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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Unter diesen Umstanden kann es leicht zu einer Ministerkrisis kvimnen, zumal
da die irischen Parlamentsmitglieder sich wahrscheinlich ans die Seite der Konser¬
vativen stellen werden. Die Liberalen zählen jetzt 334, die Konservativen 243
und die irischen Homerulers 56 Stimmen, die absolute Majorität der Liberalen
über eine Koalition der beiden andern Parteien beträgt daher nur 35 Stimmen.
In der soeben entschiedenen Frage über die Zulassung Bradlaughs ins Unter¬
haus stimmten 22 liberale Abgeordnete gegen die Negierung und 40 gaben gar
kein Votum ab. Wenn sich diesmal nur einige über die Hälfte dieser Disseu-
tirenden zu gleichem Verhalten entschlössen, so wäre das Schicksal des gegenwär¬
tigen Kabinets entschieden.

Setzen wir aber den nicht wahrscheinlichen Fall, daß Gladstone das Votum
über die Olüwr<z zwar als Vertrauensvotum hinstellt, nach einer Ablehnung
der Maßregel aber nicht zurücktritt, sondern das Unterhaus auflöst, so kann
kein Engländer, der es mit seinem Lande wvhlmeint, mit Wohlgefallen dem
Chaos entgegensehen, das es in diesem Falle geben würde. Gladstone würde
sich dann mit der Behauptung an das Volk wenden, er habe große Reformen
beabsichtigt, das Unterhaus aber habe ihm das Mittel zu schleuniger Durch¬
führung derselben vorenthalten. Diese Behauptung würde ungerechtfertigt sein;
denn Beschleunigung läßt sich ohne die (Moro erzielen, und beide Haupt-
parteien des Parlaments sind gleich entschieden dafür, daß ungehörige Ver¬
schleppung für die Zukunft unmöglich gemacht werden muß. Aber bei der Wahl
würde man in Irland siebzig Homerulers ins Parlament absenden und wenigstens
vierzig englische Sitze vom Votum irischer Wähler beherrscht sehen. Angesichts
einer solchen Ansammlung von Unversöhnlichen würde entweder die Oloturv sehr
schwer zu handhaben sein, oder jede Dienstwilligkeit nach dieser Richtung hin
würde an die Bedingung geknüpft sein, daß der Premier sein vor kurzem ge¬
gebenes Versprechen einlöse, jeden praktischen Plan zu einem in Dublin lagerten
irischen Parlamente "wirksamer Erörterung" zu unterziehen. Ans jeden Fall
würde die irische Schwierigkeit, die, wenn diese unnötige Neuerung nicht beliebt
worden wäre, vertagt geblieben sein würde, wie Banquos Geist "mit zwanzig
Todeswunden auf dem Scheitel" wieder im Unterhause erscheinen, und alle die
England betreffenden Fragen, auf deren Lösung man seit Gladstones Amts¬
antritt sehnlich wartet, würden bis zu den griechischen Kalenden hinausge¬
schoben werden. Das ist die Alternative, vor welche Gladstones Plan das
Land stellt. Hier ein Erfolg, der die Liberalen als Zerstörer der freien
Meinungsäußerung, als Einführer der parlamentarischen Zensur erscheinen lassen,
dort eine Niederlage, welche Verwirrung und Verschleppung dringender Staats¬
angelegenheiten zur Folge haben würde.




Unter diesen Umstanden kann es leicht zu einer Ministerkrisis kvimnen, zumal
da die irischen Parlamentsmitglieder sich wahrscheinlich ans die Seite der Konser¬
vativen stellen werden. Die Liberalen zählen jetzt 334, die Konservativen 243
und die irischen Homerulers 56 Stimmen, die absolute Majorität der Liberalen
über eine Koalition der beiden andern Parteien beträgt daher nur 35 Stimmen.
In der soeben entschiedenen Frage über die Zulassung Bradlaughs ins Unter¬
haus stimmten 22 liberale Abgeordnete gegen die Negierung und 40 gaben gar
kein Votum ab. Wenn sich diesmal nur einige über die Hälfte dieser Disseu-
tirenden zu gleichem Verhalten entschlössen, so wäre das Schicksal des gegenwär¬
tigen Kabinets entschieden.

Setzen wir aber den nicht wahrscheinlichen Fall, daß Gladstone das Votum
über die Olüwr<z zwar als Vertrauensvotum hinstellt, nach einer Ablehnung
der Maßregel aber nicht zurücktritt, sondern das Unterhaus auflöst, so kann
kein Engländer, der es mit seinem Lande wvhlmeint, mit Wohlgefallen dem
Chaos entgegensehen, das es in diesem Falle geben würde. Gladstone würde
sich dann mit der Behauptung an das Volk wenden, er habe große Reformen
beabsichtigt, das Unterhaus aber habe ihm das Mittel zu schleuniger Durch¬
führung derselben vorenthalten. Diese Behauptung würde ungerechtfertigt sein;
denn Beschleunigung läßt sich ohne die (Moro erzielen, und beide Haupt-
parteien des Parlaments sind gleich entschieden dafür, daß ungehörige Ver¬
schleppung für die Zukunft unmöglich gemacht werden muß. Aber bei der Wahl
würde man in Irland siebzig Homerulers ins Parlament absenden und wenigstens
vierzig englische Sitze vom Votum irischer Wähler beherrscht sehen. Angesichts
einer solchen Ansammlung von Unversöhnlichen würde entweder die Oloturv sehr
schwer zu handhaben sein, oder jede Dienstwilligkeit nach dieser Richtung hin
würde an die Bedingung geknüpft sein, daß der Premier sein vor kurzem ge¬
gebenes Versprechen einlöse, jeden praktischen Plan zu einem in Dublin lagerten
irischen Parlamente „wirksamer Erörterung" zu unterziehen. Ans jeden Fall
würde die irische Schwierigkeit, die, wenn diese unnötige Neuerung nicht beliebt
worden wäre, vertagt geblieben sein würde, wie Banquos Geist „mit zwanzig
Todeswunden auf dem Scheitel" wieder im Unterhause erscheinen, und alle die
England betreffenden Fragen, auf deren Lösung man seit Gladstones Amts¬
antritt sehnlich wartet, würden bis zu den griechischen Kalenden hinausge¬
schoben werden. Das ist die Alternative, vor welche Gladstones Plan das
Land stellt. Hier ein Erfolg, der die Liberalen als Zerstörer der freien
Meinungsäußerung, als Einführer der parlamentarischen Zensur erscheinen lassen,
dort eine Niederlage, welche Verwirrung und Verschleppung dringender Staats¬
angelegenheiten zur Folge haben würde.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/495>, abgerufen am 26.06.2024.