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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.

ich Würde für ungebildet augesehen werden," Sie sagte das aber doch
möglichst leise, damit nicht allzuviele Ohren ihre ketzerische Ansicht hörten.

Indessen der Umschwung wird sich unaufhaltsam vollziehen. Was Mode
ist, kommt auch aus der Mode; und in der Regel erscheinen uns später die
früheren Moden unsäglich abgeschmackt. Herr Ebers selbst trägt redlich dazu
bei, daß das Publikum seiner überdrüssig werde. Mit seinem Idyll "Eine Frage"
hat er einen entschiedenen Mißerfolg erlitten; das Büchlein hat nnr zwei Auf¬
lagen erlebt, und über seine tödliche Langweiligkeit ist allerseits ein achtungs-
volles Stillschweigen beobachtet worden. Mit der "Frau Vürgemeisterin" hat
sich Herr Ebers gar auf ein Gebiet gewagt, wo er nicht heimisch ist, und wo
sein Hauptfehler, die rücksichtslose Modernisirung der Gedanken- und Gefühls¬
welt seiner Gestalten und zum Teil sogar der Zustände umsomehr auffällt, weil
er geradezu zu einer Geschichtsfälschnug geworden ist, über die alle Fülle chroni¬
kalischen, kunsthistorischen, kunstgewerblichen Kleinkrams nicht hinweghilft. Zu¬
dem ist die Fabel unzulänglich, nicht genügend durchgearbeitet und ausgefeilt,
das Ganze nicht einmal spannend geschrieben. Und so erhebt sich hier weder
das Wollen noch das Können zu der Höhe, die man bei einem Manne voraus¬
setzt, der unter den ersten Romanschriftstellern der Gegenwart genannt zu werden
pflegt -- nicht einmal zu der Höhe, die Herr Ebers in seinen früheren Werken
erreicht hat. Das Buch macht den Eindruck -- mit Bedauern sprechen wir es
aus --, als ob es nicht mehr der "Geist" wäre, der den Verfasser zur Pro¬
duktion treibt, soudern als ob er andern, irdischeren Mächten verfallen wäre.
Diese aber ziehen herab, den Schriftsteller und seine Werke.




Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.

le man im Englischen zwischen "Ich danke -- ja" und "Ich danke --
nein" unterscheidet, so muß man seit kurzem, wenn man von den
Meiningern spricht, vorausschicke", ob man die theatralischen oder
die musikalischen Meininger meint. Die Schanspielgcsellschast
Sr. Hoheit des Herzogs von Meiningen ist seit Jahren eine Be¬
rühmtheit und ein Muster; bald wird es auch die Hofkapelle desselben: Fürsten sein.

Als vor ungefähr zwei Jahren Hans von Bülow, eben in Hannover frei
geworden, nach Meiningen als "Intendant der Hofkapelle" berufe" wurde, da
war es leicht vorauszusehen, daß nun die Musikwelt von der lieblichen "Harfen¬
stadt an der Werra" etwas Außerordentliches zu erwarten habe. Es sah dem
Herzoge nicht ähnlich, und Herrn von Bülow ebensowenig, daß jene "Intendantur"


Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.

ich Würde für ungebildet augesehen werden," Sie sagte das aber doch
möglichst leise, damit nicht allzuviele Ohren ihre ketzerische Ansicht hörten.

Indessen der Umschwung wird sich unaufhaltsam vollziehen. Was Mode
ist, kommt auch aus der Mode; und in der Regel erscheinen uns später die
früheren Moden unsäglich abgeschmackt. Herr Ebers selbst trägt redlich dazu
bei, daß das Publikum seiner überdrüssig werde. Mit seinem Idyll „Eine Frage"
hat er einen entschiedenen Mißerfolg erlitten; das Büchlein hat nnr zwei Auf¬
lagen erlebt, und über seine tödliche Langweiligkeit ist allerseits ein achtungs-
volles Stillschweigen beobachtet worden. Mit der „Frau Vürgemeisterin" hat
sich Herr Ebers gar auf ein Gebiet gewagt, wo er nicht heimisch ist, und wo
sein Hauptfehler, die rücksichtslose Modernisirung der Gedanken- und Gefühls¬
welt seiner Gestalten und zum Teil sogar der Zustände umsomehr auffällt, weil
er geradezu zu einer Geschichtsfälschnug geworden ist, über die alle Fülle chroni¬
kalischen, kunsthistorischen, kunstgewerblichen Kleinkrams nicht hinweghilft. Zu¬
dem ist die Fabel unzulänglich, nicht genügend durchgearbeitet und ausgefeilt,
das Ganze nicht einmal spannend geschrieben. Und so erhebt sich hier weder
das Wollen noch das Können zu der Höhe, die man bei einem Manne voraus¬
setzt, der unter den ersten Romanschriftstellern der Gegenwart genannt zu werden
pflegt — nicht einmal zu der Höhe, die Herr Ebers in seinen früheren Werken
erreicht hat. Das Buch macht den Eindruck — mit Bedauern sprechen wir es
aus —, als ob es nicht mehr der „Geist" wäre, der den Verfasser zur Pro¬
duktion treibt, soudern als ob er andern, irdischeren Mächten verfallen wäre.
Diese aber ziehen herab, den Schriftsteller und seine Werke.




