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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Der Aufstand in der Herzegowina.

endlich wollten sie jährlich nur vier Wochen dienen, ausgenommen in Kriegs¬
zeiten. Selbstverständlich konnte keine Regierung auf solche Forderungen ein¬
gehen, zumut da sie von Aufständischen in hochmütigem Tone gestellt wurden.
Infolge dessen entschloß sich die österreichische Regierung, wenn auch zögernd,
in das Wespennest zu stechen und der Rebellion, koste es, was es wolle, mit
Gewaltmitteln ein Ende zu machen. Allein bei ihren Bemühungen, diesen durch¬
aus gerechtfertigten Entschluß auszuführen, fand sie sofort, daß das Wespennest
größer und gefährlicher war, als es geschienen.

Durch das Vorgehen gegen die Krivvsciauer wurde auch das in den stamm¬
verwandten Völkern der Nachbarschaft glimmende Mißvergnügen mit der Herr¬
schaft Österreichs, unter dessen Botmäßigkeit dieselben durch den Berliner Friedens-
vertrag vom Juli 1878 gestellt worden waren, zu Heller Flamme angefacht.
Die ersten Schüsse, welche die Soldaten des Kaisers mit den Rebellen der Küste
bei Cattaro austauschten, hallten bis tief in die Thalschluchten der westlichen
und mittleren Herzegowina hinein, um den Geist des Widerstandes gegen die
Militärpflicht zu erwecken, die hier gleichfalls eingeführt werden sollte, und die,
da Osterreich hier wie in Bosnien noch nicht der eigentliche Herr, sondern
völkerrechtlich nur der Hüter und Vormund war, als ungerechtfertigte Zu¬
mutung erschien -- eine Meinung, in welcher die Herzegowina ohne Zweifel
durch fremde Wühler bestärkt worden waren, und welche mit der tiefen Ab¬
neigung jener Halbwilden vor jeder gesetzlichen Ordnung überhaupt zusam¬
menhängt.

Die Bevölkerung außerhalb der größeren Städte befindet sich in der Herze¬
gowina noch in jenem Urzustande, wo jedermanns Hand sich gegen jeden richtet,
der schwächer ist, und alle sich gegen den Fremden wenden, der sie in diesem
Verhalten stören und ihnen Ruhe gebieten will. Die Basis der Insurrektion
ist mit andern Worten die Liebe zur Anarchie, in welcher das Faustrecht mit
seine" Räuberbanden blüht. Dazu kommt bei den Muhamedanern -- die sich
beiläufig bis jetzt wenig an der Rebellion beteiligt haben -- der Luftzug des
Pcmislamismus, der auch in diesen entlegenen Bergwüsten zu spüren ist, und
bei den Christen die unklare, aber gerade wegen ihrer Unklarheit sehr wirksame
panslavistische, zunächst großserbische Idee mit ihren antiösterreichischen Ten¬
denzen. Die Herzegowina möchte gleich den Nachbargauen der Balkanhalbinsel
am liebsten niemandes Land sein und gar kein Recht als das des Stärkeren
haben. Nichts ist aber geeigneter, diese Unvernunft zu beeinträchtigen und solche
Wünsche zu vereiteln, als militärische Zucht. Wenn man die Herzegowina
zwingt, in der Armee eines zivilisirten Staates zu dienen, gewöhnt man ihnen
den nationalen Hang zu Gewaltthaten ab und bringt ihnen praktisch Sinn für
staatliche Ordnung bei, ganz abgesehen davon, daß jene Armee zugleich eine aus
dem Material des Landes selbst geschmiedete Waffe ist, mit welcher man der
herkömmlichen Unterdrückung der Schwächeren und dem Treiben der ans Raub


Grenzlwtcn I. 18L2. 60
Der Aufstand in der Herzegowina.

endlich wollten sie jährlich nur vier Wochen dienen, ausgenommen in Kriegs¬
zeiten. Selbstverständlich konnte keine Regierung auf solche Forderungen ein¬
gehen, zumut da sie von Aufständischen in hochmütigem Tone gestellt wurden.
Infolge dessen entschloß sich die österreichische Regierung, wenn auch zögernd,
in das Wespennest zu stechen und der Rebellion, koste es, was es wolle, mit
Gewaltmitteln ein Ende zu machen. Allein bei ihren Bemühungen, diesen durch¬
aus gerechtfertigten Entschluß auszuführen, fand sie sofort, daß das Wespennest
größer und gefährlicher war, als es geschienen.

