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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gladstono und dio pnrlaiiu'nlarischo Rod^freiheit.

Courtuey und die, welche ihm zur Seite gestände", länger Stand halte", hätten
sie die Mehrheit unter ihrer Fahne vereinigen könne", so wiirde" England er¬
hebliche Verluste an Geld und Blut erspart worden sein, "ut seine Kriegsge¬
schichte wiirde das wenig ehrenvolle Kapitel von den Niederlagen i" de" Drachcn-
bergen nicht enthalten.

In Frankreich ist die Geschichte der Unheilszeiten des Landes eng ver¬
knüpft mit der Unterdrückung der Minoritäten. Seit viele" Jahrzehnten bestand
hier die Taktik der übermütigen Majoritäten darin, daß sie die Gegner mundtot
machten. Die Folge war, daß die Meinungen, denen man sein Ohr nicht leihen
wollte, aus der Deputirtenkammer auf die Straße hinabstiegen, oder daß ihre
Geringschätzung durch eine Invasion des Auslandes gerächt wurde. Die wenige"
gerecht und verständig denkenden Männer in Senat und Deputirtenkammer des
ersten Napoleon durften sich kein Wort gegen ihn erlauben, bis es zu spät war,
das Unglück abzuwenden, das er über das Land gebracht. Manuel wurde in
der Restaurationszeit durch Soldaten von seinem Sitz in der Kammer weg¬
geschleppt, aber die Unterdrückung der freien Rede wurde durch die Vertreibung
der Vourbvneu gestraft, die 1830 erfolgte. Guizot verachtete die Minoritäten
und schloß ihnen den Mund, bis sie sich hinter Barrikaden mit Flintenschüssen
Gehör verschafften. Während des zweiten Kaiserreichs blieben die Warnungen
der wenigen, die schärfer als die Regierung blickten, so gut wie ungehört.
Niemals konnte Thiers Gelegenheit finden, die unglaubliche Abgeschmacktheit
des Feldzugs "und Mexiko aufzudecken, und als er sich im Sommer 1870 er¬
hob, um die Thorheit der Kriegsgelüstc des Hofes zu zeigen, wurde er von
den Mamelucken niedergeschrieen und Schluß der Debatte verfügt.

Wir glauben nicht, daß die Welt sich seitdem so verändert habe, daß die
Majoritäten immer klüger urteilen werden als die Minoritäten. Es ist ferner
nicht zu erwarten, daß große Parteien, wenn die Gladftoneschen Vorschläge
Annahme finden, unter allen Umständen verständig genug sein werden, den Vor¬
stellungen der Gegner geduldig zuzuhören und reichlich Zeit zu Überlegung und
Überzeugung zu gewähren. Eine Geschäftsordnung, nach welcher der Vorsitzende
eines Abgeordnetenhauses sich durch brutalen Lärm bestimmen lassen soll, einem
Redner oder der Minderheit der Versammlung das Wort zu entziehen, wird
alles andre eher als eine Verbesserung des dort herrschenden Tones zur Folge
haben. Wenn die verschiedenen Meinungen sich aneinander reiben können, giebt
es Licht über die betreffende Angelegenheit. Man kann die Anfertigung von
Gesetzen durch Abkürzung der Verhandlungen über dieselben erleichtern und be¬
schleunigen; aber werden die Gesetze sich besser gestalten, wenn man den Ein¬
würfen gegen sie Schweigen auferlegt, statt sie zu hören? Wird die nützliche
Erörterung, welche jetzt allen Beschlüssen über Ncformmaßregeln vorausgeht, und
welche eine Reaktion auf Grund von Erfahrungen verhütet, indem sie reichliche
Erwägung derselben vor ihrem Gesetzwerden einschließt, ebenso sorgfältig und


Gladstono und dio pnrlaiiu'nlarischo Rod^freiheit.

Courtuey und die, welche ihm zur Seite gestände», länger Stand halte», hätten
sie die Mehrheit unter ihrer Fahne vereinigen könne», so wiirde» England er¬
hebliche Verluste an Geld und Blut erspart worden sein, »ut seine Kriegsge¬
schichte wiirde das wenig ehrenvolle Kapitel von den Niederlagen i» de» Drachcn-
bergen nicht enthalten.

In Frankreich ist die Geschichte der Unheilszeiten des Landes eng ver¬
knüpft mit der Unterdrückung der Minoritäten. Seit viele» Jahrzehnten bestand
hier die Taktik der übermütigen Majoritäten darin, daß sie die Gegner mundtot
machten. Die Folge war, daß die Meinungen, denen man sein Ohr nicht leihen
wollte, aus der Deputirtenkammer auf die Straße hinabstiegen, oder daß ihre
Geringschätzung durch eine Invasion des Auslandes gerächt wurde. Die wenige»
gerecht und verständig denkenden Männer in Senat und Deputirtenkammer des
ersten Napoleon durften sich kein Wort gegen ihn erlauben, bis es zu spät war,
das Unglück abzuwenden, das er über das Land gebracht. Manuel wurde in
der Restaurationszeit durch Soldaten von seinem Sitz in der Kammer weg¬
geschleppt, aber die Unterdrückung der freien Rede wurde durch die Vertreibung
der Vourbvneu gestraft, die 1830 erfolgte. Guizot verachtete die Minoritäten
und schloß ihnen den Mund, bis sie sich hinter Barrikaden mit Flintenschüssen
Gehör verschafften. Während des zweiten Kaiserreichs blieben die Warnungen
der wenigen, die schärfer als die Regierung blickten, so gut wie ungehört.
Niemals konnte Thiers Gelegenheit finden, die unglaubliche Abgeschmacktheit
des Feldzugs »und Mexiko aufzudecken, und als er sich im Sommer 1870 er¬
hob, um die Thorheit der Kriegsgelüstc des Hofes zu zeigen, wurde er von
den Mamelucken niedergeschrieen und Schluß der Debatte verfügt.

