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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcikchei? und Thyrsosträger.

kehrte in tels Atelier zurück, um Betty die Sache vorzustellen und sie zu fragen,
ob ihr solche Schritte recht seien.

Es kam Eduard jedoch, als er das liebliche Gesicht wieder vor sich sah,
eine Verlegenheit bei dem Gedanken, er solle dies schöne Wesen fragen, ob
sie zu einem Landpfarrer in die Gesellschaft von fünf unerzogenen Buben gehen
wolle, und er machte sich vorläufig damit zu schaffen, daß er an die Staffelei
trat und, nicht ohne Neid, die Malerei kritisirte. Seinem Gefühle nach wäre
der äußere Glanz einer Prinzessin die rechte Hülle für so viel Grazie gewesen.

Du willst nur ein Porträt geben? sagte er.

Nur ein Porträt? fragte der Miller zurück. Das Porträt ist meiner Meinung
nach der schwierigste Teil der Kunst.

Möglich, aber es ist doch zugleich auch der materiellste.

Inwiefern?

Weil du nur die Natur zu kopiren brauchst und der Gegenstand völlig
gegeben ist.

Dann ist es zu verwundern, mein lieber Freund, entgegnete der Maler,
warum es so äußerst wenig ausgezeichnete Porträtmaler giebt. Aber ich will
dir sagen, es giebt drei verschiedene Arten von Porträts, abgesehen natürlich von
solchem Schund, der gar nicht ähnlich ist. Die eine Art giebt ein Gesicht wieder,
macht es aber häßlich. Die zweite Art giebt das Gesicht in seiner Natürlichkeit
wieder, ohne etwas zu nehmen noch etwas hinzuzuthun. Die dritte Art giebt
eine völlige Ähnlichkeit, aber fügt den Schimmer der Schönheit hinzu. Nur die
letzte Art steht auf der Höhe, und solcher Künstler, die sich in ihr bemerklich
machen, giebt es verzweifelt wenige. Außer Angely, Lenbach und Millais wüßte
ich nicht viele zu nennen.

Ich sollte denken, warf seine Frau ein, das beste Bildnis wäre stets das
ähnlichste, und es dürfte durchaus uicht verschönt werden, weil doch jede Ver¬
schönung vou der Wahrheit abweicht. Aber natürlich machen die Schmeichler
das meiste Glück.

Da bist du ganz im Irrtum, mein Schatz. Ein guter Maler muß eine
ganz häßliche Person so malen können, daß sie schön aussieht, während sie zugleich
so gut getroffen ist, daß kein Mensch imstande ist, zu sagen, in welchem Zuge
eine Abweichung von der Natur stattfindet. Das ist das Geheimnis der Kunst.
Wenn es nicht um die Schönheit wäre, so könnte eben ein jeder malen.

Wie willst du das erklären? fragte seine Frau.

Erklären läßt es sich nicht, aber es ist so. Es muß ein gewisser Zauber
im Kopfe des Malers sitzen, der ohne seine Absicht und ohne sein Wissen durch
den Arm läuft Und aus dem Pinsel hervorströmt. Man nennt das Genie,
und wer es nicht hat, der kann es auch nicht lernen.

Du hast ganz Recht, sagte Eduard nachdenklich. Es ist damit, wie mit
jeder andern Kunst. Die Leute quälen sich ab, studiren und arbeiten, daß ihnen


Bcikchei? und Thyrsosträger.

kehrte in tels Atelier zurück, um Betty die Sache vorzustellen und sie zu fragen,
ob ihr solche Schritte recht seien.

Es kam Eduard jedoch, als er das liebliche Gesicht wieder vor sich sah,
eine Verlegenheit bei dem Gedanken, er solle dies schöne Wesen fragen, ob
sie zu einem Landpfarrer in die Gesellschaft von fünf unerzogenen Buben gehen
wolle, und er machte sich vorläufig damit zu schaffen, daß er an die Staffelei
trat und, nicht ohne Neid, die Malerei kritisirte. Seinem Gefühle nach wäre
der äußere Glanz einer Prinzessin die rechte Hülle für so viel Grazie gewesen.

Du willst nur ein Porträt geben? sagte er.

Nur ein Porträt? fragte der Miller zurück. Das Porträt ist meiner Meinung
nach der schwierigste Teil der Kunst.

Möglich, aber es ist doch zugleich auch der materiellste.

Inwiefern?

Weil du nur die Natur zu kopiren brauchst und der Gegenstand völlig
gegeben ist.

Dann ist es zu verwundern, mein lieber Freund, entgegnete der Maler,
warum es so äußerst wenig ausgezeichnete Porträtmaler giebt. Aber ich will
dir sagen, es giebt drei verschiedene Arten von Porträts, abgesehen natürlich von
solchem Schund, der gar nicht ähnlich ist. Die eine Art giebt ein Gesicht wieder,
macht es aber häßlich. Die zweite Art giebt das Gesicht in seiner Natürlichkeit
wieder, ohne etwas zu nehmen noch etwas hinzuzuthun. Die dritte Art giebt
eine völlige Ähnlichkeit, aber fügt den Schimmer der Schönheit hinzu. Nur die
letzte Art steht auf der Höhe, und solcher Künstler, die sich in ihr bemerklich
machen, giebt es verzweifelt wenige. Außer Angely, Lenbach und Millais wüßte
ich nicht viele zu nennen.

Ich sollte denken, warf seine Frau ein, das beste Bildnis wäre stets das
ähnlichste, und es dürfte durchaus uicht verschönt werden, weil doch jede Ver¬
schönung vou der Wahrheit abweicht. Aber natürlich machen die Schmeichler
das meiste Glück.

Da bist du ganz im Irrtum, mein Schatz. Ein guter Maler muß eine
ganz häßliche Person so malen können, daß sie schön aussieht, während sie zugleich
so gut getroffen ist, daß kein Mensch imstande ist, zu sagen, in welchem Zuge
eine Abweichung von der Natur stattfindet. Das ist das Geheimnis der Kunst.
Wenn es nicht um die Schönheit wäre, so könnte eben ein jeder malen.

Wie willst du das erklären? fragte seine Frau.

Erklären läßt es sich nicht, aber es ist so. Es muß ein gewisser Zauber
im Kopfe des Malers sitzen, der ohne seine Absicht und ohne sein Wissen durch
den Arm läuft Und aus dem Pinsel hervorströmt. Man nennt das Genie,
und wer es nicht hat, der kann es auch nicht lernen.

Du hast ganz Recht, sagte Eduard nachdenklich. Es ist damit, wie mit
jeder andern Kunst. Die Leute quälen sich ab, studiren und arbeiten, daß ihnen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/480>, abgerufen am 26.06.2024.