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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Do Frau Biirge"i>.-lftorin.

liegen mit ihr still, wenn Ostwind weht, und warten voll Pein auf das Um¬
schlagen des Windes; wir hören auch, daß viele sterben, und daß die Lebens¬
mittel knapp und knapper werden und eine genaue Verteilung derselben statt¬
findet. Das alles wird mit vielem Detail geschildert. Aber auch hier wird
unsere Erwartung getäuscht; recht gewaltig und lebendig wird die Schilderung
nirgends. Es bleibt bei Einzelheiten, und vor allein fehlt es an der nötigen
Steigerung. Die chronikalische Geschichtserzühlnng giebt uns diese Steigerung
durch zahlenmäßige Angabe der abnehmenden Lebensmittel, durch die immer
wachsenden Ziffern der täglichen Erkrankungs- und Todesfälle. Im Roman muß
uns das greifbarer entgegentreten; um denen, die uns nahe stehen, müssen wirs
schaudernd selbst erleben. Da genügt es nicht, wenn sie Hunger haben und
mager werden; im Kreise der Haupthelden muß der Tod furchtbare Ernte halten,
wir müssen sehen und suhlen, nicht bloß uns Treu und Glauben uns erzählen
lassen. Was geschieht bei Herrn Ebers? Des Bürgernleisters Töchterchen und
der Prinzliche Kommissar Brvnkhvrst, das sind aus dem Kreise der Bekannten
die einzigen Opfer, die der Tod fordert. Dem gegenüber macht es keinen großen
Eindruck, wenn Adrian ans einem einzigen Ausgange neun Leichenbegängnisse
zählt -- wir müssen uns zwingen, es ihm zu glauben.

Fehlt so bei der Schilderung der Not und des Elends durch die Schuld
des Dichters die unumgängliche Steigerung, der offenbar vor starker Wirkung
Scheu hat und gerne auch diese schwere Zeit für seine Helden möglichst glimpf¬
lich abgehen lassen möchte, so ist derselbe Mangel an Steigerung bei der Er¬
zählung der Entsatzversuche zum Teil in der Sache begründet. Wenn man eine
Karte der Umgebung von Lehden hätte, dann könnten wohl die mit anderen
Namen sich immer wiederholenden Situationen einiges dramatische Leben ge¬
winnen -- so aber erregt diese in der Sache selbst liegende Wiederholung nur
das Gefühl der peinlichsten Ungeduld, die Leute dauern uns, und wir können
doch weder ihnen noch uns helfen.

Hat aber Herr Ebers die Schwierigkeiten, die sich ihm bei Schilderung der
äußeren Begebenheiten entgegenstellten, nicht zu überwinden vermocht, wie steht
es um den andern, wichtigeren Punkt: Ist er in den Geist der Zeit eingedrungen?
Ist hier seine Feder den Anforderungen des Stoffs gewachsen gewesen?

Hier liegt der größte Mangel des Romans, hier trifft den Dichter der
schwerste Bvrwurf. Von dem Geiste der Zeit entwirft Ebers ein geradezu ge¬
fälschtes Bild, Der Befreiungskrieg der Niederlande war zum überwiegenden
Teile ein Religionskrieg geworden; nicht nnr Niederländer standen gegen Spanier,
vor allem standen Protestanten gegen Katholiken; so faßte Philipp, so faßten
die Niederländer den Kampf ans. Daß dieses religiöse Moment den nationalen
Gegensatz bei weitem überwog, das zeigt vor allem der Umstand, daß die katho¬
lischen südlichen Staaten sehr bald darauf ihren Frieden mit Spanien machten;
denn der nationale Gegensatz, der mich dort schroff genug war, ließ sich be-


Do Frau Biirge»i>.-lftorin.

liegen mit ihr still, wenn Ostwind weht, und warten voll Pein auf das Um¬
schlagen des Windes; wir hören auch, daß viele sterben, und daß die Lebens¬
mittel knapp und knapper werden und eine genaue Verteilung derselben statt¬
findet. Das alles wird mit vielem Detail geschildert. Aber auch hier wird
unsere Erwartung getäuscht; recht gewaltig und lebendig wird die Schilderung
nirgends. Es bleibt bei Einzelheiten, und vor allein fehlt es an der nötigen
Steigerung. Die chronikalische Geschichtserzühlnng giebt uns diese Steigerung
durch zahlenmäßige Angabe der abnehmenden Lebensmittel, durch die immer
wachsenden Ziffern der täglichen Erkrankungs- und Todesfälle. Im Roman muß
uns das greifbarer entgegentreten; um denen, die uns nahe stehen, müssen wirs
schaudernd selbst erleben. Da genügt es nicht, wenn sie Hunger haben und
mager werden; im Kreise der Haupthelden muß der Tod furchtbare Ernte halten,
wir müssen sehen und suhlen, nicht bloß uns Treu und Glauben uns erzählen
lassen. Was geschieht bei Herrn Ebers? Des Bürgernleisters Töchterchen und
der Prinzliche Kommissar Brvnkhvrst, das sind aus dem Kreise der Bekannten
die einzigen Opfer, die der Tod fordert. Dem gegenüber macht es keinen großen
Eindruck, wenn Adrian ans einem einzigen Ausgange neun Leichenbegängnisse
zählt — wir müssen uns zwingen, es ihm zu glauben.