Wir glauben nicht, daß die Welt sich seitdem so verändert habe, daß die
Majoritäten immer klüger urteilen werden als die Minoritäten. Es ist ferner
nicht zu erwarten, daß große Parteien, wenn die Gladftoneschen Vorschläge
Annahme finden, unter allen Umständen verständig genug sein werden, den Vor¬
stellungen der Gegner geduldig zuzuhören und reichlich Zeit zu Überlegung und
Überzeugung zu gewähren. Eine Geschäftsordnung, nach welcher der Vorsitzende
eines Abgeordnetenhauses sich durch brutalen Lärm bestimmen lassen soll, einem
Redner oder der Minderheit der Versammlung das Wort zu entziehen, wird
alles andre eher als eine Verbesserung des dort herrschenden Tones zur Folge
haben. Wenn die verschiedenen Meinungen sich aneinander reiben können, giebt
es Licht über die betreffende Angelegenheit. Man kann die Anfertigung von
Gesetzen durch Abkürzung der Verhandlungen über dieselben erleichtern und be¬
schleunigen; aber werden die Gesetze sich besser gestalten, wenn man den Ein¬
würfen gegen sie Schweigen auferlegt, statt sie zu hören? Wird die nützliche
Erörterung, welche jetzt allen Beschlüssen über Ncformmaßregeln vorausgeht, und
welche eine Reaktion auf Grund von Erfahrungen verhütet, indem sie reichliche
Erwägung derselben vor ihrem Gesetzwerden einschließt, ebenso sorgfältig und


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[0493] Gladstono und dio pnrlaiiu'nlarischo Rod^freiheit. Courtuey und die, welche ihm zur Seite gestände», länger Stand halte», hätten sie die Mehrheit unter ihrer Fahne vereinigen könne», so wiirde» England er¬ hebliche Verluste an Geld und Blut erspart worden sein, »ut seine Kriegsge¬ schichte wiirde das wenig ehrenvolle Kapitel von den Niederlagen i» de» Drachcn- bergen nicht enthalten. In Frankreich ist die Geschichte der Unheilszeiten des Landes eng ver¬ knüpft mit der Unterdrückung der Minoritäten. Seit viele» Jahrzehnten bestand hier die Taktik der übermütigen Majoritäten darin, daß sie die Gegner mundtot machten. Die Folge war, daß die Meinungen, denen man sein Ohr nicht leihen wollte, aus der Deputirtenkammer auf die Straße hinabstiegen, oder daß ihre Geringschätzung durch eine Invasion des Auslandes gerächt wurde. Die wenige» gerecht und verständig denkenden Männer in Senat und Deputirtenkammer des ersten Napoleon durften sich kein Wort gegen ihn erlauben, bis es zu spät war, das Unglück abzuwenden, das er über das Land gebracht. Manuel wurde in der Restaurationszeit durch Soldaten von seinem Sitz in der Kammer weg¬ geschleppt, aber die Unterdrückung der freien Rede wurde durch die Vertreibung der Vourbvneu gestraft, die 1830 erfolgte. Guizot verachtete die Minoritäten und schloß ihnen den Mund, bis sie sich hinter Barrikaden mit Flintenschüssen Gehör verschafften. Während des zweiten Kaiserreichs blieben die Warnungen der wenigen, die schärfer als die Regierung blickten, so gut wie ungehört. Niemals konnte Thiers Gelegenheit finden, die unglaubliche Abgeschmacktheit des Feldzugs »und Mexiko aufzudecken, und als er sich im Sommer 1870 er¬ hob, um die Thorheit der Kriegsgelüstc des Hofes zu zeigen, wurde er von den Mamelucken niedergeschrieen und Schluß der Debatte verfügt. Wir glauben nicht, daß die Welt sich seitdem so verändert habe, daß die Majoritäten immer klüger urteilen werden als die Minoritäten. Es ist ferner nicht zu erwarten, daß große Parteien, wenn die Gladftoneschen Vorschläge Annahme finden, unter allen Umständen verständig genug sein werden, den Vor¬ stellungen der Gegner geduldig zuzuhören und reichlich Zeit zu Überlegung und Überzeugung zu gewähren. Eine Geschäftsordnung, nach welcher der Vorsitzende eines Abgeordnetenhauses sich durch brutalen Lärm bestimmen lassen soll, einem Redner oder der Minderheit der Versammlung das Wort zu entziehen, wird alles andre eher als eine Verbesserung des dort herrschenden Tones zur Folge haben. Wenn die verschiedenen Meinungen sich aneinander reiben können, giebt es Licht über die betreffende Angelegenheit. Man kann die Anfertigung von Gesetzen durch Abkürzung der Verhandlungen über dieselben erleichtern und be¬ schleunigen; aber werden die Gesetze sich besser gestalten, wenn man den Ein¬ würfen gegen sie Schweigen auferlegt, statt sie zu hören? Wird die nützliche Erörterung, welche jetzt allen Beschlüssen über Ncformmaßregeln vorausgeht, und welche eine Reaktion auf Grund von Erfahrungen verhütet, indem sie reichliche Erwägung derselben vor ihrem Gesetzwerden einschließt, ebenso sorgfältig und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/493>, abgerufen am 26.06.2024.