hofkapelle führte unter Leitung Vülvws eine Reihe
von Konzerten ans, i" denen lediglich Kompositionen von Beethoven vorgetragen
wurden: die Sinfonien alle nenn, und um sie herum noch etliche Ouvertüren
und Konzertstücke des großen Ludwig. Bülow hatte schon als Pianist seine
Programme gern instruktiv im höheren Sinne angelegt und in den Konzerten
praktisch Musikgeschichte dvzirt. Jetzt übertrug er diese Methode auch aufs
Orchester. Sie ist ja nicht seine Spezialerfindnng, sondern alt und oft erprobt.
Sie erfordert nur leider bei den Konzertvorständen und beim Publikum zuviel
Bildung, um die allgemeine oder auch mir häufig gebräuchliche sein zu können.
Wer die treffliche Kvnzertumschau des "Musikalischen Wochenblatts" verfolgt,
wird wissen, daß ab und zu doch einzelne Dirigenten auf "historische Konzerte"
und ähnliche gute Ideen kommeu. Nur ist der Unterschied der: bringt ein ein¬
facher Herr Müller, Schmidt oder Schulze die neun Sinfonien von Beethoven,
so erfahren und sagen die öffentlichen Blätter nichts davon; Herr von Bülow
aber kaun sich nicht an einen Fingernagel stoßen, ohne daß unsre Zeitungen
darüber Notizen bringen.

Die Beethovenaufführnngen lockten manchen Musikfreund nach Meiningen.
Zu den Sonntagskonzerten richteten die Bahnen Extraznge ein, welche von der
nächsten Umgegend her fleißig benutzt wurden. Auch Leipziger und Berliner
machten sich auf, zu sehen und zu hören. Nun kam aber die Hauptsache. Was
sonst "ur bei Privatorchestern untergeordneter Natur Sitte war, das that jetzt
die Hofkapelle. Sie ging auf Reisen. Im ersten Winter von Bülows Amti-
rung beschränkten sich diese Ausflüge auf thüringische, fränkische und sächsische
Städte, von denen Nürnberg und Halle die künstlerisch und numerisch bedeu¬
tendsten waren. In der folgenden Saison aber, der jetzt eben verlaufenden,
zogen die musikalischen Meiningcr ihre Kreise weiter bis in den entlegnen
Norden. Sie suchten Hamburg, Bremen und Kiel auf, und sie verweilten an
den Hnupsitzen des musikalischen Lebens, in Berlin und Leipzig. Damit ist
offen ausgesprochen, daß die Meininger Hofkapelle in der öffentlichen Musik¬
pflege Deutschlands eine besondre Mission übernehmen, daß sie mit ihren Auf-
fühnuigen etwas bieten will, was andre Orchester cntwender durchaus oder
zuweilen vermissen lassen.

Diese Mission hat zwei Teile. Der eine, der sich auf die Programme
der Konzerte bezieht, wurde schon oben berührt. Wer es versteht, kann dnrch
die bloße Auswahl und Zusammenstellung der Werke das Publikum belehren,
heben und erziehen. Und Bülow versteht dies und folgt dem Prinzipe vor¬
urteilslos, selbständig und konsequent. Der andre Teil betrifft die Ausführung
der Orchcsterkvmvvsitionen. Das Ziel, welches die Meininger auf diesem Ge¬
biete sich gestellt haben und welches sie erreichen, ist Klarheit in der Wieder-


Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.

ein Verwaltungspostcn oder gar eine Sineeure sein sollte. In der That: kaum
hatte der neue „Intendant" seine Stellung angetreten, so war auch schon von
Meiningen zu hören. Die Hofkapelle führte unter Leitung Vülvws eine Reihe
von Konzerten ans, i» denen lediglich Kompositionen von Beethoven vorgetragen
wurden: die Sinfonien alle nenn, und um sie herum noch etliche Ouvertüren
und Konzertstücke des großen Ludwig. Bülow hatte schon als Pianist seine
Programme gern instruktiv im höheren Sinne angelegt und in den Konzerten
praktisch Musikgeschichte dvzirt. Jetzt übertrug er diese Methode auch aufs
Orchester. Sie ist ja nicht seine Spezialerfindnng, sondern alt und oft erprobt.
Sie erfordert nur leider bei den Konzertvorständen und beim Publikum zuviel
Bildung, um die allgemeine oder auch mir häufig gebräuchliche sein zu können.
Wer die treffliche Kvnzertumschau des „Musikalischen Wochenblatts" verfolgt,
wird wissen, daß ab und zu doch einzelne Dirigenten auf „historische Konzerte"
und ähnliche gute Ideen kommeu. Nur ist der Unterschied der: bringt ein ein¬
facher Herr Müller, Schmidt oder Schulze die neun Sinfonien von Beethoven,
so erfahren und sagen die öffentlichen Blätter nichts davon; Herr von Bülow
aber kaun sich nicht an einen Fingernagel stoßen, ohne daß unsre Zeitungen
darüber Notizen bringen.