Gin Abend bei den musikalischen Meiningern.

le man im Englischen zwischen „Ich danke — ja" und „Ich danke —
nein" unterscheidet, so muß man seit kurzem, wenn man von den
Meiningern spricht, vorausschicke», ob man die theatralischen oder
die musikalischen Meininger meint. Die Schanspielgcsellschast
Sr. Hoheit des Herzogs von Meiningen ist seit Jahren eine Be¬
rühmtheit und ein Muster; bald wird es auch die Hofkapelle desselben: Fürsten sein.

Als vor ungefähr zwei Jahren Hans von Bülow, eben in Hannover frei
geworden, nach Meiningen als „Intendant der Hofkapelle" berufe» wurde, da
war es leicht vorauszusehen, daß nun die Musikwelt von der lieblichen „Harfen¬
stadt an der Werra" etwas Außerordentliches zu erwarten habe. Es sah dem
Herzoge nicht ähnlich, und Herrn von Bülow ebensowenig, daß jene „Intendantur"


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[0516] Gin Abend bei den musikalischen Meiningern. ich Würde für ungebildet augesehen werden," Sie sagte das aber doch möglichst leise, damit nicht allzuviele Ohren ihre ketzerische Ansicht hörten. Indessen der Umschwung wird sich unaufhaltsam vollziehen. Was Mode ist, kommt auch aus der Mode; und in der Regel erscheinen uns später die früheren Moden unsäglich abgeschmackt. Herr Ebers selbst trägt redlich dazu bei, daß das Publikum seiner überdrüssig werde. Mit seinem Idyll „Eine Frage" hat er einen entschiedenen Mißerfolg erlitten; das Büchlein hat nnr zwei Auf¬ lagen erlebt, und über seine tödliche Langweiligkeit ist allerseits ein achtungs- volles Stillschweigen beobachtet worden. Mit der „Frau Vürgemeisterin" hat sich Herr Ebers gar auf ein Gebiet gewagt, wo er nicht heimisch ist, und wo sein Hauptfehler, die rücksichtslose Modernisirung der Gedanken- und Gefühls¬ welt seiner Gestalten und zum Teil sogar der Zustände umsomehr auffällt, weil er geradezu zu einer Geschichtsfälschnug geworden ist, über die alle Fülle chroni¬ kalischen, kunsthistorischen, kunstgewerblichen Kleinkrams nicht hinweghilft. Zu¬ dem ist die Fabel unzulänglich, nicht genügend durchgearbeitet und ausgefeilt, das Ganze nicht einmal spannend geschrieben. Und so erhebt sich hier weder das Wollen noch das Können zu der Höhe, die man bei einem Manne voraus¬ setzt, der unter den ersten Romanschriftstellern der Gegenwart genannt zu werden pflegt — nicht einmal zu der Höhe, die Herr Ebers in seinen früheren Werken erreicht hat. Das Buch macht den Eindruck — mit Bedauern sprechen wir es aus —, als ob es nicht mehr der „Geist" wäre, der den Verfasser zur Pro¬ duktion treibt, soudern als ob er andern, irdischeren Mächten verfallen wäre. Diese aber ziehen herab, den Schriftsteller und seine Werke. Gin Abend bei den musikalischen Meiningern. le man im Englischen zwischen „Ich danke — ja" und „Ich danke — nein" unterscheidet, so muß man seit kurzem, wenn man von den Meiningern spricht, vorausschicke», ob man die theatralischen oder die musikalischen Meininger meint. Die Schanspielgcsellschast Sr. Hoheit des Herzogs von Meiningen ist seit Jahren eine Be¬ rühmtheit und ein Muster; bald wird es auch die Hofkapelle desselben: Fürsten sein. Als vor ungefähr zwei Jahren Hans von Bülow, eben in Hannover frei geworden, nach Meiningen als „Intendant der Hofkapelle" berufe» wurde, da war es leicht vorauszusehen, daß nun die Musikwelt von der lieblichen „Harfen¬ stadt an der Werra" etwas Außerordentliches zu erwarten habe. Es sah dem Herzoge nicht ähnlich, und Herrn von Bülow ebensowenig, daß jene „Intendantur"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/516>, abgerufen am 26.06.2024.