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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Lran Bnrgemeisteriii.

gleichen; der religiöse nicht. Und daß die Niederlande wußten, was es galt,
nämlich die Freiheit des Glaubens zu verteidigen gegen Gewissenszwang, das
zeigt mehr als alles die Belohnung, die sich Lehden ausbedang: eine neue Uni¬
versität wurde gestiftet, eine Hochburg der Wissenschaft und des neue" Glaubens.
Diesen Kernpunkt der Sache, den religiösen Charakter des Krieges, verdunkelt
Ebers geflissentlich. Ursprünglich waren, wie gesagt, nationale und religiöse
Motive gemischt; aber eine weise Sonderung dieser beiden Triebfeder,? mag
der rückschanende Betrachter vornehmen, Sache jener kämpfenden Zeiten war es
jedenfalls nicht, nur das eine in den Vordergrund zu stellen, das andre zurück¬
zudrängen. Damals galt es für die Führer der Bewegung, vor allem aufzu¬
regen, nicht abzuwiegeln. Jene billige Denkweise, die den klugen Mann in
ruhigen Zeiten ziert, die jedem giebt und läßt, was ihm zukommt, ist aufgeregten
Zeiten nicht eigen. Wer an der Spitze einer Partei steht, die um ihre Existenz
kämpft, der muß ganz für seine Sache eintreten, der haßt am Feinde alles,
Nationalität und Glauben, den darf man mich nicht Reden halten lassen, welche
der indifferenten Toleranz des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts ent¬
sprechen und des Beifalls des wohldenkenden Durchschnittsmenschen unsrer Tage
sicher sind; bei den Niederländern jener Tage würde er kein Verständnis ge¬
funden haben.

Man höre, was Herr van Hort, der Stadtsekrctarius, zu deu Knaben in
der Schule sagt, nachdem er ihnen durch einen Vergleich mit den Perserkämpfen
der Griechen die Bedeutung des Kampfes klar zu macheu gesucht hat (S. 6):
"Aber versteht mich nicht falsch -- hie Spanien, hie Niederlande heißt das
Geschrei, und nicht hie römisch, hie reformirt. Dein Herren mag wohl jeder
Glaube recht sein, wenn der Mensch nur ernstlich bestrebt ist, auf Christi Wegen
zu wandeln. Am Himmelsthron wird nicht gefragt: Papistisch, calvinisch oder
lutherisch? sondern: Wie warst du gesinnt oder wie hast du gehandelt? Achtel
jedermanns Glauben, aber den, der gegen die Freiheit des Vaterlandes mit dein
Zwingherrn genieinsame Sache macht, den mögt ihr verachten." Man braucht
neben diese Toleranzpredigt nur das Wort der Genfer zu stellen: "Lieber Türk,
als Papst," um den ganzen Widersinn einer solchen Rede uuter solchen Ver¬
hältnissen zu begreifen. Auch damit wird sich Herr Ebers kaum decken können,
daß etwa einzelne "bevorzugte" Geister auch in jeuer Zeit scholl auf höherem
Standpunkte gestanden hätten. Eine solche Ausnahme in deu Mittelpunkt stellen
(denn nicht umsonst ist diese Rede gleich in den Anfang gestellt, sie giebt den
Grundton der Stimmung des ganzen Buches an), das heißt doch den ganzen
Standpunkt verrücken, heißt tendenziös und falsch schildern. Bon dem Haß der
Protestanten gegen die Katholiken ist in dem Buche fast keine Rede, nud eben¬
sowenig von dem Haß der Katholiken gegen die Protestanten. Der strenggläu¬
bige katholische Priester Pater Damianus verdenke es den Niederländern nicht,
wenn sie gegen die Spanier aufstehen; er sucht sogar den jungen Wibisma durch


Die Lran Bnrgemeisteriii.

gleichen; der religiöse nicht. Und daß die Niederlande wußten, was es galt,
nämlich die Freiheit des Glaubens zu verteidigen gegen Gewissenszwang, das
zeigt mehr als alles die Belohnung, die sich Lehden ausbedang: eine neue Uni¬
versität wurde gestiftet, eine Hochburg der Wissenschaft und des neue» Glaubens.
Diesen Kernpunkt der Sache, den religiösen Charakter des Krieges, verdunkelt
Ebers geflissentlich. Ursprünglich waren, wie gesagt, nationale und religiöse
Motive gemischt; aber eine weise Sonderung dieser beiden Triebfeder,? mag
der rückschanende Betrachter vornehmen, Sache jener kämpfenden Zeiten war es
jedenfalls nicht, nur das eine in den Vordergrund zu stellen, das andre zurück¬
zudrängen. Damals galt es für die Führer der Bewegung, vor allem aufzu¬
regen, nicht abzuwiegeln. Jene billige Denkweise, die den klugen Mann in
ruhigen Zeiten ziert, die jedem giebt und läßt, was ihm zukommt, ist aufgeregten
Zeiten nicht eigen. Wer an der Spitze einer Partei steht, die um ihre Existenz
kämpft, der muß ganz für seine Sache eintreten, der haßt am Feinde alles,
Nationalität und Glauben, den darf man mich nicht Reden halten lassen, welche
der indifferenten Toleranz des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts ent¬
sprechen und des Beifalls des wohldenkenden Durchschnittsmenschen unsrer Tage
sicher sind; bei den Niederländern jener Tage würde er kein Verständnis ge¬
funden haben.

