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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Balladen und Thyrsosträger,

gesehen hatte, welche auch auf ihn den Eindruck ungewöhnlicher Schönheit und Grazie,
sowie der reinsten Unschuld machte, entwickelte sich zu Eduards Freude der weitere
Fortgang der Sache mit ziemlicher Leichtigkeit, In des Malers Wohnung stand
ein Zimmer seit einigen Tagen leer, in welchem ein Pensionär beherbergt worden
war. Dieses Gemach erhielt das Mädchen, ohne daß es sich als nötig erwies,
noch irgend jemand sonst in der Nachtruhe zu stören.

Aber morgen in der Frühe erwarte ich dich als Zeugen meiner Integrität,
sagte der Maler eindringlich zu Eduard, als sich die Thüre hinter der Fremden
geschlossen hatte und er sich zur Heimkehr anschickte.

Gewiß, versetzte er, und er hielt Wort.

Der Gedanke an das Mädchen störte seine Nachtruhe. Nun, als sie wieder
fort war, trat die Erinnerung ihrer Ähnlichkeit mit Sylvia, woran er in ihrer
Gegenwart kaum gedacht, lebhaft vor seine Seele.

Sonderbar, sagte er sich. Ihr Wesen ist dem Sylvias durchaus unähn¬
lich. Sie ist ganz Weib, so weich und lieblich, während Sylvia eine gewisse
männliche Entschiedenheit und Strenge hat. Die Ähnlichkeit muß eine rein
körperliche sein, wenn sie überhaupt vorhanden ist und meine Liebe zu Sylvia
nicht etwa andre Gesichtszüge täuschend Mit ihren Zügen bekleidet. Jedenfalls
ist dieser Fremden Psyche stark genug, um ihr Aussehen noch zu überstrahlen,
denn als sie mir gegenüber saß, habe ich nicht an Sylvias Gesicht gedacht.

Er ging, so früh er es nur für Passend hielt, zu dem Freunde. Zu seiner
Überraschung fand er im Atelier des Malers, nachdem er nicht ohne Schüchtern¬
heit und in Besorgnis vor der Unzufriedenheit der Hausfrau in dessen Wohnung
eingetreten war, eine Gruppe verewigt, welche lächelnde Gesichter zeigte.

Vor der Staffelei saß Freund Lehmnnn bei der Arbeit, ihm diente als
Modell das fremde Mädchen, und auch Frau Lehmnnn selbst war gegen¬
wärtig.

Als er nach einigen Worten der Begrüßung und der Erklärung, denen die
Dame schalkhaft drohend zuhörte, an die Staffelet trat und zu dem Mädchen
hinüberblickte, welches er in seinen Schutz genommen hatte, ward er tief betroffen
von dem Reiz dieses Antlitzes, dessen Farben nun bei Tageslicht in noch schönerem
Schmelz erschienen als den Abend vorher. Das Bild, welches er sich von ihr
gemacht hatte, erblaßte vor der Wirklichkeit. Ein holdes Rot und ein flehender
Blick, ans ihn gerichtet, schienen um Vergebung zu bitten, daß sie etwas gethan
habe, ohne ihn vorher zu fragen und sprachen zugleich eine Dankbarkeit aus,
welche Eduard zu Herzen ging.

Sie war in ihrem bescheidenen Anzüge vom vorigen Abend, ohne irgend
eine Draperie, welche künstlerischen Zwecken hätte dienen können, ihr aschfarbenes
Haar in der einfachsten Weise geflochten und um den schön getragenen Kopf
geordnet, aber so, mit nichts geschmückt als den Gaben der Natur, schien sie
das gewählteste Vorbild für die Darstellung eines Gretchens zu sein.


Balladen und Thyrsosträger,

gesehen hatte, welche auch auf ihn den Eindruck ungewöhnlicher Schönheit und Grazie,
sowie der reinsten Unschuld machte, entwickelte sich zu Eduards Freude der weitere
Fortgang der Sache mit ziemlicher Leichtigkeit, In des Malers Wohnung stand
ein Zimmer seit einigen Tagen leer, in welchem ein Pensionär beherbergt worden
war. Dieses Gemach erhielt das Mädchen, ohne daß es sich als nötig erwies,
noch irgend jemand sonst in der Nachtruhe zu stören.

Aber morgen in der Frühe erwarte ich dich als Zeugen meiner Integrität,
sagte der Maler eindringlich zu Eduard, als sich die Thüre hinter der Fremden
geschlossen hatte und er sich zur Heimkehr anschickte.

Gewiß, versetzte er, und er hielt Wort.

Der Gedanke an das Mädchen störte seine Nachtruhe. Nun, als sie wieder
fort war, trat die Erinnerung ihrer Ähnlichkeit mit Sylvia, woran er in ihrer
Gegenwart kaum gedacht, lebhaft vor seine Seele.

Sonderbar, sagte er sich. Ihr Wesen ist dem Sylvias durchaus unähn¬
lich. Sie ist ganz Weib, so weich und lieblich, während Sylvia eine gewisse
männliche Entschiedenheit und Strenge hat. Die Ähnlichkeit muß eine rein
körperliche sein, wenn sie überhaupt vorhanden ist und meine Liebe zu Sylvia
nicht etwa andre Gesichtszüge täuschend Mit ihren Zügen bekleidet. Jedenfalls
ist dieser Fremden Psyche stark genug, um ihr Aussehen noch zu überstrahlen,
denn als sie mir gegenüber saß, habe ich nicht an Sylvias Gesicht gedacht.

