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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Frau Bürgemeisterin.

zur Zeit der niederländischen Freiheitskämpfe spielen zu lassen gedenke. Man
durfte begierig sein, wie Herr Ebers sich auf diesem von seiner bisherigen Dv-
müne so verschiedenen Gebiete bewegen würde; ob es ihm auch hier gelingen
würde, so "sensationelle" Erfolge zu erzielen, wie mit seineu egyptischen Romane".
Äußerlich ist ihm dies in der That geglückt; denn zu Weihnachten lag der neue
Roman*) bereits in neunter Auflage vor.

Mit berechtigter Neugier wird jeder Leser an die Lektüre desselben gegangen
sein, und die kleine Zahl der Verständigen und Urteilsfähigen gewiß mehr mit
Zweifel als mit Zuversicht. Denn wer in Egypten,. dem alten wie dem modernen,
noch so gut zu Hause und ein noch so zuverlässiger Führer und Interpret sein
mag, von dem wird man nicht verlangen, daß ihm das sechzehnte Jahrhundert
unsers Volkes so wohl vertraut sei, daß er wagen könne, es uns im Spiegel
der Dichtkunst vorzuführen. Wenn Gustav Freytag zur Abwechslung einmal
einen Pharaonenroman ankündigen wollte, er würde ganz demselben Mißtrauen
begeguen.

Diesem Mißtrauen vorzubeugen, ist wohl auch die dem Romane vorge¬
druckte Widmung bestimmt, die an Freifrau Sophie von Brandenstein, geborne
Ebers gerichtet ist, und in der Herr Ebers die Beschäftigung mit der Geschichte
Hollands, der Heimat seiner Mutter, als alte Lieblingsueigung hinstellt, der
Geschichte, aus deren glorreichsten Abschnitt, wie er sagt, er schou vor siebzehn
Jahren das Material geschöpft hat, das seitdem brachgelegen. Ob aber diese
subjektive Legitimation des Autors sich auch objektiv als giltig erweist, ob die
Ansprüche, die man an einen historischen Roman zu stellen berechtigt ist, von
dem neuen Buche erfüllt werdeu, wird eine vorurteilsfreie Prüfung desselben
ergeben. Auf die Nachsicht freilich, die Herr Ebers von der Adressatin seiner
Widmung erwarten zu dürfen glaubt, wird er beim Publikum nicht rechnen
können und wohl auch nicht rechnen wollen. Auf Nachsicht hat nur der Dilet¬
tant Anspruch; und auch dieser billigerweise nur da, wo allein er hingehört, im
Kreise guter Freunde. Das Kunstwerk, das an die Öffentlichkeit tritt, will nicht
mit Nachsicht beurteilt werden, zumal wenn es einen so bekannten Namen an
der Stirne trägt, daß sein äußerer Erfolg von vornherein außer Frage steht.
Wer dessen sicher sein kann, daß sein Buch auf seinen bloßen Namen hin in
laufenden von Exemplaren gekauft wird, der wird sich auf eine strenge Prüfung
gefaßt machen müssen, und er wird dieser um so ruhiger entgegensehen können,
als doch billigerweise von ihm zu erwarten ist, daß er selbst an sich und seinem
Werke die schärfste Kritik geübt habe, um nicht etwa dem Glanz seines Namens
Eintrag zu thun oder sich den begründeten Reklamationen derer auszusetzen, die
sich in den an seinen Namen geknüpften Erwartungen getäuscht sehen. Lassen



*) Die Frau Bürgemeisterin. Roman von Georg Ebers. Stuttgart und
Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt (vormals E. Hallberger).
Die Frau Bürgemeisterin.

zur Zeit der niederländischen Freiheitskämpfe spielen zu lassen gedenke. Man
durfte begierig sein, wie Herr Ebers sich auf diesem von seiner bisherigen Dv-
müne so verschiedenen Gebiete bewegen würde; ob es ihm auch hier gelingen
würde, so „sensationelle" Erfolge zu erzielen, wie mit seineu egyptischen Romane».
Äußerlich ist ihm dies in der That geglückt; denn zu Weihnachten lag der neue
Roman*) bereits in neunter Auflage vor.

Mit berechtigter Neugier wird jeder Leser an die Lektüre desselben gegangen
sein, und die kleine Zahl der Verständigen und Urteilsfähigen gewiß mehr mit
Zweifel als mit Zuversicht. Denn wer in Egypten,. dem alten wie dem modernen,
noch so gut zu Hause und ein noch so zuverlässiger Führer und Interpret sein
mag, von dem wird man nicht verlangen, daß ihm das sechzehnte Jahrhundert
unsers Volkes so wohl vertraut sei, daß er wagen könne, es uns im Spiegel
der Dichtkunst vorzuführen. Wenn Gustav Freytag zur Abwechslung einmal
einen Pharaonenroman ankündigen wollte, er würde ganz demselben Mißtrauen
begeguen.

