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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträgcr.

Nicht wahr, das nennst du einen Mann, der auf seinen Vorteil bedacht ist!
sagte der Maler mit triumphirendem Blick, indem er mit diesen Worten den
Freund aus stillem Entzücken aufstörte.

In der That, entgegnete Eduard, es scheint, ich mache dein Glück, ich und
die Liebenswürdigkeit des Fräuleins.

Ich wette, es wird Reißens um den Kopf sein, noch nie ist mir ein solcher
Stoff unter den Pinsel gekommen, sagte der Maler.

Eduard stand in Befangenheit da und folgte bald der Hand des Malers,
bald den Linien des Kopfes selbst, der sich auf der Leinwand wiedergeben sollte.
Er konnte kein Wort finden, um die Unterhaltung in gewöhnlichem Tone weiter¬
zuführen, so sehr schien ihm die Begebenheit außerhalb des Laufes der Dinge
liegen, und so voll war seine Seele von Betrachtungen, die er sich scheute zu
nußern. Er nahm deshalb mit Befriedigung einen Wink der Frau auf und
folgte ihr in ein andres Zimmer.

Sie war dem schönen Gast bereits näher getreten und konnte Eduard mehr
über diesen mitteilen, als er ihr. Frau Lehmann war ans armer Familie und
hatte Sympathie mit den Leiden der Geringen. Auch hatte sie Verstand und
war nicht prüde.

Die Fremde hieß Betty, so erzählte sie, aber einen Familiennamen besaß
das arme Mädchen nicht, hatte auch niemals Eltern gekannt. Seit ihrer frühesten
Jugend war sie bei einer Pflegemutter in Jüterbogk gewesen, und diese hatte sie
unter dem Namen Betty Winkler bei sich gehabt und gesagt, sie müsse den Namen
Winkler nach ihrer Mutter führen. Aber Betty selbst hatte Gründe zu der An¬
nahme, daß dies nicht wahr sei. Sie war zur Schule geschickt worden und
hatte Unterricht in allerhand Gegenständen erhalten, welche für Töchter der höhern
Stände geeignet sind, aber dabei hatte ihre Pflegemutter sie auch zu häuslichen
Arbeiten angehalten, welche sonst nur dienenden Personen obliegen. Vor kurzer
Zeit war diese Pflegemutter in große Aufregung geraten durch einen Brief, den
sie erhalten hatte, und bald darauf waren ein Mann und eine Frau erschienen,
welche ohne nähere Aufklärung mit Betty nach Berlin gereist waren. Sie aber,
ganz im Ungewissen über ihr Schicksal und mißtrauisch gegen ihre verdächtigen
Begleiter, sei darauf bedacht gewesen, deren Händen zu entrinnen. Um das weitere
sei sie dabei vorläufig nicht besorgt gewesen. Zu ihrer Pflegemutter wolle Betty
unter keiner Bedingung zurückkehren, da diese stets lieblos gegen sie gewesen sei,
ihr auch gewiß keinen sichern Aufenthalt mehr bieten könne. Sie denke daran,
sich eine Stelle als Stütze der Hausfrau zu suchen, habe jedoch durchaus keine
Legitimationspapiere, kein Geld und keine Kleidung außer derjenige", welche sie
auf dem Leibe trage.

Es ist wohl klar, so schloß die teilnehmende Frau des Malers, daß dies
schöne Mädchen aus einer Verbindung stammt, welche sich mit dem Schleier des
Geheimnisses verhüllt, und daß ihre Eltern von ihr nicht gekannt sein wollen.


Bakchen und Thyrsosträgcr.

Nicht wahr, das nennst du einen Mann, der auf seinen Vorteil bedacht ist!
sagte der Maler mit triumphirendem Blick, indem er mit diesen Worten den
Freund aus stillem Entzücken aufstörte.

In der That, entgegnete Eduard, es scheint, ich mache dein Glück, ich und
die Liebenswürdigkeit des Fräuleins.

Ich wette, es wird Reißens um den Kopf sein, noch nie ist mir ein solcher
Stoff unter den Pinsel gekommen, sagte der Maler.

Eduard stand in Befangenheit da und folgte bald der Hand des Malers,
bald den Linien des Kopfes selbst, der sich auf der Leinwand wiedergeben sollte.
Er konnte kein Wort finden, um die Unterhaltung in gewöhnlichem Tone weiter¬
zuführen, so sehr schien ihm die Begebenheit außerhalb des Laufes der Dinge
liegen, und so voll war seine Seele von Betrachtungen, die er sich scheute zu
nußern. Er nahm deshalb mit Befriedigung einen Wink der Frau auf und
folgte ihr in ein andres Zimmer.

Sie war dem schönen Gast bereits näher getreten und konnte Eduard mehr
über diesen mitteilen, als er ihr. Frau Lehmann war ans armer Familie und
hatte Sympathie mit den Leiden der Geringen. Auch hatte sie Verstand und
war nicht prüde.

