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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Kriegsmacht der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Dienstpflicht hervorgegangenen allgemeinen Umwälzung sind much neue durch¬
schlagende Prinzipien über die Höhe der wissenschaftlichen Anforderungen an den
Offizier aufgestellt worden; und wenn in früheren Zeiten der praktischen Be¬
fähigung des Offiziers vor theoretischer Bildung der Vorzug gegeben worden
sein soll, so scheint man jetzt in entgegengesetzter Richtung etwas zu weit zu
gehen, anstatt in der Abwägung von genügender wissenschaftlicher Grundlage
und dem praktischen Blick des alltäglichen Lebens die weise Mitte zu halten.
Eine unendlich lauge Reihe von Bildungsmitteln ist jetzt von jedem Offizier
durchzumachen. Da giebt es Militärvber- und Unterrealschulen, Militärakademien,
höhere Kurse und Vorbereitungskurse für Stabsoffiziere, in denen der lnng-
gediente Hauptmann zur Schulbank zurückkehren soll. Aus diesem Übermaße des
Guten resultirt ein fühlbarer Offiziermangel, und eine gewisse Unzufriedenheit
in Ofsizierkreiseu ist unverkennbar. Derselben ist auch nach dem Gefühl des
deutschen Offiziers die innere Berechtigung nicht abzusprechen, wenn man be¬
denkt, daß vor jeder Beförderung in eine höhere Charge eine erneute Prüfung
zu bestehen ist. Nach dem Ausfalle derselben werden die Geprüften in vier
Klassen geteilt, die nun nach verschiedenen Grundsätzen avanciren, und es mag
dem älteren Offizier, welcher als "Sünder" der vierten Klasse überwiesen wurde,
gewiß sehr hart erscheinen, wenn die blutjungen "Erzengel" und "Engel," wie der
Volksmund diese Jünger des Glücks bezeichnet, oft trotz mangelnder Erfahrung
ans der hierarchischen Leiter an ihm vorbeiklimmen.

Wie die gestimmte Heeresorganisation in ihren Grundzügen den? preußischen
bewährten Muster nachgebildet ist, so hat man auch auf die Anlage eines Mobil-
machnngsplans, jenes geheimnisvollen Instrumentes, mittelst dessen die Über¬
führung der deutschen Armee ans den Kriegsfuß sich mit der bekannten "affen¬
artigen Geschwindigkeit" zu vollziehen pflegt, Bedacht genommen. Derselbe hat
1878 bei der Mobilmachung von vier Divisionen, im ganzen 72 000 Mann und
13 000 Pferden, zum Zwecke der Besitzergreifung von Bosnien seine erste Probe
glücklich bestanden, wenn auch bei der offiziellen Darstellung, namentlich in Bezug
auf die Zeit, etwas Schönfärberei mit untergelaufen sein mag, da mehrere Tage
vor Beginn der Mobilmachung schon "nichtoffiziell" mobil gemacht worden zu
sein scheint.

Zur energischen Ausnutzung der durch die Armee gegebenen Streitkräfte
bedarf der Feldherr vieler und brauchbarer Kommunikationen. Bis in die neuere
Zeit hinein war allerdings der Zustand der Verkehrswege innerhalb der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie keineswegs mustergiltig. Die neueste Zeit hat aber
auch in dieser Beziehung, namentlich in der Westhälfte, Wandel geschafft, so
daß von den vorhandenen etwa 150 000 Kilometern gebauten Straßen nur
30 Prozent auf die östlichen Länder Transleithaniens fallen. Auch das Eisenbahn¬
netz hat sich mehr und mehr entwickelt. Am 1. Januar 1881 waren 11 406 Kilo¬
meter in Cisleithanien und 7085 Kilometer in Ungarn dein Betriebe übergeben,


Die Kriegsmacht der österreichisch-ungarischen Monarchie.

Dienstpflicht hervorgegangenen allgemeinen Umwälzung sind much neue durch¬
schlagende Prinzipien über die Höhe der wissenschaftlichen Anforderungen an den
Offizier aufgestellt worden; und wenn in früheren Zeiten der praktischen Be¬
fähigung des Offiziers vor theoretischer Bildung der Vorzug gegeben worden
sein soll, so scheint man jetzt in entgegengesetzter Richtung etwas zu weit zu
gehen, anstatt in der Abwägung von genügender wissenschaftlicher Grundlage
und dem praktischen Blick des alltäglichen Lebens die weise Mitte zu halten.
Eine unendlich lauge Reihe von Bildungsmitteln ist jetzt von jedem Offizier
durchzumachen. Da giebt es Militärvber- und Unterrealschulen, Militärakademien,
höhere Kurse und Vorbereitungskurse für Stabsoffiziere, in denen der lnng-
gediente Hauptmann zur Schulbank zurückkehren soll. Aus diesem Übermaße des
Guten resultirt ein fühlbarer Offiziermangel, und eine gewisse Unzufriedenheit
in Ofsizierkreiseu ist unverkennbar. Derselben ist auch nach dem Gefühl des
deutschen Offiziers die innere Berechtigung nicht abzusprechen, wenn man be¬
denkt, daß vor jeder Beförderung in eine höhere Charge eine erneute Prüfung
zu bestehen ist. Nach dem Ausfalle derselben werden die Geprüften in vier
Klassen geteilt, die nun nach verschiedenen Grundsätzen avanciren, und es mag
dem älteren Offizier, welcher als „Sünder" der vierten Klasse überwiesen wurde,
gewiß sehr hart erscheinen, wenn die blutjungen „Erzengel" und „Engel," wie der
Volksmund diese Jünger des Glücks bezeichnet, oft trotz mangelnder Erfahrung
ans der hierarchischen Leiter an ihm vorbeiklimmen.

