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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

der Schweiß vini der Stirn läuft, und kommen nie ans Ziel, wenn sie nicht fühlen,
was die Schönheit ist.

Du begreifst nun, lieber Freund, sagte der Maler, weshalb ich so erpicht
darauf bin, unsern Gast gegen alle Höflichkeit gleich in den ersten Stunden seiner
nicht mehr schlafenden liebenswürdige" Anwesenheit zum Dienst der Musen zu
presse". Ich fühle mein Genie hier lebhaft unterstützt.

Freilich, sagte Eduard,

Er war einsilbig. Er zerbrach sich den Kopf über die Zukunft Bettys,
war mit dem Plan der Frau Lehmann, je länger er ihn überlegte, desto unzu¬
friedener, wußte aber keinen bessern. Die Gegenwart des jungen Mädchens,
das mit großen, stillen Augen und mit lebhaftestem Anteil der Unterhaltung
zuhörte und, wie es schien, den Ton von Eduards Stimme begierig einsog, wiegte
ihn in ein süßes Wohlbehagen, worin ihm dritte Personen lästig erschienen, während
ihn der Gedanke, daß der Genuß ihres Anblicks ein kurz bemessener und im Grunde
verbotener sei, geradezu peinigte.

Indessen behielt doch die rauhe Wirklichkeit ihr Recht, Frau Lehmann
sprach ihre Meinung über Bettys Zukunft aus, und diese ging mit dankbaren
Worten und Blicken auf ihren Plan ein. So sollte denn noch an demselben
Tage ein Brief nach Kürbisdorf abgehen, und mau konnte, nach Frau Lehmanns
Meinung, annehmen, daß Betty in wenig Tagen wohlgeborgen an ihrem neuen
Aufenthaltsort sein werde, Eduard hatte keinen Grund, sich uoch länger auf¬
zuhalten. Er empfahl sich. Auf Bettys Gesicht wechselten die Farben, als sie
ihm zum Abschiede die Hand gab und ihm nochmals unter Thränen dankte.
Er ging lind ward von einem traumhaften Gefühl begleitet, welches ihn immer
wieder mitleidig an das arme Mädchen mit dein Wunsche denken ließ, das Schicksal
möge ihr von uun an günstiger sein als bisher. Als er an einem Konfektions¬
geschäft vorüberkam, fiel ihm etwas ein, was er ihr zu Gefallen thun könnte.
Sie war so ärmlich ausgestattet.

Er trat ein und ließ sich allerhand Kleider, Paletots, und was sonst zu
einem weiblichen Anzüge gehört, vorzeigen. Nur mit Mühe faud er unter den
jungen Mädchen des Geschäfts eine Figur, die seinem Augenmaß nach annähernd
die schönen Verhältnisse seines Schützlings hatte, um ihm bei der Probe behilflich
zu sein. Er konnte sich bei dieser Auswahl nicht enthalten, obwohl ihm sein
Gewissen lebhafte Vorwürfe deswegen machte, sich in die Lage hineinzudenken,
als suche er für ein weibliches Wesen aus, welches ganz sein eigen sei. Wenn
die jungen Damen des kleiderfrohen Händlers vor ihm paradirten, trug seine
ungehorsame Einbildungskraft die schvnäugige sanfte Betty herbei und malte ihm
ein Glück vor, an welches er doch nicht denken durfte -- auch nicht denken wollte.
Es bedürfte wiederholter Anreden und Ermunterungen, um ihn aus einer Träumerei
zu erwecken, in die er immer wieder versank.

Endlich, als der Verkäufer schon ungeduldig seiner Unschlüssigkeit zusah,


Grmzbown I. 1382, 60
Bakchen und Thyrsosträger.

der Schweiß vini der Stirn läuft, und kommen nie ans Ziel, wenn sie nicht fühlen,
was die Schönheit ist.

Du begreifst nun, lieber Freund, sagte der Maler, weshalb ich so erpicht
darauf bin, unsern Gast gegen alle Höflichkeit gleich in den ersten Stunden seiner
nicht mehr schlafenden liebenswürdige» Anwesenheit zum Dienst der Musen zu
presse». Ich fühle mein Genie hier lebhaft unterstützt.

Freilich, sagte Eduard,

Er war einsilbig. Er zerbrach sich den Kopf über die Zukunft Bettys,
war mit dem Plan der Frau Lehmann, je länger er ihn überlegte, desto unzu¬
friedener, wußte aber keinen bessern. Die Gegenwart des jungen Mädchens,
das mit großen, stillen Augen und mit lebhaftestem Anteil der Unterhaltung
zuhörte und, wie es schien, den Ton von Eduards Stimme begierig einsog, wiegte
ihn in ein süßes Wohlbehagen, worin ihm dritte Personen lästig erschienen, während
ihn der Gedanke, daß der Genuß ihres Anblicks ein kurz bemessener und im Grunde
verbotener sei, geradezu peinigte.