Die Fremde hieß Betty, so erzählte sie, aber einen Familiennamen besaß
das arme Mädchen nicht, hatte auch niemals Eltern gekannt. Seit ihrer frühesten
Jugend war sie bei einer Pflegemutter in Jüterbogk gewesen, und diese hatte sie
unter dem Namen Betty Winkler bei sich gehabt und gesagt, sie müsse den Namen
Winkler nach ihrer Mutter führen. Aber Betty selbst hatte Gründe zu der An¬
nahme, daß dies nicht wahr sei. Sie war zur Schule geschickt worden und
hatte Unterricht in allerhand Gegenständen erhalten, welche für Töchter der höhern
Stände geeignet sind, aber dabei hatte ihre Pflegemutter sie auch zu häuslichen
Arbeiten angehalten, welche sonst nur dienenden Personen obliegen. Vor kurzer
Zeit war diese Pflegemutter in große Aufregung geraten durch einen Brief, den
sie erhalten hatte, und bald darauf waren ein Mann und eine Frau erschienen,
welche ohne nähere Aufklärung mit Betty nach Berlin gereist waren. Sie aber,
ganz im Ungewissen über ihr Schicksal und mißtrauisch gegen ihre verdächtigen
Begleiter, sei darauf bedacht gewesen, deren Händen zu entrinnen. Um das weitere
sei sie dabei vorläufig nicht besorgt gewesen. Zu ihrer Pflegemutter wolle Betty
unter keiner Bedingung zurückkehren, da diese stets lieblos gegen sie gewesen sei,
ihr auch gewiß keinen sichern Aufenthalt mehr bieten könne. Sie denke daran,
sich eine Stelle als Stütze der Hausfrau zu suchen, habe jedoch durchaus keine
Legitimationspapiere, kein Geld und keine Kleidung außer derjenige», welche sie
auf dem Leibe trage.

Es ist wohl klar, so schloß die teilnehmende Frau des Malers, daß dies
schöne Mädchen aus einer Verbindung stammt, welche sich mit dem Schleier des
Geheimnisses verhüllt, und daß ihre Eltern von ihr nicht gekannt sein wollen.


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[0478] Bakchen und Thyrsosträgcr. Nicht wahr, das nennst du einen Mann, der auf seinen Vorteil bedacht ist! sagte der Maler mit triumphirendem Blick, indem er mit diesen Worten den Freund aus stillem Entzücken aufstörte. In der That, entgegnete Eduard, es scheint, ich mache dein Glück, ich und die Liebenswürdigkeit des Fräuleins. Ich wette, es wird Reißens um den Kopf sein, noch nie ist mir ein solcher Stoff unter den Pinsel gekommen, sagte der Maler. Eduard stand in Befangenheit da und folgte bald der Hand des Malers, bald den Linien des Kopfes selbst, der sich auf der Leinwand wiedergeben sollte. Er konnte kein Wort finden, um die Unterhaltung in gewöhnlichem Tone weiter¬ zuführen, so sehr schien ihm die Begebenheit außerhalb des Laufes der Dinge liegen, und so voll war seine Seele von Betrachtungen, die er sich scheute zu nußern. Er nahm deshalb mit Befriedigung einen Wink der Frau auf und folgte ihr in ein andres Zimmer. Sie war dem schönen Gast bereits näher getreten und konnte Eduard mehr über diesen mitteilen, als er ihr. Frau Lehmann war ans armer Familie und hatte Sympathie mit den Leiden der Geringen. Auch hatte sie Verstand und war nicht prüde. Die Fremde hieß Betty, so erzählte sie, aber einen Familiennamen besaß das arme Mädchen nicht, hatte auch niemals Eltern gekannt. Seit ihrer frühesten Jugend war sie bei einer Pflegemutter in Jüterbogk gewesen, und diese hatte sie unter dem Namen Betty Winkler bei sich gehabt und gesagt, sie müsse den Namen Winkler nach ihrer Mutter führen. Aber Betty selbst hatte Gründe zu der An¬ nahme, daß dies nicht wahr sei. Sie war zur Schule geschickt worden und hatte Unterricht in allerhand Gegenständen erhalten, welche für Töchter der höhern Stände geeignet sind, aber dabei hatte ihre Pflegemutter sie auch zu häuslichen Arbeiten angehalten, welche sonst nur dienenden Personen obliegen. Vor kurzer Zeit war diese Pflegemutter in große Aufregung geraten durch einen Brief, den sie erhalten hatte, und bald darauf waren ein Mann und eine Frau erschienen, welche ohne nähere Aufklärung mit Betty nach Berlin gereist waren. Sie aber, ganz im Ungewissen über ihr Schicksal und mißtrauisch gegen ihre verdächtigen Begleiter, sei darauf bedacht gewesen, deren Händen zu entrinnen. Um das weitere sei sie dabei vorläufig nicht besorgt gewesen. Zu ihrer Pflegemutter wolle Betty unter keiner Bedingung zurückkehren, da diese stets lieblos gegen sie gewesen sei, ihr auch gewiß keinen sichern Aufenthalt mehr bieten könne. Sie denke daran, sich eine Stelle als Stütze der Hausfrau zu suchen, habe jedoch durchaus keine Legitimationspapiere, kein Geld und keine Kleidung außer derjenige», welche sie auf dem Leibe trage. Es ist wohl klar, so schloß die teilnehmende Frau des Malers, daß dies schöne Mädchen aus einer Verbindung stammt, welche sich mit dem Schleier des Geheimnisses verhüllt, und daß ihre Eltern von ihr nicht gekannt sein wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/478>, abgerufen am 26.06.2024.