Diesem Mißtrauen vorzubeugen, ist wohl auch die dem Romane vorge¬
druckte Widmung bestimmt, die an Freifrau Sophie von Brandenstein, geborne
Ebers gerichtet ist, und in der Herr Ebers die Beschäftigung mit der Geschichte
Hollands, der Heimat seiner Mutter, als alte Lieblingsueigung hinstellt, der
Geschichte, aus deren glorreichsten Abschnitt, wie er sagt, er schou vor siebzehn
Jahren das Material geschöpft hat, das seitdem brachgelegen. Ob aber diese
subjektive Legitimation des Autors sich auch objektiv als giltig erweist, ob die
Ansprüche, die man an einen historischen Roman zu stellen berechtigt ist, von
dem neuen Buche erfüllt werdeu, wird eine vorurteilsfreie Prüfung desselben
ergeben. Auf die Nachsicht freilich, die Herr Ebers von der Adressatin seiner
Widmung erwarten zu dürfen glaubt, wird er beim Publikum nicht rechnen
können und wohl auch nicht rechnen wollen. Auf Nachsicht hat nur der Dilet¬
tant Anspruch; und auch dieser billigerweise nur da, wo allein er hingehört, im
Kreise guter Freunde. Das Kunstwerk, das an die Öffentlichkeit tritt, will nicht
mit Nachsicht beurteilt werden, zumal wenn es einen so bekannten Namen an
der Stirne trägt, daß sein äußerer Erfolg von vornherein außer Frage steht.
Wer dessen sicher sein kann, daß sein Buch auf seinen bloßen Namen hin in
laufenden von Exemplaren gekauft wird, der wird sich auf eine strenge Prüfung
gefaßt machen müssen, und er wird dieser um so ruhiger entgegensehen können,
als doch billigerweise von ihm zu erwarten ist, daß er selbst an sich und seinem
Werke die schärfste Kritik geübt habe, um nicht etwa dem Glanz seines Namens
Eintrag zu thun oder sich den begründeten Reklamationen derer auszusetzen, die
sich in den an seinen Namen geknüpften Erwartungen getäuscht sehen. Lassen



*) Die Frau Bürgemeisterin. Roman von Georg Ebers. Stuttgart und
Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt (vormals E. Hallberger).
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[0503] Die Frau Bürgemeisterin. zur Zeit der niederländischen Freiheitskämpfe spielen zu lassen gedenke. Man durfte begierig sein, wie Herr Ebers sich auf diesem von seiner bisherigen Dv- müne so verschiedenen Gebiete bewegen würde; ob es ihm auch hier gelingen würde, so „sensationelle" Erfolge zu erzielen, wie mit seineu egyptischen Romane». Äußerlich ist ihm dies in der That geglückt; denn zu Weihnachten lag der neue Roman*) bereits in neunter Auflage vor. Mit berechtigter Neugier wird jeder Leser an die Lektüre desselben gegangen sein, und die kleine Zahl der Verständigen und Urteilsfähigen gewiß mehr mit Zweifel als mit Zuversicht. Denn wer in Egypten,. dem alten wie dem modernen, noch so gut zu Hause und ein noch so zuverlässiger Führer und Interpret sein mag, von dem wird man nicht verlangen, daß ihm das sechzehnte Jahrhundert unsers Volkes so wohl vertraut sei, daß er wagen könne, es uns im Spiegel der Dichtkunst vorzuführen. Wenn Gustav Freytag zur Abwechslung einmal einen Pharaonenroman ankündigen wollte, er würde ganz demselben Mißtrauen begeguen. Diesem Mißtrauen vorzubeugen, ist wohl auch die dem Romane vorge¬ druckte Widmung bestimmt, die an Freifrau Sophie von Brandenstein, geborne Ebers gerichtet ist, und in der Herr Ebers die Beschäftigung mit der Geschichte Hollands, der Heimat seiner Mutter, als alte Lieblingsueigung hinstellt, der Geschichte, aus deren glorreichsten Abschnitt, wie er sagt, er schou vor siebzehn Jahren das Material geschöpft hat, das seitdem brachgelegen. Ob aber diese subjektive Legitimation des Autors sich auch objektiv als giltig erweist, ob die Ansprüche, die man an einen historischen Roman zu stellen berechtigt ist, von dem neuen Buche erfüllt werdeu, wird eine vorurteilsfreie Prüfung desselben ergeben. Auf die Nachsicht freilich, die Herr Ebers von der Adressatin seiner Widmung erwarten zu dürfen glaubt, wird er beim Publikum nicht rechnen können und wohl auch nicht rechnen wollen. Auf Nachsicht hat nur der Dilet¬ tant Anspruch; und auch dieser billigerweise nur da, wo allein er hingehört, im Kreise guter Freunde. Das Kunstwerk, das an die Öffentlichkeit tritt, will nicht mit Nachsicht beurteilt werden, zumal wenn es einen so bekannten Namen an der Stirne trägt, daß sein äußerer Erfolg von vornherein außer Frage steht. Wer dessen sicher sein kann, daß sein Buch auf seinen bloßen Namen hin in laufenden von Exemplaren gekauft wird, der wird sich auf eine strenge Prüfung gefaßt machen müssen, und er wird dieser um so ruhiger entgegensehen können, als doch billigerweise von ihm zu erwarten ist, daß er selbst an sich und seinem Werke die schärfste Kritik geübt habe, um nicht etwa dem Glanz seines Namens Eintrag zu thun oder sich den begründeten Reklamationen derer auszusetzen, die sich in den an seinen Namen geknüpften Erwartungen getäuscht sehen. Lassen *) Die Frau Bürgemeisterin. Roman von Georg Ebers. Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt (vormals E. Hallberger).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/503>, abgerufen am 26.06.2024.