Er ging, so früh er es nur für Passend hielt, zu dem Freunde. Zu seiner
Überraschung fand er im Atelier des Malers, nachdem er nicht ohne Schüchtern¬
heit und in Besorgnis vor der Unzufriedenheit der Hausfrau in dessen Wohnung
eingetreten war, eine Gruppe verewigt, welche lächelnde Gesichter zeigte.

Vor der Staffelei saß Freund Lehmnnn bei der Arbeit, ihm diente als
Modell das fremde Mädchen, und auch Frau Lehmnnn selbst war gegen¬
wärtig.

Als er nach einigen Worten der Begrüßung und der Erklärung, denen die
Dame schalkhaft drohend zuhörte, an die Staffelet trat und zu dem Mädchen
hinüberblickte, welches er in seinen Schutz genommen hatte, ward er tief betroffen
von dem Reiz dieses Antlitzes, dessen Farben nun bei Tageslicht in noch schönerem
Schmelz erschienen als den Abend vorher. Das Bild, welches er sich von ihr
gemacht hatte, erblaßte vor der Wirklichkeit. Ein holdes Rot und ein flehender
Blick, ans ihn gerichtet, schienen um Vergebung zu bitten, daß sie etwas gethan
habe, ohne ihn vorher zu fragen und sprachen zugleich eine Dankbarkeit aus,
welche Eduard zu Herzen ging.

Sie war in ihrem bescheidenen Anzüge vom vorigen Abend, ohne irgend
eine Draperie, welche künstlerischen Zwecken hätte dienen können, ihr aschfarbenes
Haar in der einfachsten Weise geflochten und um den schön getragenen Kopf
geordnet, aber so, mit nichts geschmückt als den Gaben der Natur, schien sie
das gewählteste Vorbild für die Darstellung eines Gretchens zu sein.


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[0477] Balladen und Thyrsosträger, gesehen hatte, welche auch auf ihn den Eindruck ungewöhnlicher Schönheit und Grazie, sowie der reinsten Unschuld machte, entwickelte sich zu Eduards Freude der weitere Fortgang der Sache mit ziemlicher Leichtigkeit, In des Malers Wohnung stand ein Zimmer seit einigen Tagen leer, in welchem ein Pensionär beherbergt worden war. Dieses Gemach erhielt das Mädchen, ohne daß es sich als nötig erwies, noch irgend jemand sonst in der Nachtruhe zu stören. Aber morgen in der Frühe erwarte ich dich als Zeugen meiner Integrität, sagte der Maler eindringlich zu Eduard, als sich die Thüre hinter der Fremden geschlossen hatte und er sich zur Heimkehr anschickte. Gewiß, versetzte er, und er hielt Wort. Der Gedanke an das Mädchen störte seine Nachtruhe. Nun, als sie wieder fort war, trat die Erinnerung ihrer Ähnlichkeit mit Sylvia, woran er in ihrer Gegenwart kaum gedacht, lebhaft vor seine Seele. Sonderbar, sagte er sich. Ihr Wesen ist dem Sylvias durchaus unähn¬ lich. Sie ist ganz Weib, so weich und lieblich, während Sylvia eine gewisse männliche Entschiedenheit und Strenge hat. Die Ähnlichkeit muß eine rein körperliche sein, wenn sie überhaupt vorhanden ist und meine Liebe zu Sylvia nicht etwa andre Gesichtszüge täuschend Mit ihren Zügen bekleidet. Jedenfalls ist dieser Fremden Psyche stark genug, um ihr Aussehen noch zu überstrahlen, denn als sie mir gegenüber saß, habe ich nicht an Sylvias Gesicht gedacht. Er ging, so früh er es nur für Passend hielt, zu dem Freunde. Zu seiner Überraschung fand er im Atelier des Malers, nachdem er nicht ohne Schüchtern¬ heit und in Besorgnis vor der Unzufriedenheit der Hausfrau in dessen Wohnung eingetreten war, eine Gruppe verewigt, welche lächelnde Gesichter zeigte. Vor der Staffelei saß Freund Lehmnnn bei der Arbeit, ihm diente als Modell das fremde Mädchen, und auch Frau Lehmnnn selbst war gegen¬ wärtig. Als er nach einigen Worten der Begrüßung und der Erklärung, denen die Dame schalkhaft drohend zuhörte, an die Staffelet trat und zu dem Mädchen hinüberblickte, welches er in seinen Schutz genommen hatte, ward er tief betroffen von dem Reiz dieses Antlitzes, dessen Farben nun bei Tageslicht in noch schönerem Schmelz erschienen als den Abend vorher. Das Bild, welches er sich von ihr gemacht hatte, erblaßte vor der Wirklichkeit. Ein holdes Rot und ein flehender Blick, ans ihn gerichtet, schienen um Vergebung zu bitten, daß sie etwas gethan habe, ohne ihn vorher zu fragen und sprachen zugleich eine Dankbarkeit aus, welche Eduard zu Herzen ging. Sie war in ihrem bescheidenen Anzüge vom vorigen Abend, ohne irgend eine Draperie, welche künstlerischen Zwecken hätte dienen können, ihr aschfarbenes Haar in der einfachsten Weise geflochten und um den schön getragenen Kopf geordnet, aber so, mit nichts geschmückt als den Gaben der Natur, schien sie das gewählteste Vorbild für die Darstellung eines Gretchens zu sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/477>, abgerufen am 26.06.2024.