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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Frau Bürgemeisterin.

Und dieses Buch, das in der Fabel dürftig, in der Ausführung breit, im
historischen Charakter vergriffen und verfehlt ist, dieses durchaus mittelmäßige
und nicht im geringsten spannende, ja sagen wir's gerade heraus: dieses lang¬
weilige Buch hatte zu Weihnachten bereits neun Auflagen erlebt! Wie i" aller
Welt ist so etwas möglich? Irgendwelche Vorzüge haben dem Buche die vielen
Käufer nicht verschafft; denn selbst solche vorausgesetzt, so hätten sie doch bis
dahin nicht so allgemein bekannt sein können. Nein, die Sache ist einfach die:
Herr Ebers ist Mode -- oder wie es vielleicht bald heißen wird: Herr Ebers
war Mode.

Daß er in so hohem Grade Mode geworden ist, verdankt er einem glücklichen
Griff, der den Geschmack des Publikums traf, seiner weitherzigen Anschnunug
in Bezug auf historische Treue und seinem freilich in festgezogene Grenzen
gebannten Talente. Seine ersten eghptischen Romane hatten zunächst und vor
allem den Reiz der Neuheit für sich. Eine unbekannte Welt von eigenartiger
Natur sich durch kundige Hand im verklärenden Schimmer der Dichtung nahe¬
gerückt zu sehen, das reizte, und es reizte umsomehr, als in dieser unbekannten
Welt lauter bekannte Leute umherliefen, die sich zwar in egyptische, griechische,
römische Gewänder gehüllt hatten, aber weder verbergen konnten, noch verbergen
wollten, daß sie Fleisch von unserm Fleisch, hübsche brave Durchschnittsmenschen
des neunzehnten Jahrhunderts seien. Es war eine amüsante Maskerade, der
man mit Vergnügen beiwohnte. Man sah im fremden Gewände dieselben Leute,
über die man sich auch sonst freute, ärgerte oder empörte. Man reichte so voll¬
ständig mit dem Gedankenvorrate aus, mit dem man die Bedürfnisse des täglichen
Lebens befriedigt, man blieb so ganz in seiner Bequemlichkeit, und hatte doch
eine hübsche Abwechslung. Die Belehrung, die man sich in der "Ägyptischen
Königstochter" noch etwas unbequem aus den Anmerkungen holen mußte, wurde
dann mundgerechter mit der Romanfabel zugleich servirt und ging um so leichter
ein, da sie immer darauf hinauslief, daß eigentlich schon damals alles so ge¬
wesen sei wie jetzt, nur ein klein bischen anders. Die Romaufabel war nicht
schlechter als andre; wenn auch die Stärke des Herrn Ebers nicht gerade in
der Konzeption, in der Verwicklung nud in der psychologischen Vertiefung liegt,
so waren doch die Fabeln der ersten Romane, besonders Uarda. gut und sorg¬
fältig ausgeführt; hübsche Einzelheiten und sinnige Bemerkungen fesselten; vor
allem bot die Schilderung des Znständlichen, aller Vermutung nach aus voller
Kenntnis heraus und jedenfalls fesselnd geschrieben, so viele interessante Dinge,
es ergaben sich so überraschende Parallelen mit der Gegenwart, daß man sich
ausgezeichnet unterhielt.

Aber mit der Zeit wurde die Sache doch ein wenig ausgedehnt; mit der
Neuheit verlor sich der Reiz, denn ein paar Jahrhunderte ab und zu machten
für das große Publikum keinen Unterschied aus. Auch Herr Ebers hielt wohl
schließlich den Stoff für genügend ausgebeutet; sein "Kaiser" wurde ausdrücklich


Die Frau Bürgemeisterin.

Und dieses Buch, das in der Fabel dürftig, in der Ausführung breit, im
historischen Charakter vergriffen und verfehlt ist, dieses durchaus mittelmäßige
und nicht im geringsten spannende, ja sagen wir's gerade heraus: dieses lang¬
weilige Buch hatte zu Weihnachten bereits neun Auflagen erlebt! Wie i» aller
Welt ist so etwas möglich? Irgendwelche Vorzüge haben dem Buche die vielen
Käufer nicht verschafft; denn selbst solche vorausgesetzt, so hätten sie doch bis
dahin nicht so allgemein bekannt sein können. Nein, die Sache ist einfach die:
Herr Ebers ist Mode — oder wie es vielleicht bald heißen wird: Herr Ebers
war Mode.

