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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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?lo Frau Viirgumoislonu,

einen etwas kindlich durchgeführten Vergleich der Niederländer und Spanier mit
einem Rosse und seinem Reiter dahin zu bringen, daß auch dieser Katholik sich
auf die Seite seiner Landsleute stelle; den Bannfluch des Papstes gegen die
Niederländer ignorirt dieser "Staatskatholik" vollständig. Und er ist bis auf
einige episodische Figuren der einzige katholische Priester, der im ganzen Roman
vorkommt. Welch verzerrtes Bild giebt das!

Dafür, daß der historische Charakter jener Zeiten in seinem Hauptpunkte
verfehlt ist, kann chronikalische Treue in Einzelheiten und Äußerlichkeiten nicht
entschädigen. Details allein bringen den Geist der Zeit nicht zum Ausdruck,
am menigstcn solche, die nicht in den Gang der Handlung organisch verwebt
sind. Und vieles macht in der That den Eindruck bei der Lektüre aufgelesener
und zusammengeraffter "Notizen, die dem Autor bemerkenswert, selten (?) oder
belustigend erschienen" (Worte der Widmung) und die er deswegen mit "an¬
gebracht" hat. Die Namen der Persönlichkeiten, die Herr Ebers auftreten läßt,
sind zum guten Teil historisch, sowohl auf spanischer, wie auf niederländischer Seite;
auch von den Nebeugestalteu beruhen die meisten auf Überlieferung. Manche
davon sind auch zu recht hübschen Charakterbildern erweitert: so der Fechtmeister
Allertssohn, der freilich eine durchaus episodische Rolle spielt und ohne Schaden
für die Haupthandlung wegfallen könnte, in die er nur durch die Tötung des
Don Luis d'Avila, des Gemahls der Anna Hoogstraten, eingreift, welcher allen¬
falls auch auf andre Weise umgebracht werden könnte. Auch die chronikalisch
überlieferte Gestalt des Wirtes Quatgelat ist gut verwertet. Aber viele Züge
tragen doch gar zu sehr den Stempel des lediglich Chronikalischen. Was hilft
es uns, wenn wir lesen, daß die Musiker Wilhelm, Henrika und Georg bei ihrem
Gange nach dem spanischen Lager der Kutsche begegnen, die "Magdalena Mons,
die Tochter einer angesehenen holländischen Veamtenfamilie, nach einem Besuche
bei ihrem Verehrer und späteren Gatten, dem Maöstro del Campo Valdez, in
den Haag zurückführt?" Von dieser Dame, ihrer Familie u. s. w. ist sonst nir¬
gends im ganzen Romane die Rede; die Kutsche sammt Inhalt bleibt auch von
den Personen des Romans (ganz nach Verdienst) völlig unbemerkt, es ist nichts
als ein Abfall der vorbereitende" Lektüre, eine daraus geschöpfte Notiz, die Herrn
Ebers "bemerkenswert, selten oder belustigend" vorgekommen sein muß, bei deren
Einfügung aber gar kein Zweck ersichtlich ist -- es müßte denn die Beschreibung
der Kutsche sei", die bei dieser Gelegenheit gegeben wird, und Kutschen kommen
sonst im Roman allerdings nicht vor. Die selige Mühlbach pflegte in ähnlichen
Fällen ein "historisch" in Parenthese oder als Anmerkung beizufügen; aber das
betraf doch immer noch Äußerungen historischer Persönlichkeiten, die möglichst
in den Zusammenhang des Romans verarbeitet waren.

Ein andres Beispiel der ganz mechanischen Art, wie Herr Ebers chronika¬
lisch verbürgte Thatsachen seinem Roman einverleibt, ist folgendes: Bor berichtet
in seinem "Oorsprvnck": Die Bürger scharmützelten täglich mehr und mehr, so-


?lo Frau Viirgumoislonu,

einen etwas kindlich durchgeführten Vergleich der Niederländer und Spanier mit
einem Rosse und seinem Reiter dahin zu bringen, daß auch dieser Katholik sich
auf die Seite seiner Landsleute stelle; den Bannfluch des Papstes gegen die
Niederländer ignorirt dieser „Staatskatholik" vollständig. Und er ist bis auf
einige episodische Figuren der einzige katholische Priester, der im ganzen Roman
vorkommt. Welch verzerrtes Bild giebt das!

Dafür, daß der historische Charakter jener Zeiten in seinem Hauptpunkte
verfehlt ist, kann chronikalische Treue in Einzelheiten und Äußerlichkeiten nicht
entschädigen. Details allein bringen den Geist der Zeit nicht zum Ausdruck,
am menigstcn solche, die nicht in den Gang der Handlung organisch verwebt
sind. Und vieles macht in der That den Eindruck bei der Lektüre aufgelesener
und zusammengeraffter „Notizen, die dem Autor bemerkenswert, selten (?) oder
belustigend erschienen" (Worte der Widmung) und die er deswegen mit „an¬
gebracht" hat. Die Namen der Persönlichkeiten, die Herr Ebers auftreten läßt,
sind zum guten Teil historisch, sowohl auf spanischer, wie auf niederländischer Seite;
auch von den Nebeugestalteu beruhen die meisten auf Überlieferung. Manche
davon sind auch zu recht hübschen Charakterbildern erweitert: so der Fechtmeister
Allertssohn, der freilich eine durchaus episodische Rolle spielt und ohne Schaden
für die Haupthandlung wegfallen könnte, in die er nur durch die Tötung des
Don Luis d'Avila, des Gemahls der Anna Hoogstraten, eingreift, welcher allen¬
falls auch auf andre Weise umgebracht werden könnte. Auch die chronikalisch
überlieferte Gestalt des Wirtes Quatgelat ist gut verwertet. Aber viele Züge
tragen doch gar zu sehr den Stempel des lediglich Chronikalischen. Was hilft
es uns, wenn wir lesen, daß die Musiker Wilhelm, Henrika und Georg bei ihrem
Gange nach dem spanischen Lager der Kutsche begegnen, die „Magdalena Mons,
die Tochter einer angesehenen holländischen Veamtenfamilie, nach einem Besuche
bei ihrem Verehrer und späteren Gatten, dem Maöstro del Campo Valdez, in
den Haag zurückführt?" Von dieser Dame, ihrer Familie u. s. w. ist sonst nir¬
gends im ganzen Romane die Rede; die Kutsche sammt Inhalt bleibt auch von
den Personen des Romans (ganz nach Verdienst) völlig unbemerkt, es ist nichts
als ein Abfall der vorbereitende» Lektüre, eine daraus geschöpfte Notiz, die Herrn
Ebers „bemerkenswert, selten oder belustigend" vorgekommen sein muß, bei deren
Einfügung aber gar kein Zweck ersichtlich ist — es müßte denn die Beschreibung
der Kutsche sei», die bei dieser Gelegenheit gegeben wird, und Kutschen kommen
sonst im Roman allerdings nicht vor. Die selige Mühlbach pflegte in ähnlichen
Fällen ein „historisch" in Parenthese oder als Anmerkung beizufügen; aber das
betraf doch immer noch Äußerungen historischer Persönlichkeiten, die möglichst
in den Zusammenhang des Romans verarbeitet waren.

Ein andres Beispiel der ganz mechanischen Art, wie Herr Ebers chronika¬
lisch verbürgte Thatsachen seinem Roman einverleibt, ist folgendes: Bor berichtet
in seinem „Oorsprvnck": Die Bürger scharmützelten täglich mehr und mehr, so-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/509>, abgerufen am 26.06.2024.