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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Chyrsostrciger,

raffte er sich mit einem Gefühl des Unmuts über die eigene Schlechtigkeit ans,
traf seine Wahl, bezahlte, lies; die Sachen an die Adresse seines Freundes Lehmann
bringen und ging im Sturmschritt nach Hause, fest entschlossen, keinen Fuß wieder
in die gefährlich gewordene Wohnung zu setzen und an Betts nicht mehr zu denken.

Als er aber vor dein Reißbrett saß, bekam der Stift in seiner Hand ein
eigenes Leben, In der Ecke des Blattes, auf welchem eine perspektivische Zeichnung
sich entwickelte, entstand eine weibliche Gestalt in griechischer Tracht, und Eduard
warf errötend das Blei von sich, als er bemerkte, wie ähnlich diese Gestalt der
schönen Waise Betty war.




Zehntes Aapitel.
An der Wurzel des Giftbaums.

Ein Glück, wie Götter es den Menschen
Als ihres knnftgen Zornes Vorwand leihn.

Freiherr Simon von Lvvendal feierte seinen siebzigsten Geburtstag. Er
war um diesem Tage nicht in das Geschäftshaus in die Stadt gefahren, sondern
brachte den Morgen in seiner Villa zu, um dem Gewühl von Gratulanten zu
entgehen, welches, wie er fürchtete, gar zu groß werden würde, wenn er sich im
Mittelpunkt des Verkehrs aufhielte. Er hatte in der Stadt mir ein Buch zum
Einschreiben auflegen lassen und dem ältesten Kommis eine Summe von sechzig-
tausend Mark zur Verfügung gestellt, um sie mit weiser Beurteilung deu Armen
der Stadt und den Vorständen der wohlthätigen Anstalten zuzuwenden, sowie
an diejenigen Gratnlirenden zu verteilen, welche den festlichen Tag zum Vor-
wand einer Bitte um Unterstützung benutzen würden.

Gott hat mich reichlich gesegnet, sagte sich der alte Mann, als er mit
einem dankbaren Blick auf die Fülle seiner Güter und die Zahl seiner Jahre
diese Summe anwies. Und die Leute sollen sehen, was Simon Lovendal kann,
fügte er im Stillen dieser frommen Betrachtung hinzu.

Es schwebte ihm im Geiste der Gott seiner Väter vor, der Gott Abra¬
hams, Jsaaks und Jakobs, der starke Jehvvay, der sein Volk aus Ägypten ge¬
führt hatte in das Land, wo Milch und Honig fließt.

Der alte Lvvendal saß in seinem Arbeitszimmer in der Villa, ähnlich einem
Schuhu in einem vergoldeten Käfig. Denn das Zimmer war wohl gleich dem
ganzen Gebäude ein Muster von Reichtum und Eleganz, er selbst aber war gar
nicht schon. Das Gemach bildete eine Ecke des Hauses und hatte sechs Wände
von schwarzem Marmor in Pavillonfvrm. Vier Wände waren vom Sockel bis
zur Decke hinauf bemalt, in der fünften befand sich die Thür in Pfosten von


Bakchen und Chyrsostrciger,

raffte er sich mit einem Gefühl des Unmuts über die eigene Schlechtigkeit ans,
traf seine Wahl, bezahlte, lies; die Sachen an die Adresse seines Freundes Lehmann
bringen und ging im Sturmschritt nach Hause, fest entschlossen, keinen Fuß wieder
in die gefährlich gewordene Wohnung zu setzen und an Betts nicht mehr zu denken.

Als er aber vor dein Reißbrett saß, bekam der Stift in seiner Hand ein
eigenes Leben, In der Ecke des Blattes, auf welchem eine perspektivische Zeichnung
sich entwickelte, entstand eine weibliche Gestalt in griechischer Tracht, und Eduard
warf errötend das Blei von sich, als er bemerkte, wie ähnlich diese Gestalt der
schönen Waise Betty war.




Zehntes Aapitel.
An der Wurzel des Giftbaums.

Ein Glück, wie Götter es den Menschen
Als ihres knnftgen Zornes Vorwand leihn.

Freiherr Simon von Lvvendal feierte seinen siebzigsten Geburtstag. Er
war um diesem Tage nicht in das Geschäftshaus in die Stadt gefahren, sondern
brachte den Morgen in seiner Villa zu, um dem Gewühl von Gratulanten zu
entgehen, welches, wie er fürchtete, gar zu groß werden würde, wenn er sich im
Mittelpunkt des Verkehrs aufhielte. Er hatte in der Stadt mir ein Buch zum
Einschreiben auflegen lassen und dem ältesten Kommis eine Summe von sechzig-
tausend Mark zur Verfügung gestellt, um sie mit weiser Beurteilung deu Armen
der Stadt und den Vorständen der wohlthätigen Anstalten zuzuwenden, sowie
an diejenigen Gratnlirenden zu verteilen, welche den festlichen Tag zum Vor-
wand einer Bitte um Unterstützung benutzen würden.

Gott hat mich reichlich gesegnet, sagte sich der alte Mann, als er mit
einem dankbaren Blick auf die Fülle seiner Güter und die Zahl seiner Jahre
diese Summe anwies. Und die Leute sollen sehen, was Simon Lovendal kann,
fügte er im Stillen dieser frommen Betrachtung hinzu.

Es schwebte ihm im Geiste der Gott seiner Väter vor, der Gott Abra¬
hams, Jsaaks und Jakobs, der starke Jehvvay, der sein Volk aus Ägypten ge¬
führt hatte in das Land, wo Milch und Honig fließt.

Der alte Lvvendal saß in seinem Arbeitszimmer in der Villa, ähnlich einem
Schuhu in einem vergoldeten Käfig. Denn das Zimmer war wohl gleich dem
ganzen Gebäude ein Muster von Reichtum und Eleganz, er selbst aber war gar
nicht schon. Das Gemach bildete eine Ecke des Hauses und hatte sechs Wände
von schwarzem Marmor in Pavillonfvrm. Vier Wände waren vom Sockel bis
zur Decke hinauf bemalt, in der fünften befand sich die Thür in Pfosten von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/482>, abgerufen am 26.06.2024.