Wie die gestimmte Heeresorganisation in ihren Grundzügen den? preußischen
bewährten Muster nachgebildet ist, so hat man auch auf die Anlage eines Mobil-
machnngsplans, jenes geheimnisvollen Instrumentes, mittelst dessen die Über¬
führung der deutschen Armee ans den Kriegsfuß sich mit der bekannten „affen¬
artigen Geschwindigkeit" zu vollziehen pflegt, Bedacht genommen. Derselbe hat
1878 bei der Mobilmachung von vier Divisionen, im ganzen 72 000 Mann und
13 000 Pferden, zum Zwecke der Besitzergreifung von Bosnien seine erste Probe
glücklich bestanden, wenn auch bei der offiziellen Darstellung, namentlich in Bezug
auf die Zeit, etwas Schönfärberei mit untergelaufen sein mag, da mehrere Tage
vor Beginn der Mobilmachung schon „nichtoffiziell" mobil gemacht worden zu
sein scheint.

Zur energischen Ausnutzung der durch die Armee gegebenen Streitkräfte
bedarf der Feldherr vieler und brauchbarer Kommunikationen. Bis in die neuere
Zeit hinein war allerdings der Zustand der Verkehrswege innerhalb der öster¬
reichisch-ungarischen Monarchie keineswegs mustergiltig. Die neueste Zeit hat aber
auch in dieser Beziehung, namentlich in der Westhälfte, Wandel geschafft, so
daß von den vorhandenen etwa 150 000 Kilometern gebauten Straßen nur
30 Prozent auf die östlichen Länder Transleithaniens fallen. Auch das Eisenbahn¬
netz hat sich mehr und mehr entwickelt. Am 1. Januar 1881 waren 11 406 Kilo¬
meter in Cisleithanien und 7085 Kilometer in Ungarn dein Betriebe übergeben,


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[0498] Die Kriegsmacht der österreichisch-ungarischen Monarchie. Dienstpflicht hervorgegangenen allgemeinen Umwälzung sind much neue durch¬ schlagende Prinzipien über die Höhe der wissenschaftlichen Anforderungen an den Offizier aufgestellt worden; und wenn in früheren Zeiten der praktischen Be¬ fähigung des Offiziers vor theoretischer Bildung der Vorzug gegeben worden sein soll, so scheint man jetzt in entgegengesetzter Richtung etwas zu weit zu gehen, anstatt in der Abwägung von genügender wissenschaftlicher Grundlage und dem praktischen Blick des alltäglichen Lebens die weise Mitte zu halten. Eine unendlich lauge Reihe von Bildungsmitteln ist jetzt von jedem Offizier durchzumachen. Da giebt es Militärvber- und Unterrealschulen, Militärakademien, höhere Kurse und Vorbereitungskurse für Stabsoffiziere, in denen der lnng- gediente Hauptmann zur Schulbank zurückkehren soll. Aus diesem Übermaße des Guten resultirt ein fühlbarer Offiziermangel, und eine gewisse Unzufriedenheit in Ofsizierkreiseu ist unverkennbar. Derselben ist auch nach dem Gefühl des deutschen Offiziers die innere Berechtigung nicht abzusprechen, wenn man be¬ denkt, daß vor jeder Beförderung in eine höhere Charge eine erneute Prüfung zu bestehen ist. Nach dem Ausfalle derselben werden die Geprüften in vier Klassen geteilt, die nun nach verschiedenen Grundsätzen avanciren, und es mag dem älteren Offizier, welcher als „Sünder" der vierten Klasse überwiesen wurde, gewiß sehr hart erscheinen, wenn die blutjungen „Erzengel" und „Engel," wie der Volksmund diese Jünger des Glücks bezeichnet, oft trotz mangelnder Erfahrung ans der hierarchischen Leiter an ihm vorbeiklimmen. Wie die gestimmte Heeresorganisation in ihren Grundzügen den? preußischen bewährten Muster nachgebildet ist, so hat man auch auf die Anlage eines Mobil- machnngsplans, jenes geheimnisvollen Instrumentes, mittelst dessen die Über¬ führung der deutschen Armee ans den Kriegsfuß sich mit der bekannten „affen¬ artigen Geschwindigkeit" zu vollziehen pflegt, Bedacht genommen. Derselbe hat 1878 bei der Mobilmachung von vier Divisionen, im ganzen 72 000 Mann und 13 000 Pferden, zum Zwecke der Besitzergreifung von Bosnien seine erste Probe glücklich bestanden, wenn auch bei der offiziellen Darstellung, namentlich in Bezug auf die Zeit, etwas Schönfärberei mit untergelaufen sein mag, da mehrere Tage vor Beginn der Mobilmachung schon „nichtoffiziell" mobil gemacht worden zu sein scheint. Zur energischen Ausnutzung der durch die Armee gegebenen Streitkräfte bedarf der Feldherr vieler und brauchbarer Kommunikationen. Bis in die neuere Zeit hinein war allerdings der Zustand der Verkehrswege innerhalb der öster¬ reichisch-ungarischen Monarchie keineswegs mustergiltig. Die neueste Zeit hat aber auch in dieser Beziehung, namentlich in der Westhälfte, Wandel geschafft, so daß von den vorhandenen etwa 150 000 Kilometern gebauten Straßen nur 30 Prozent auf die östlichen Länder Transleithaniens fallen. Auch das Eisenbahn¬ netz hat sich mehr und mehr entwickelt. Am 1. Januar 1881 waren 11 406 Kilo¬ meter in Cisleithanien und 7085 Kilometer in Ungarn dein Betriebe übergeben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/498>, abgerufen am 26.06.2024.