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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Frau Lnrgeim'ihter",

wohl die ältesten, als die jüngsten. Unter andern war da ein Junker van sechzehn
Jahren, Lenke" (kleiner Leu) genannt, der den Namen des Löwen mit Recht wohl
machte tragen; denn er hatte sich schau in der ersten Belagerung nicht wie ein
Junge, sondern wie ein Löwe gezeigt, was der Stadt Feinde zu Leydersdorp zu
ihrem Schaden mehr als sie wünschten erfahren hatte". Dieser vorbenannte
Lenken war darnach -- in einem Scharmützel im Grase liegend zum Knecht
gemacht und gefangen worden, und haben sie ihm zunächst Nase und Ohren ab¬
geschnitten und darnach an den Zehen aufgehängt -- dann haben sie nach ihm
geschossen, vorher aber von ihm und einem andern, den sie gefangen hatten,
viel von der Stadt Gelegenheit gehört." Dieser Knabe ist eine charakteristische
Figur für jene Zeiten, charakteristisch durch sein Thun und durch sein Leiden; aber
freilich nur ein Umriß, den der Dichter auszuführen hätte. Hören wir nun,
was dieser Leuten oder Löwing, wie ihn Herr Ebers in der niederdeutschen Form
nennt, im Roman für eine Rolle spielt. In der schon erwähnten Toleranzrede
sagt Herr van Hout: "In solcher Zeit gilt's Männer. Auch Knaben haben sich
tüchtig bewährt. Der Ulrich dort an eurer Spitze darf seinen Spitznamen Löwing
mit Ehren tragen." Und am Schlüsse der Rede heißt es: "Löwing, bleib zurück,
ich möchte dir etwas sagen." Diese ausdrückliche Erwähnung des Knaben und
mehr noch die besondre Anrufung und die in Aussicht gestellte Mitteilung machen
uns entschieden auf ihn aufmerksam, wir erwarten ein Eingreifen vou ihm in
die Handlung. Dies geschieht aber nicht. Nur einmal erfahren wir noch von
ihm: der junge Nikolaus Matenesse von Wibisma sagt (S. 421): "Aber mein
Vater denkt anders. Er hat den Mut, vou den Spaniern Gutes zu hoffen.
Von den Spaniern! Ich habe sie kenne" gelernt in diesen Monden! Einen
tapfern Lehdcncr Burschen, Ihr kanntet ihn wohl bei seinem Spitznamen "Löwing,"
den er wahrhaftig verdient hat, den nahmen sie im redlichen Kampfe gefangen,
und dann -- mir graust noch jetzt, wenn ich daran denke, dann haben sie ih"
aufgehängt mit dem Kopfe "ach unten und ihn zu Tode gemartert. Ich war
dabei u. s. w." Diese Sache giebt dann mit den Ausschlag, daß der katholische
Junker zu den Geusen geht. Das ist die ganze Verwertung dieser Notiz. Es
findet sich nichts darin, was nicht in der Chronik stünde.

So äußerlich aufgesetzte Flicken können uns für den Mangel der historischen
Treue in: Großen uicht entschädigen, vollends wenn sie, wie bei andern Gelegen¬
heiten, noch durch mvdernisirende Behandlung entstellt werden. Im Lager des
Valdez fand sich, als es den befreiten Lehdeuern i" die Hände fiel, eine Karte
vou der Umgegend der Stadt, u"d auf dieser ein paar lateinische Worte von
des Valdez Hand mit einigen grammatischen Schnitzern. Das wird von Herrn
Ebers benutzt (S. 454). "Seht, seht!" rief der Knabe, "hier hat sich der große
Maöstrv del Cmupo verewigt (mau hüte sich vor Mißverständnissen!) und da
steht auch sein Name. Hört, hört! Der Rektor hängt ihm den Esel um den
Hals, denn da sieht es: "Lastelli xsurvi! Valvto olons", viüets vastelli xsrvi,