Daß er in so hohem Grade Mode geworden ist, verdankt er einem glücklichen
Griff, der den Geschmack des Publikums traf, seiner weitherzigen Anschnunug
in Bezug auf historische Treue und seinem freilich in festgezogene Grenzen
gebannten Talente. Seine ersten eghptischen Romane hatten zunächst und vor
allem den Reiz der Neuheit für sich. Eine unbekannte Welt von eigenartiger
Natur sich durch kundige Hand im verklärenden Schimmer der Dichtung nahe¬
gerückt zu sehen, das reizte, und es reizte umsomehr, als in dieser unbekannten
Welt lauter bekannte Leute umherliefen, die sich zwar in egyptische, griechische,
römische Gewänder gehüllt hatten, aber weder verbergen konnten, noch verbergen
wollten, daß sie Fleisch von unserm Fleisch, hübsche brave Durchschnittsmenschen
des neunzehnten Jahrhunderts seien. Es war eine amüsante Maskerade, der
man mit Vergnügen beiwohnte. Man sah im fremden Gewände dieselben Leute,
über die man sich auch sonst freute, ärgerte oder empörte. Man reichte so voll¬
ständig mit dem Gedankenvorrate aus, mit dem man die Bedürfnisse des täglichen
Lebens befriedigt, man blieb so ganz in seiner Bequemlichkeit, und hatte doch
eine hübsche Abwechslung. Die Belehrung, die man sich in der „Ägyptischen
Königstochter" noch etwas unbequem aus den Anmerkungen holen mußte, wurde
dann mundgerechter mit der Romanfabel zugleich servirt und ging um so leichter
ein, da sie immer darauf hinauslief, daß eigentlich schon damals alles so ge¬
wesen sei wie jetzt, nur ein klein bischen anders. Die Romaufabel war nicht
schlechter als andre; wenn auch die Stärke des Herrn Ebers nicht gerade in
der Konzeption, in der Verwicklung nud in der psychologischen Vertiefung liegt,
so waren doch die Fabeln der ersten Romane, besonders Uarda. gut und sorg¬
fältig ausgeführt; hübsche Einzelheiten und sinnige Bemerkungen fesselten; vor
allem bot die Schilderung des Znständlichen, aller Vermutung nach aus voller
Kenntnis heraus und jedenfalls fesselnd geschrieben, so viele interessante Dinge,
es ergaben sich so überraschende Parallelen mit der Gegenwart, daß man sich
ausgezeichnet unterhielt.

Aber mit der Zeit wurde die Sache doch ein wenig ausgedehnt; mit der
Neuheit verlor sich der Reiz, denn ein paar Jahrhunderte ab und zu machten
für das große Publikum keinen Unterschied aus. Auch Herr Ebers hielt wohl
schließlich den Stoff für genügend ausgebeutet; sein „Kaiser" wurde ausdrücklich


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[0514] Die Frau Bürgemeisterin. Und dieses Buch, das in der Fabel dürftig, in der Ausführung breit, im historischen Charakter vergriffen und verfehlt ist, dieses durchaus mittelmäßige und nicht im geringsten spannende, ja sagen wir's gerade heraus: dieses lang¬ weilige Buch hatte zu Weihnachten bereits neun Auflagen erlebt! Wie i» aller Welt ist so etwas möglich? Irgendwelche Vorzüge haben dem Buche die vielen Käufer nicht verschafft; denn selbst solche vorausgesetzt, so hätten sie doch bis dahin nicht so allgemein bekannt sein können. Nein, die Sache ist einfach die: Herr Ebers ist Mode — oder wie es vielleicht bald heißen wird: Herr Ebers war Mode. Daß er in so hohem Grade Mode geworden ist, verdankt er einem glücklichen Griff, der den Geschmack des Publikums traf, seiner weitherzigen Anschnunug in Bezug auf historische Treue und seinem freilich in festgezogene Grenzen gebannten Talente. Seine ersten eghptischen Romane hatten zunächst und vor allem den Reiz der Neuheit für sich. Eine unbekannte Welt von eigenartiger Natur sich durch kundige Hand im verklärenden Schimmer der Dichtung nahe¬ gerückt zu sehen, das reizte, und es reizte umsomehr, als in dieser unbekannten Welt lauter bekannte Leute umherliefen, die sich zwar in egyptische, griechische, römische Gewänder gehüllt hatten, aber weder verbergen konnten, noch verbergen wollten, daß sie Fleisch von unserm Fleisch, hübsche brave Durchschnittsmenschen des neunzehnten Jahrhunderts seien. Es war eine amüsante Maskerade, der man mit Vergnügen beiwohnte. Man sah im fremden Gewände dieselben Leute, über die man sich auch sonst freute, ärgerte oder empörte. Man reichte so voll¬ ständig mit dem Gedankenvorrate aus, mit dem man die Bedürfnisse des täglichen Lebens befriedigt, man blieb so ganz in seiner Bequemlichkeit, und hatte doch eine hübsche Abwechslung. Die Belehrung, die man sich in der „Ägyptischen Königstochter" noch etwas unbequem aus den Anmerkungen holen mußte, wurde dann mundgerechter mit der Romanfabel zugleich servirt und ging um so leichter ein, da sie immer darauf hinauslief, daß eigentlich schon damals alles so ge¬ wesen sei wie jetzt, nur ein klein bischen anders. Die Romaufabel war nicht schlechter als andre; wenn auch die Stärke des Herrn Ebers nicht gerade in der Konzeption, in der Verwicklung nud in der psychologischen Vertiefung liegt, so waren doch die Fabeln der ersten Romane, besonders Uarda. gut und sorg¬ fältig ausgeführt; hübsche Einzelheiten und sinnige Bemerkungen fesselten; vor allem bot die Schilderung des Znständlichen, aller Vermutung nach aus voller Kenntnis heraus und jedenfalls fesselnd geschrieben, so viele interessante Dinge, es ergaben sich so überraschende Parallelen mit der Gegenwart, daß man sich ausgezeichnet unterhielt. Aber mit der Zeit wurde die Sache doch ein wenig ausgedehnt; mit der Neuheit verlor sich der Reiz, denn ein paar Jahrhunderte ab und zu machten für das große Publikum keinen Unterschied aus. Auch Herr Ebers hielt wohl schließlich den Stoff für genügend ausgebeutet; sein „Kaiser" wurde ausdrücklich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/514>, abgerufen am 26.06.2024.