Die Beethovenaufführnngen lockten manchen Musikfreund nach Meiningen.
Zu den Sonntagskonzerten richteten die Bahnen Extraznge ein, welche von der
nächsten Umgegend her fleißig benutzt wurden. Auch Leipziger und Berliner
machten sich auf, zu sehen und zu hören. Nun kam aber die Hauptsache. Was
sonst »ur bei Privatorchestern untergeordneter Natur Sitte war, das that jetzt
die Hofkapelle. Sie ging auf Reisen. Im ersten Winter von Bülows Amti-
rung beschränkten sich diese Ausflüge auf thüringische, fränkische und sächsische
Städte, von denen Nürnberg und Halle die künstlerisch und numerisch bedeu¬
tendsten waren. In der folgenden Saison aber, der jetzt eben verlaufenden,
zogen die musikalischen Meiningcr ihre Kreise weiter bis in den entlegnen
Norden. Sie suchten Hamburg, Bremen und Kiel auf, und sie verweilten an
den Hnupsitzen des musikalischen Lebens, in Berlin und Leipzig. Damit ist
offen ausgesprochen, daß die Meininger Hofkapelle in der öffentlichen Musik¬
pflege Deutschlands eine besondre Mission übernehmen, daß sie mit ihren Auf-
fühnuigen etwas bieten will, was andre Orchester cntwender durchaus oder
zuweilen vermissen lassen.

Diese Mission hat zwei Teile. Der eine, der sich auf die Programme
der Konzerte bezieht, wurde schon oben berührt. Wer es versteht, kann dnrch
die bloße Auswahl und Zusammenstellung der Werke das Publikum belehren,
heben und erziehen. Und Bülow versteht dies und folgt dem Prinzipe vor¬
urteilslos, selbständig und konsequent. Der andre Teil betrifft die Ausführung
der Orchcsterkvmvvsitionen. Das Ziel, welches die Meininger auf diesem Ge¬
biete sich gestellt haben und welches sie erreichen, ist Klarheit in der Wieder-


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[0517] Gin Abend bei den musikalischen Meiningern. ein Verwaltungspostcn oder gar eine Sineeure sein sollte. In der That: kaum hatte der neue „Intendant" seine Stellung angetreten, so war auch schon von Meiningen zu hören. Die Hofkapelle führte unter Leitung Vülvws eine Reihe von Konzerten ans, i» denen lediglich Kompositionen von Beethoven vorgetragen wurden: die Sinfonien alle nenn, und um sie herum noch etliche Ouvertüren und Konzertstücke des großen Ludwig. Bülow hatte schon als Pianist seine Programme gern instruktiv im höheren Sinne angelegt und in den Konzerten praktisch Musikgeschichte dvzirt. Jetzt übertrug er diese Methode auch aufs Orchester. Sie ist ja nicht seine Spezialerfindnng, sondern alt und oft erprobt. Sie erfordert nur leider bei den Konzertvorständen und beim Publikum zuviel Bildung, um die allgemeine oder auch mir häufig gebräuchliche sein zu können. Wer die treffliche Kvnzertumschau des „Musikalischen Wochenblatts" verfolgt, wird wissen, daß ab und zu doch einzelne Dirigenten auf „historische Konzerte" und ähnliche gute Ideen kommeu. Nur ist der Unterschied der: bringt ein ein¬ facher Herr Müller, Schmidt oder Schulze die neun Sinfonien von Beethoven, so erfahren und sagen die öffentlichen Blätter nichts davon; Herr von Bülow aber kaun sich nicht an einen Fingernagel stoßen, ohne daß unsre Zeitungen darüber Notizen bringen. Die Beethovenaufführnngen lockten manchen Musikfreund nach Meiningen. Zu den Sonntagskonzerten richteten die Bahnen Extraznge ein, welche von der nächsten Umgegend her fleißig benutzt wurden. Auch Leipziger und Berliner machten sich auf, zu sehen und zu hören. Nun kam aber die Hauptsache. Was sonst »ur bei Privatorchestern untergeordneter Natur Sitte war, das that jetzt die Hofkapelle. Sie ging auf Reisen. Im ersten Winter von Bülows Amti- rung beschränkten sich diese Ausflüge auf thüringische, fränkische und sächsische Städte, von denen Nürnberg und Halle die künstlerisch und numerisch bedeu¬ tendsten waren. In der folgenden Saison aber, der jetzt eben verlaufenden, zogen die musikalischen Meiningcr ihre Kreise weiter bis in den entlegnen Norden. Sie suchten Hamburg, Bremen und Kiel auf, und sie verweilten an den Hnupsitzen des musikalischen Lebens, in Berlin und Leipzig. Damit ist offen ausgesprochen, daß die Meininger Hofkapelle in der öffentlichen Musik¬ pflege Deutschlands eine besondre Mission übernehmen, daß sie mit ihren Auf- fühnuigen etwas bieten will, was andre Orchester cntwender durchaus oder zuweilen vermissen lassen. Diese Mission hat zwei Teile. Der eine, der sich auf die Programme der Konzerte bezieht, wurde schon oben berührt. Wer es versteht, kann dnrch die bloße Auswahl und Zusammenstellung der Werke das Publikum belehren, heben und erziehen. Und Bülow versteht dies und folgt dem Prinzipe vor¬ urteilslos, selbständig und konsequent. Der andre Teil betrifft die Ausführung der Orchcsterkvmvvsitionen. Das Ziel, welches die Meininger auf diesem Ge¬ biete sich gestellt haben und welches sie erreichen, ist Klarheit in der Wieder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/517>, abgerufen am 26.06.2024.