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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Frau Bürgemeisterin.

liehen Beschreibung bedürften wie bei Freytag. Bei dem vereinzelten Vorkommen
solcher archaisirenden Wendungen wird natürlich der Zweck, dem Roman alter¬
tümliches Kolorit dnrch sie zu geben, ebensowenig erreicht wie durch die andern
schon charakterisirten Mittelchen.

Ist demnach der Roman als "historisch" im großen wie im kleinen als
mißlungen zu bezeichnen, was läßt sich anders über das Werk als Roman
schlechthin sagen? Nun, wir meinen, daß unser Urteil hierüber durch die bis¬
herigen Erörterungen schon so ziemlich gegeben sei. Die Anlage des Ganzen
ist durchaus verfehlt. Die eigentliche Fabel verschwindet gegenüber dem unge¬
bührlich in die Breite gehenden Beiwerk. Die Hanptfabel wird von der Neben¬
fabel, und beide zusammen von dem historischen Hintergrunde beiseite gedrängt
und fließt eigentlich nur tropfenweise. Es giebt ganze Kapitel, in denen für
die Haupthandlung so gut wie nichts geschieht, z. B. in der Schilderung des
Jahrmarkts. So kommen die einzelnen fesselnden Momente derselben nicht zur
Geltung. Daß sie deren hat, wer wollte das leugnen? Herr Ebers ist ja vor¬
zugsweise "ein sinniger Dichter." Lassen sich auch gegen die psychologische
Grundlage seines Romans begründete Einwendungen erheben, so bietet er uns
doch einzelne feine Züge, die den guten Beobachter verraten. Die verschie¬
denen Versuche Peters van der Werft z. B., seine Frau mit an der Sorge
für das Gemeinwohl teilnehmen zu lassen, die aber an der gezwungenen Absicht¬
lichkeit scheitern; die knabenhafte Neigung Adrians für die schöne Henrika, für
deren Befreiung vom Kopfschmerz dnrch das Mittel des Marktschreiers er das
ganze Jahrinarktsgeld opfert; die Art, wie der alte Doktor Bontius Frau Maria
zur Hilfeleistung bei der kranken Henrik" herbeiholt, dann aber durch seine ver¬
greifenden Bestimmungen ihr die Freude des Helfens zum guten Teile vor-
dirbt -- dies und manches andre ist sinnig erdacht und ansprechend geschildert.
Aber das bleiben Bruchstücke, Ansätze, die der Verarbeitung in den Zusammen¬
hang erst noch bedürften. So könnte der Doktor recht gut fördernd oder
hemmend in die Annäherung der Gatten eingreifen; so bleibt der Umstand, daß
Henrika die Liebe Georgs zu Maria bemerkt, ohne allen Einfluß, ebenso wie
Henrika's stille Neigung zu diesem keinen Knoten der Verwicklung Schürze. Kurz,
es fehlt auch hier die sorgfältige Durcharbeitung. Trotz allen hübschen Details
bleibt der Roman Flink- und Stückwerk! Und diesen Eindruck des Halbfertigen,
Unausgeglichenen, Uubefriedigenden hinterlassen endlich auch die einzelnen Gestalten.
Im gauzeu sind sie ja nicht übel gezeichnet. Freilich sind es meist keine besonders
scharf markirten Charaktere. Nur zwei haben einen wirklich originellen Anstrich: des
Bürgermeisters Schwester Barbara mit ihrer Spruchweisheit und der Fechtmeister
Allertssvhn mit seiner Suite von Quart, Terz und Seitcnseknnde und mit seiner
Seelenwanderungslehre. Aber der letztere weist eigentlich seine Berechtigung nicht
recht nach; der breiten Ausführung dieser mit sichtlicher Vorliebe geschilderten
Gestalt entspricht nicht ihre Bedeutung für die Entwicklung der Handlung.


Ärnizbvtt'N I. 1882, (!4
Die Frau Bürgemeisterin.

liehen Beschreibung bedürften wie bei Freytag. Bei dem vereinzelten Vorkommen
solcher archaisirenden Wendungen wird natürlich der Zweck, dem Roman alter¬
tümliches Kolorit dnrch sie zu geben, ebensowenig erreicht wie durch die andern
schon charakterisirten Mittelchen.

