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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Glndstone nud die part(,>neularische Redefreiheit.

oder minder rückhaltlos gehandhabtes Werkzeug zur Einschüchterung und Läh¬
mung der freien Meinungsäußerung werden und das Unterhaus in eine fran¬
zösische Deputirtenkammer verwandeln, die sich von jenem durch wenig mehr
unterschiede als dadurch, daß sie in englischer Sprache verhandelte.

Wird die Gladstvnesche Llüwr-z angenommen, so werden in das Haus der
Gemeinen allerlei Dinge wieder ihren Einzug halten, die man nicht anders als
Unart und Unfug nennen kann. "Der Verstand der Versammlung ist auf meiner
Seite," rief ein Volksredner. "Aber auf meiner ist der Unverstand, und das
führt besser zum Zwecke," flüsterte sein Gegner dem Nachbar zu. Unter der
neuen Geschäftsordnung wird es schwer sein, das eine vom andern zu unter¬
scheiden. Wenn der Sprecher oder der Vorsitzende bemerkt, so heißt es in dem
Vorschlage, "daß die Stimmung im Hause augenscheinlich für Schluß der De¬
batte ist, so soll er über eine dahin gehende Frage abstimmen lassen." Aber
wie soll er sich über diese "augenscheinliche Stimmung" Gewißheit verschaffen?
Je nnn, selbstverständlich mit den Angen, die ihm ein fast leeres Haus, unauf¬
merksame Haltung der Zurückgebliebenen, gähnende, sanft eingeschlafene, verstohlen
in einer Zeitung oder einem Buche lesende Landboten zeigen. Es steht aber
zu fürchten, daß der Vorsitzende Beamte Gelegenheit finden wird, sich auch durch
das Ohr zu überzeugen, daß das Hans ungeduldig geworden ist und der Ver-
handlung ein Ende gemacht zu sehen wünscht. Leicht kann die alte Zeit wieder¬
kehren, wo es britische Volksvertreter gab, die sich weniger dnrch Redegabe oder
ein noch viel wertvolleres fleißiges Arbeiten in den Ausschüssen, als durch Ge¬
schick in der Nachahmung von Tierstimmen hervorthaten. Noch vor vierzig
Jahren etwa geschah es nicht selten, daß mitten in der langatmigen Rede eines
nnbeliebten Mitglieds, nachdem das Gesumme der sich unterhaltenden Kollegen
von lauten Rufen nach Abstimmung unterbrochen worden und anch diese bei
dem beharrlichen Geiste, der das Wort hatte, nichts gefruchtet hatten, sich plötz¬
lich das Krähen eines Hahnes oder das langgezogne Geplärr eines Eseleins
vernehmen ließ. Seit 1844 ist das außer Gebrauch gekommen, aber noch vor
nicht langer Zeit hat man Redner, die man nicht mehr hören wollte, trotz aller
ihrer Bemühung, weiter zu sprechen, schnöde niedergeschrieen. soll diese ge¬
waltsame Manier, die Stimmung des Hauses darzuthun, wieder Mode werden?
Soll der Sprecher durch Lärm gezwungen werden, die Debatte zu schließen?
Fast sieht eS so aus. Statt deu Führer der Versammlung für diesen Vor¬
schlag verantwortlich zu machen oder zu dem Zwecke eine von einer bestimmten
Anzahl von Mitgliedern unterzeichnete Eingabe an denselben zu verlangen, erlaubt
der Gladstvnesche Vorschlag ihm nach Eindrücken zu Verfahren, die er nicht aus
einer Rede oder einem Antrage, sondern ans unklaren Andeutungen, Anzeichen
oder Geräuschen gewinnt, als ob der Himmel den Vertretern der "hochgebildeten"
britischen Nation die Gilde artikulirter Sprache versagt hätte.

Die englische Gesetzgebung hat in dem letzte" Jahre so arge und grobe Hemmung


Glndstone nud die part(,>neularische Redefreiheit.

oder minder rückhaltlos gehandhabtes Werkzeug zur Einschüchterung und Läh¬
mung der freien Meinungsäußerung werden und das Unterhaus in eine fran¬
zösische Deputirtenkammer verwandeln, die sich von jenem durch wenig mehr
unterschiede als dadurch, daß sie in englischer Sprache verhandelte.