Die Frau Lnrgeim'ihter»,

wohl die ältesten, als die jüngsten. Unter andern war da ein Junker van sechzehn
Jahren, Lenke» (kleiner Leu) genannt, der den Namen des Löwen mit Recht wohl
machte tragen; denn er hatte sich schau in der ersten Belagerung nicht wie ein
Junge, sondern wie ein Löwe gezeigt, was der Stadt Feinde zu Leydersdorp zu
ihrem Schaden mehr als sie wünschten erfahren hatte». Dieser vorbenannte
Lenken war darnach — in einem Scharmützel im Grase liegend zum Knecht
gemacht und gefangen worden, und haben sie ihm zunächst Nase und Ohren ab¬
geschnitten und darnach an den Zehen aufgehängt -- dann haben sie nach ihm
geschossen, vorher aber von ihm und einem andern, den sie gefangen hatten,
viel von der Stadt Gelegenheit gehört." Dieser Knabe ist eine charakteristische
Figur für jene Zeiten, charakteristisch durch sein Thun und durch sein Leiden; aber
freilich nur ein Umriß, den der Dichter auszuführen hätte. Hören wir nun,
was dieser Leuten oder Löwing, wie ihn Herr Ebers in der niederdeutschen Form
nennt, im Roman für eine Rolle spielt. In der schon erwähnten Toleranzrede
sagt Herr van Hout: „In solcher Zeit gilt's Männer. Auch Knaben haben sich
tüchtig bewährt. Der Ulrich dort an eurer Spitze darf seinen Spitznamen Löwing
mit Ehren tragen." Und am Schlüsse der Rede heißt es: „Löwing, bleib zurück,
ich möchte dir etwas sagen." Diese ausdrückliche Erwähnung des Knaben und
mehr noch die besondre Anrufung und die in Aussicht gestellte Mitteilung machen
uns entschieden auf ihn aufmerksam, wir erwarten ein Eingreifen vou ihm in
die Handlung. Dies geschieht aber nicht. Nur einmal erfahren wir noch von
ihm: der junge Nikolaus Matenesse von Wibisma sagt (S. 421): „Aber mein
Vater denkt anders. Er hat den Mut, vou den Spaniern Gutes zu hoffen.
Von den Spaniern! Ich habe sie kenne» gelernt in diesen Monden! Einen
tapfern Lehdcncr Burschen, Ihr kanntet ihn wohl bei seinem Spitznamen «Löwing,»
den er wahrhaftig verdient hat, den nahmen sie im redlichen Kampfe gefangen,
und dann — mir graust noch jetzt, wenn ich daran denke, dann haben sie ih»
aufgehängt mit dem Kopfe »ach unten und ihn zu Tode gemartert. Ich war
dabei u. s. w." Diese Sache giebt dann mit den Ausschlag, daß der katholische
Junker zu den Geusen geht. Das ist die ganze Verwertung dieser Notiz. Es
findet sich nichts darin, was nicht in der Chronik stünde.

So äußerlich aufgesetzte Flicken können uns für den Mangel der historischen
Treue in: Großen uicht entschädigen, vollends wenn sie, wie bei andern Gelegen¬
heiten, noch durch mvdernisirende Behandlung entstellt werden. Im Lager des
Valdez fand sich, als es den befreiten Lehdeuern i» die Hände fiel, eine Karte
vou der Umgegend der Stadt, u»d auf dieser ein paar lateinische Worte von
des Valdez Hand mit einigen grammatischen Schnitzern. Das wird von Herrn
Ebers benutzt (S. 454). „Seht, seht!" rief der Knabe, „hier hat sich der große
Maöstrv del Cmupo verewigt (mau hüte sich vor Mißverständnissen!) und da
steht auch sein Name. Hört, hört! Der Rektor hängt ihm den Esel um den
Hals, denn da sieht es: «Lastelli xsurvi! Valvto olons«, viüets vastelli xsrvi,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/510>, abgerufen am 26.06.2024.