Man höre, was Herr van Hort, der Stadtsekrctarius, zu deu Knaben in
der Schule sagt, nachdem er ihnen durch einen Vergleich mit den Perserkämpfen
der Griechen die Bedeutung des Kampfes klar zu macheu gesucht hat (S. 6):
„Aber versteht mich nicht falsch — hie Spanien, hie Niederlande heißt das
Geschrei, und nicht hie römisch, hie reformirt. Dein Herren mag wohl jeder
Glaube recht sein, wenn der Mensch nur ernstlich bestrebt ist, auf Christi Wegen
zu wandeln. Am Himmelsthron wird nicht gefragt: Papistisch, calvinisch oder
lutherisch? sondern: Wie warst du gesinnt oder wie hast du gehandelt? Achtel
jedermanns Glauben, aber den, der gegen die Freiheit des Vaterlandes mit dein
Zwingherrn genieinsame Sache macht, den mögt ihr verachten." Man braucht
neben diese Toleranzpredigt nur das Wort der Genfer zu stellen: „Lieber Türk,
als Papst," um den ganzen Widersinn einer solchen Rede uuter solchen Ver¬
hältnissen zu begreifen. Auch damit wird sich Herr Ebers kaum decken können,
daß etwa einzelne „bevorzugte" Geister auch in jeuer Zeit scholl auf höherem
Standpunkte gestanden hätten. Eine solche Ausnahme in deu Mittelpunkt stellen
(denn nicht umsonst ist diese Rede gleich in den Anfang gestellt, sie giebt den
Grundton der Stimmung des ganzen Buches an), das heißt doch den ganzen
Standpunkt verrücken, heißt tendenziös und falsch schildern. Bon dem Haß der
Protestanten gegen die Katholiken ist in dem Buche fast keine Rede, nud eben¬
sowenig von dem Haß der Katholiken gegen die Protestanten. Der strenggläu¬
bige katholische Priester Pater Damianus verdenke es den Niederländern nicht,
wenn sie gegen die Spanier aufstehen; er sucht sogar den jungen Wibisma durch


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[0508] Die Lran Bnrgemeisteriii. gleichen; der religiöse nicht. Und daß die Niederlande wußten, was es galt, nämlich die Freiheit des Glaubens zu verteidigen gegen Gewissenszwang, das zeigt mehr als alles die Belohnung, die sich Lehden ausbedang: eine neue Uni¬ versität wurde gestiftet, eine Hochburg der Wissenschaft und des neue» Glaubens. Diesen Kernpunkt der Sache, den religiösen Charakter des Krieges, verdunkelt Ebers geflissentlich. Ursprünglich waren, wie gesagt, nationale und religiöse Motive gemischt; aber eine weise Sonderung dieser beiden Triebfeder,? mag der rückschanende Betrachter vornehmen, Sache jener kämpfenden Zeiten war es jedenfalls nicht, nur das eine in den Vordergrund zu stellen, das andre zurück¬ zudrängen. Damals galt es für die Führer der Bewegung, vor allem aufzu¬ regen, nicht abzuwiegeln. Jene billige Denkweise, die den klugen Mann in ruhigen Zeiten ziert, die jedem giebt und läßt, was ihm zukommt, ist aufgeregten Zeiten nicht eigen. Wer an der Spitze einer Partei steht, die um ihre Existenz kämpft, der muß ganz für seine Sache eintreten, der haßt am Feinde alles, Nationalität und Glauben, den darf man mich nicht Reden halten lassen, welche der indifferenten Toleranz des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts ent¬ sprechen und des Beifalls des wohldenkenden Durchschnittsmenschen unsrer Tage sicher sind; bei den Niederländern jener Tage würde er kein Verständnis ge¬ funden haben. Man höre, was Herr van Hort, der Stadtsekrctarius, zu deu Knaben in der Schule sagt, nachdem er ihnen durch einen Vergleich mit den Perserkämpfen der Griechen die Bedeutung des Kampfes klar zu macheu gesucht hat (S. 6): „Aber versteht mich nicht falsch — hie Spanien, hie Niederlande heißt das Geschrei, und nicht hie römisch, hie reformirt. Dein Herren mag wohl jeder Glaube recht sein, wenn der Mensch nur ernstlich bestrebt ist, auf Christi Wegen zu wandeln. Am Himmelsthron wird nicht gefragt: Papistisch, calvinisch oder lutherisch? sondern: Wie warst du gesinnt oder wie hast du gehandelt? Achtel jedermanns Glauben, aber den, der gegen die Freiheit des Vaterlandes mit dein Zwingherrn genieinsame Sache macht, den mögt ihr verachten." Man braucht neben diese Toleranzpredigt nur das Wort der Genfer zu stellen: „Lieber Türk, als Papst," um den ganzen Widersinn einer solchen Rede uuter solchen Ver¬ hältnissen zu begreifen. Auch damit wird sich Herr Ebers kaum decken können, daß etwa einzelne „bevorzugte" Geister auch in jeuer Zeit scholl auf höherem Standpunkte gestanden hätten. Eine solche Ausnahme in deu Mittelpunkt stellen (denn nicht umsonst ist diese Rede gleich in den Anfang gestellt, sie giebt den Grundton der Stimmung des ganzen Buches an), das heißt doch den ganzen Standpunkt verrücken, heißt tendenziös und falsch schildern. Bon dem Haß der Protestanten gegen die Katholiken ist in dem Buche fast keine Rede, nud eben¬ sowenig von dem Haß der Katholiken gegen die Protestanten. Der strenggläu¬ bige katholische Priester Pater Damianus verdenke es den Niederländern nicht, wenn sie gegen die Spanier aufstehen; er sucht sogar den jungen Wibisma durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/508>, abgerufen am 26.06.2024.