Wird die Gladstvnesche Llüwr-z angenommen, so werden in das Haus der
Gemeinen allerlei Dinge wieder ihren Einzug halten, die man nicht anders als
Unart und Unfug nennen kann. „Der Verstand der Versammlung ist auf meiner
Seite," rief ein Volksredner. „Aber auf meiner ist der Unverstand, und das
führt besser zum Zwecke," flüsterte sein Gegner dem Nachbar zu. Unter der
neuen Geschäftsordnung wird es schwer sein, das eine vom andern zu unter¬
scheiden. Wenn der Sprecher oder der Vorsitzende bemerkt, so heißt es in dem
Vorschlage, „daß die Stimmung im Hause augenscheinlich für Schluß der De¬
batte ist, so soll er über eine dahin gehende Frage abstimmen lassen." Aber
wie soll er sich über diese „augenscheinliche Stimmung" Gewißheit verschaffen?
Je nnn, selbstverständlich mit den Angen, die ihm ein fast leeres Haus, unauf¬
merksame Haltung der Zurückgebliebenen, gähnende, sanft eingeschlafene, verstohlen
in einer Zeitung oder einem Buche lesende Landboten zeigen. Es steht aber
zu fürchten, daß der Vorsitzende Beamte Gelegenheit finden wird, sich auch durch
das Ohr zu überzeugen, daß das Hans ungeduldig geworden ist und der Ver-
handlung ein Ende gemacht zu sehen wünscht. Leicht kann die alte Zeit wieder¬
kehren, wo es britische Volksvertreter gab, die sich weniger dnrch Redegabe oder
ein noch viel wertvolleres fleißiges Arbeiten in den Ausschüssen, als durch Ge¬
schick in der Nachahmung von Tierstimmen hervorthaten. Noch vor vierzig
Jahren etwa geschah es nicht selten, daß mitten in der langatmigen Rede eines
nnbeliebten Mitglieds, nachdem das Gesumme der sich unterhaltenden Kollegen
von lauten Rufen nach Abstimmung unterbrochen worden und anch diese bei
dem beharrlichen Geiste, der das Wort hatte, nichts gefruchtet hatten, sich plötz¬
lich das Krähen eines Hahnes oder das langgezogne Geplärr eines Eseleins
vernehmen ließ. Seit 1844 ist das außer Gebrauch gekommen, aber noch vor
nicht langer Zeit hat man Redner, die man nicht mehr hören wollte, trotz aller
ihrer Bemühung, weiter zu sprechen, schnöde niedergeschrieen. soll diese ge¬
waltsame Manier, die Stimmung des Hauses darzuthun, wieder Mode werden?
Soll der Sprecher durch Lärm gezwungen werden, die Debatte zu schließen?
Fast sieht eS so aus. Statt deu Führer der Versammlung für diesen Vor¬
schlag verantwortlich zu machen oder zu dem Zwecke eine von einer bestimmten
Anzahl von Mitgliedern unterzeichnete Eingabe an denselben zu verlangen, erlaubt
der Gladstvnesche Vorschlag ihm nach Eindrücken zu Verfahren, die er nicht aus
einer Rede oder einem Antrage, sondern ans unklaren Andeutungen, Anzeichen
oder Geräuschen gewinnt, als ob der Himmel den Vertretern der „hochgebildeten"
britischen Nation die Gilde artikulirter Sprache versagt hätte.

Die englische Gesetzgebung hat in dem letzte» Jahre so arge und grobe Hemmung


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[0491] Glndstone nud die part(,>neularische Redefreiheit. oder minder rückhaltlos gehandhabtes Werkzeug zur Einschüchterung und Läh¬ mung der freien Meinungsäußerung werden und das Unterhaus in eine fran¬ zösische Deputirtenkammer verwandeln, die sich von jenem durch wenig mehr unterschiede als dadurch, daß sie in englischer Sprache verhandelte. Wird die Gladstvnesche Llüwr-z angenommen, so werden in das Haus der Gemeinen allerlei Dinge wieder ihren Einzug halten, die man nicht anders als Unart und Unfug nennen kann. „Der Verstand der Versammlung ist auf meiner Seite," rief ein Volksredner. „Aber auf meiner ist der Unverstand, und das führt besser zum Zwecke," flüsterte sein Gegner dem Nachbar zu. Unter der neuen Geschäftsordnung wird es schwer sein, das eine vom andern zu unter¬ scheiden. Wenn der Sprecher oder der Vorsitzende bemerkt, so heißt es in dem Vorschlage, „daß die Stimmung im Hause augenscheinlich für Schluß der De¬ batte ist, so soll er über eine dahin gehende Frage abstimmen lassen." Aber wie soll er sich über diese „augenscheinliche Stimmung" Gewißheit verschaffen? Je nnn, selbstverständlich mit den Angen, die ihm ein fast leeres Haus, unauf¬ merksame Haltung der Zurückgebliebenen, gähnende, sanft eingeschlafene, verstohlen in einer Zeitung oder einem Buche lesende Landboten zeigen. Es steht aber zu fürchten, daß der Vorsitzende Beamte Gelegenheit finden wird, sich auch durch das Ohr zu überzeugen, daß das Hans ungeduldig geworden ist und der Ver- handlung ein Ende gemacht zu sehen wünscht. Leicht kann die alte Zeit wieder¬ kehren, wo es britische Volksvertreter gab, die sich weniger dnrch Redegabe oder ein noch viel wertvolleres fleißiges Arbeiten in den Ausschüssen, als durch Ge¬ schick in der Nachahmung von Tierstimmen hervorthaten. Noch vor vierzig Jahren etwa geschah es nicht selten, daß mitten in der langatmigen Rede eines nnbeliebten Mitglieds, nachdem das Gesumme der sich unterhaltenden Kollegen von lauten Rufen nach Abstimmung unterbrochen worden und anch diese bei dem beharrlichen Geiste, der das Wort hatte, nichts gefruchtet hatten, sich plötz¬ lich das Krähen eines Hahnes oder das langgezogne Geplärr eines Eseleins vernehmen ließ. Seit 1844 ist das außer Gebrauch gekommen, aber noch vor nicht langer Zeit hat man Redner, die man nicht mehr hören wollte, trotz aller ihrer Bemühung, weiter zu sprechen, schnöde niedergeschrieen. soll diese ge¬ waltsame Manier, die Stimmung des Hauses darzuthun, wieder Mode werden? Soll der Sprecher durch Lärm gezwungen werden, die Debatte zu schließen? Fast sieht eS so aus. Statt deu Führer der Versammlung für diesen Vor¬ schlag verantwortlich zu machen oder zu dem Zwecke eine von einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern unterzeichnete Eingabe an denselben zu verlangen, erlaubt der Gladstvnesche Vorschlag ihm nach Eindrücken zu Verfahren, die er nicht aus einer Rede oder einem Antrage, sondern ans unklaren Andeutungen, Anzeichen oder Geräuschen gewinnt, als ob der Himmel den Vertretern der „hochgebildeten" britischen Nation die Gilde artikulirter Sprache versagt hätte. Die englische Gesetzgebung hat in dem letzte» Jahre so arge und grobe Hemmung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/491>, abgerufen am 26.06.2024.