Indessen behielt doch die rauhe Wirklichkeit ihr Recht, Frau Lehmann
sprach ihre Meinung über Bettys Zukunft aus, und diese ging mit dankbaren
Worten und Blicken auf ihren Plan ein. So sollte denn noch an demselben
Tage ein Brief nach Kürbisdorf abgehen, und mau konnte, nach Frau Lehmanns
Meinung, annehmen, daß Betty in wenig Tagen wohlgeborgen an ihrem neuen
Aufenthaltsort sein werde, Eduard hatte keinen Grund, sich uoch länger auf¬
zuhalten. Er empfahl sich. Auf Bettys Gesicht wechselten die Farben, als sie
ihm zum Abschiede die Hand gab und ihm nochmals unter Thränen dankte.
Er ging lind ward von einem traumhaften Gefühl begleitet, welches ihn immer
wieder mitleidig an das arme Mädchen mit dein Wunsche denken ließ, das Schicksal
möge ihr von uun an günstiger sein als bisher. Als er an einem Konfektions¬
geschäft vorüberkam, fiel ihm etwas ein, was er ihr zu Gefallen thun könnte.
Sie war so ärmlich ausgestattet.

Er trat ein und ließ sich allerhand Kleider, Paletots, und was sonst zu
einem weiblichen Anzüge gehört, vorzeigen. Nur mit Mühe faud er unter den
jungen Mädchen des Geschäfts eine Figur, die seinem Augenmaß nach annähernd
die schönen Verhältnisse seines Schützlings hatte, um ihm bei der Probe behilflich
zu sein. Er konnte sich bei dieser Auswahl nicht enthalten, obwohl ihm sein
Gewissen lebhafte Vorwürfe deswegen machte, sich in die Lage hineinzudenken,
als suche er für ein weibliches Wesen aus, welches ganz sein eigen sei. Wenn
die jungen Damen des kleiderfrohen Händlers vor ihm paradirten, trug seine
ungehorsame Einbildungskraft die schvnäugige sanfte Betty herbei und malte ihm
ein Glück vor, an welches er doch nicht denken durfte — auch nicht denken wollte.
Es bedürfte wiederholter Anreden und Ermunterungen, um ihn aus einer Träumerei
zu erwecken, in die er immer wieder versank.

Endlich, als der Verkäufer schon ungeduldig seiner Unschlüssigkeit zusah,


Grmzbown I. 1382, 60
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[0481] Bakchen und Thyrsosträger. der Schweiß vini der Stirn läuft, und kommen nie ans Ziel, wenn sie nicht fühlen, was die Schönheit ist. Du begreifst nun, lieber Freund, sagte der Maler, weshalb ich so erpicht darauf bin, unsern Gast gegen alle Höflichkeit gleich in den ersten Stunden seiner nicht mehr schlafenden liebenswürdige» Anwesenheit zum Dienst der Musen zu presse». Ich fühle mein Genie hier lebhaft unterstützt. Freilich, sagte Eduard, Er war einsilbig. Er zerbrach sich den Kopf über die Zukunft Bettys, war mit dem Plan der Frau Lehmann, je länger er ihn überlegte, desto unzu¬ friedener, wußte aber keinen bessern. Die Gegenwart des jungen Mädchens, das mit großen, stillen Augen und mit lebhaftestem Anteil der Unterhaltung zuhörte und, wie es schien, den Ton von Eduards Stimme begierig einsog, wiegte ihn in ein süßes Wohlbehagen, worin ihm dritte Personen lästig erschienen, während ihn der Gedanke, daß der Genuß ihres Anblicks ein kurz bemessener und im Grunde verbotener sei, geradezu peinigte. Indessen behielt doch die rauhe Wirklichkeit ihr Recht, Frau Lehmann sprach ihre Meinung über Bettys Zukunft aus, und diese ging mit dankbaren Worten und Blicken auf ihren Plan ein. So sollte denn noch an demselben Tage ein Brief nach Kürbisdorf abgehen, und mau konnte, nach Frau Lehmanns Meinung, annehmen, daß Betty in wenig Tagen wohlgeborgen an ihrem neuen Aufenthaltsort sein werde, Eduard hatte keinen Grund, sich uoch länger auf¬ zuhalten. Er empfahl sich. Auf Bettys Gesicht wechselten die Farben, als sie ihm zum Abschiede die Hand gab und ihm nochmals unter Thränen dankte. Er ging lind ward von einem traumhaften Gefühl begleitet, welches ihn immer wieder mitleidig an das arme Mädchen mit dein Wunsche denken ließ, das Schicksal möge ihr von uun an günstiger sein als bisher. Als er an einem Konfektions¬ geschäft vorüberkam, fiel ihm etwas ein, was er ihr zu Gefallen thun könnte. Sie war so ärmlich ausgestattet. Er trat ein und ließ sich allerhand Kleider, Paletots, und was sonst zu einem weiblichen Anzüge gehört, vorzeigen. Nur mit Mühe faud er unter den jungen Mädchen des Geschäfts eine Figur, die seinem Augenmaß nach annähernd die schönen Verhältnisse seines Schützlings hatte, um ihm bei der Probe behilflich zu sein. Er konnte sich bei dieser Auswahl nicht enthalten, obwohl ihm sein Gewissen lebhafte Vorwürfe deswegen machte, sich in die Lage hineinzudenken, als suche er für ein weibliches Wesen aus, welches ganz sein eigen sei. Wenn die jungen Damen des kleiderfrohen Händlers vor ihm paradirten, trug seine ungehorsame Einbildungskraft die schvnäugige sanfte Betty herbei und malte ihm ein Glück vor, an welches er doch nicht denken durfte — auch nicht denken wollte. Es bedürfte wiederholter Anreden und Ermunterungen, um ihn aus einer Träumerei zu erwecken, in die er immer wieder versank. Endlich, als der Verkäufer schon ungeduldig seiner Unschlüssigkeit zusah, Grmzbown I. 1382, 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/481>, abgerufen am 26.06.2024.