Ist demnach der Roman als „historisch" im großen wie im kleinen als
mißlungen zu bezeichnen, was läßt sich anders über das Werk als Roman
schlechthin sagen? Nun, wir meinen, daß unser Urteil hierüber durch die bis¬
herigen Erörterungen schon so ziemlich gegeben sei. Die Anlage des Ganzen
ist durchaus verfehlt. Die eigentliche Fabel verschwindet gegenüber dem unge¬
bührlich in die Breite gehenden Beiwerk. Die Hanptfabel wird von der Neben¬
fabel, und beide zusammen von dem historischen Hintergrunde beiseite gedrängt
und fließt eigentlich nur tropfenweise. Es giebt ganze Kapitel, in denen für
die Haupthandlung so gut wie nichts geschieht, z. B. in der Schilderung des
Jahrmarkts. So kommen die einzelnen fesselnden Momente derselben nicht zur
Geltung. Daß sie deren hat, wer wollte das leugnen? Herr Ebers ist ja vor¬
zugsweise „ein sinniger Dichter." Lassen sich auch gegen die psychologische
Grundlage seines Romans begründete Einwendungen erheben, so bietet er uns
doch einzelne feine Züge, die den guten Beobachter verraten. Die verschie¬
denen Versuche Peters van der Werft z. B., seine Frau mit an der Sorge
für das Gemeinwohl teilnehmen zu lassen, die aber an der gezwungenen Absicht¬
lichkeit scheitern; die knabenhafte Neigung Adrians für die schöne Henrika, für
deren Befreiung vom Kopfschmerz dnrch das Mittel des Marktschreiers er das
ganze Jahrinarktsgeld opfert; die Art, wie der alte Doktor Bontius Frau Maria
zur Hilfeleistung bei der kranken Henrik» herbeiholt, dann aber durch seine ver¬
greifenden Bestimmungen ihr die Freude des Helfens zum guten Teile vor-
dirbt — dies und manches andre ist sinnig erdacht und ansprechend geschildert.
Aber das bleiben Bruchstücke, Ansätze, die der Verarbeitung in den Zusammen¬
hang erst noch bedürften. So könnte der Doktor recht gut fördernd oder
hemmend in die Annäherung der Gatten eingreifen; so bleibt der Umstand, daß
Henrika die Liebe Georgs zu Maria bemerkt, ohne allen Einfluß, ebenso wie
Henrika's stille Neigung zu diesem keinen Knoten der Verwicklung Schürze. Kurz,
es fehlt auch hier die sorgfältige Durcharbeitung. Trotz allen hübschen Details
bleibt der Roman Flink- und Stückwerk! Und diesen Eindruck des Halbfertigen,
Unausgeglichenen, Uubefriedigenden hinterlassen endlich auch die einzelnen Gestalten.
Im gauzeu sind sie ja nicht übel gezeichnet. Freilich sind es meist keine besonders
scharf markirten Charaktere. Nur zwei haben einen wirklich originellen Anstrich: des
Bürgermeisters Schwester Barbara mit ihrer Spruchweisheit und der Fechtmeister
Allertssvhn mit seiner Suite von Quart, Terz und Seitcnseknnde und mit seiner
Seelenwanderungslehre. Aber der letztere weist eigentlich seine Berechtigung nicht
recht nach; der breiten Ausführung dieser mit sichtlicher Vorliebe geschilderten
Gestalt entspricht nicht ihre Bedeutung für die Entwicklung der Handlung.


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[0513] Die Frau Bürgemeisterin. liehen Beschreibung bedürften wie bei Freytag. Bei dem vereinzelten Vorkommen solcher archaisirenden Wendungen wird natürlich der Zweck, dem Roman alter¬ tümliches Kolorit dnrch sie zu geben, ebensowenig erreicht wie durch die andern schon charakterisirten Mittelchen. Ist demnach der Roman als „historisch" im großen wie im kleinen als mißlungen zu bezeichnen, was läßt sich anders über das Werk als Roman schlechthin sagen? Nun, wir meinen, daß unser Urteil hierüber durch die bis¬ herigen Erörterungen schon so ziemlich gegeben sei. Die Anlage des Ganzen ist durchaus verfehlt. Die eigentliche Fabel verschwindet gegenüber dem unge¬ bührlich in die Breite gehenden Beiwerk. Die Hanptfabel wird von der Neben¬ fabel, und beide zusammen von dem historischen Hintergrunde beiseite gedrängt und fließt eigentlich nur tropfenweise. Es giebt ganze Kapitel, in denen für die Haupthandlung so gut wie nichts geschieht, z. B. in der Schilderung des Jahrmarkts. So kommen die einzelnen fesselnden Momente derselben nicht zur Geltung. Daß sie deren hat, wer wollte das leugnen? Herr Ebers ist ja vor¬ zugsweise „ein sinniger Dichter." Lassen sich auch gegen die psychologische Grundlage seines Romans begründete Einwendungen erheben, so bietet er uns doch einzelne feine Züge, die den guten Beobachter verraten. Die verschie¬ denen Versuche Peters van der Werft z. B., seine Frau mit an der Sorge für das Gemeinwohl teilnehmen zu lassen, die aber an der gezwungenen Absicht¬ lichkeit scheitern; die knabenhafte Neigung Adrians für die schöne Henrika, für deren Befreiung vom Kopfschmerz dnrch das Mittel des Marktschreiers er das ganze Jahrinarktsgeld opfert; die Art, wie der alte Doktor Bontius Frau Maria zur Hilfeleistung bei der kranken Henrik» herbeiholt, dann aber durch seine ver¬ greifenden Bestimmungen ihr die Freude des Helfens zum guten Teile vor- dirbt — dies und manches andre ist sinnig erdacht und ansprechend geschildert. Aber das bleiben Bruchstücke, Ansätze, die der Verarbeitung in den Zusammen¬ hang erst noch bedürften. So könnte der Doktor recht gut fördernd oder hemmend in die Annäherung der Gatten eingreifen; so bleibt der Umstand, daß Henrika die Liebe Georgs zu Maria bemerkt, ohne allen Einfluß, ebenso wie Henrika's stille Neigung zu diesem keinen Knoten der Verwicklung Schürze. Kurz, es fehlt auch hier die sorgfältige Durcharbeitung. Trotz allen hübschen Details bleibt der Roman Flink- und Stückwerk! Und diesen Eindruck des Halbfertigen, Unausgeglichenen, Uubefriedigenden hinterlassen endlich auch die einzelnen Gestalten. Im gauzeu sind sie ja nicht übel gezeichnet. Freilich sind es meist keine besonders scharf markirten Charaktere. Nur zwei haben einen wirklich originellen Anstrich: des Bürgermeisters Schwester Barbara mit ihrer Spruchweisheit und der Fechtmeister Allertssvhn mit seiner Suite von Quart, Terz und Seitcnseknnde und mit seiner Seelenwanderungslehre. Aber der letztere weist eigentlich seine Berechtigung nicht recht nach; der breiten Ausführung dieser mit sichtlicher Vorliebe geschilderten Gestalt entspricht nicht ihre Bedeutung für die Entwicklung der Handlung. Ärnizbvtt'N I. 1882, (!4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/513>, abgerufen am 26.06.2024.