Fehlt so bei der Schilderung der Not und des Elends durch die Schuld
des Dichters die unumgängliche Steigerung, der offenbar vor starker Wirkung
Scheu hat und gerne auch diese schwere Zeit für seine Helden möglichst glimpf¬
lich abgehen lassen möchte, so ist derselbe Mangel an Steigerung bei der Er¬
zählung der Entsatzversuche zum Teil in der Sache begründet. Wenn man eine
Karte der Umgebung von Lehden hätte, dann könnten wohl die mit anderen
Namen sich immer wiederholenden Situationen einiges dramatische Leben ge¬
winnen — so aber erregt diese in der Sache selbst liegende Wiederholung nur
das Gefühl der peinlichsten Ungeduld, die Leute dauern uns, und wir können
doch weder ihnen noch uns helfen.

Hat aber Herr Ebers die Schwierigkeiten, die sich ihm bei Schilderung der
äußeren Begebenheiten entgegenstellten, nicht zu überwinden vermocht, wie steht
es um den andern, wichtigeren Punkt: Ist er in den Geist der Zeit eingedrungen?
Ist hier seine Feder den Anforderungen des Stoffs gewachsen gewesen?

Hier liegt der größte Mangel des Romans, hier trifft den Dichter der
schwerste Bvrwurf. Von dem Geiste der Zeit entwirft Ebers ein geradezu ge¬
fälschtes Bild, Der Befreiungskrieg der Niederlande war zum überwiegenden
Teile ein Religionskrieg geworden; nicht nnr Niederländer standen gegen Spanier,
vor allem standen Protestanten gegen Katholiken; so faßte Philipp, so faßten
die Niederländer den Kampf ans. Daß dieses religiöse Moment den nationalen
Gegensatz bei weitem überwog, das zeigt vor allem der Umstand, daß die katho¬
lischen südlichen Staaten sehr bald darauf ihren Frieden mit Spanien machten;
denn der nationale Gegensatz, der mich dort schroff genug war, ließ sich be-


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[0507] Do Frau Biirge»i>.-lftorin. liegen mit ihr still, wenn Ostwind weht, und warten voll Pein auf das Um¬ schlagen des Windes; wir hören auch, daß viele sterben, und daß die Lebens¬ mittel knapp und knapper werden und eine genaue Verteilung derselben statt¬ findet. Das alles wird mit vielem Detail geschildert. Aber auch hier wird unsere Erwartung getäuscht; recht gewaltig und lebendig wird die Schilderung nirgends. Es bleibt bei Einzelheiten, und vor allein fehlt es an der nötigen Steigerung. Die chronikalische Geschichtserzühlnng giebt uns diese Steigerung durch zahlenmäßige Angabe der abnehmenden Lebensmittel, durch die immer wachsenden Ziffern der täglichen Erkrankungs- und Todesfälle. Im Roman muß uns das greifbarer entgegentreten; um denen, die uns nahe stehen, müssen wirs schaudernd selbst erleben. Da genügt es nicht, wenn sie Hunger haben und mager werden; im Kreise der Haupthelden muß der Tod furchtbare Ernte halten, wir müssen sehen und suhlen, nicht bloß uns Treu und Glauben uns erzählen lassen. Was geschieht bei Herrn Ebers? Des Bürgernleisters Töchterchen und der Prinzliche Kommissar Brvnkhvrst, das sind aus dem Kreise der Bekannten die einzigen Opfer, die der Tod fordert. Dem gegenüber macht es keinen großen Eindruck, wenn Adrian ans einem einzigen Ausgange neun Leichenbegängnisse zählt — wir müssen uns zwingen, es ihm zu glauben. Fehlt so bei der Schilderung der Not und des Elends durch die Schuld des Dichters die unumgängliche Steigerung, der offenbar vor starker Wirkung Scheu hat und gerne auch diese schwere Zeit für seine Helden möglichst glimpf¬ lich abgehen lassen möchte, so ist derselbe Mangel an Steigerung bei der Er¬ zählung der Entsatzversuche zum Teil in der Sache begründet. Wenn man eine Karte der Umgebung von Lehden hätte, dann könnten wohl die mit anderen Namen sich immer wiederholenden Situationen einiges dramatische Leben ge¬ winnen — so aber erregt diese in der Sache selbst liegende Wiederholung nur das Gefühl der peinlichsten Ungeduld, die Leute dauern uns, und wir können doch weder ihnen noch uns helfen. Hat aber Herr Ebers die Schwierigkeiten, die sich ihm bei Schilderung der äußeren Begebenheiten entgegenstellten, nicht zu überwinden vermocht, wie steht es um den andern, wichtigeren Punkt: Ist er in den Geist der Zeit eingedrungen? Ist hier seine Feder den Anforderungen des Stoffs gewachsen gewesen? Hier liegt der größte Mangel des Romans, hier trifft den Dichter der schwerste Bvrwurf. Von dem Geiste der Zeit entwirft Ebers ein geradezu ge¬ fälschtes Bild, Der Befreiungskrieg der Niederlande war zum überwiegenden Teile ein Religionskrieg geworden; nicht nnr Niederländer standen gegen Spanier, vor allem standen Protestanten gegen Katholiken; so faßte Philipp, so faßten die Niederländer den Kampf ans. Daß dieses religiöse Moment den nationalen Gegensatz bei weitem überwog, das zeigt vor allem der Umstand, daß die katho¬ lischen südlichen Staaten sehr bald darauf ihren Frieden mit Spanien machten; denn der nationale Gegensatz, der mich dort schroff genug war, ließ sich be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/507>, abgerufen am 26.06.2024.