Durch das Vorgehen gegen die Krivvsciauer wurde auch das in den stamm¬
verwandten Völkern der Nachbarschaft glimmende Mißvergnügen mit der Herr¬
schaft Österreichs, unter dessen Botmäßigkeit dieselben durch den Berliner Friedens-
vertrag vom Juli 1878 gestellt worden waren, zu Heller Flamme angefacht.
Die ersten Schüsse, welche die Soldaten des Kaisers mit den Rebellen der Küste
bei Cattaro austauschten, hallten bis tief in die Thalschluchten der westlichen
und mittleren Herzegowina hinein, um den Geist des Widerstandes gegen die
Militärpflicht zu erwecken, die hier gleichfalls eingeführt werden sollte, und die,
da Osterreich hier wie in Bosnien noch nicht der eigentliche Herr, sondern
völkerrechtlich nur der Hüter und Vormund war, als ungerechtfertigte Zu¬
mutung erschien — eine Meinung, in welcher die Herzegowina ohne Zweifel
durch fremde Wühler bestärkt worden waren, und welche mit der tiefen Ab¬
neigung jener Halbwilden vor jeder gesetzlichen Ordnung überhaupt zusam¬
menhängt.

Die Bevölkerung außerhalb der größeren Städte befindet sich in der Herze¬
gowina noch in jenem Urzustande, wo jedermanns Hand sich gegen jeden richtet,
der schwächer ist, und alle sich gegen den Fremden wenden, der sie in diesem
Verhalten stören und ihnen Ruhe gebieten will. Die Basis der Insurrektion
ist mit andern Worten die Liebe zur Anarchie, in welcher das Faustrecht mit
seine» Räuberbanden blüht. Dazu kommt bei den Muhamedanern — die sich
beiläufig bis jetzt wenig an der Rebellion beteiligt haben — der Luftzug des
Pcmislamismus, der auch in diesen entlegenen Bergwüsten zu spüren ist, und
bei den Christen die unklare, aber gerade wegen ihrer Unklarheit sehr wirksame
panslavistische, zunächst großserbische Idee mit ihren antiösterreichischen Ten¬
denzen. Die Herzegowina möchte gleich den Nachbargauen der Balkanhalbinsel
am liebsten niemandes Land sein und gar kein Recht als das des Stärkeren
haben. Nichts ist aber geeigneter, diese Unvernunft zu beeinträchtigen und solche
Wünsche zu vereiteln, als militärische Zucht. Wenn man die Herzegowina
zwingt, in der Armee eines zivilisirten Staates zu dienen, gewöhnt man ihnen
den nationalen Hang zu Gewaltthaten ab und bringt ihnen praktisch Sinn für
staatliche Ordnung bei, ganz abgesehen davon, daß jene Armee zugleich eine aus
dem Material des Landes selbst geschmiedete Waffe ist, mit welcher man der
herkömmlichen Unterdrückung der Schwächeren und dem Treiben der ans Raub


Grenzlwtcn I. 18L2. 60
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[0473] Der Aufstand in der Herzegowina. endlich wollten sie jährlich nur vier Wochen dienen, ausgenommen in Kriegs¬ zeiten. Selbstverständlich konnte keine Regierung auf solche Forderungen ein¬ gehen, zumut da sie von Aufständischen in hochmütigem Tone gestellt wurden. Infolge dessen entschloß sich die österreichische Regierung, wenn auch zögernd, in das Wespennest zu stechen und der Rebellion, koste es, was es wolle, mit Gewaltmitteln ein Ende zu machen. Allein bei ihren Bemühungen, diesen durch¬ aus gerechtfertigten Entschluß auszuführen, fand sie sofort, daß das Wespennest größer und gefährlicher war, als es geschienen. Durch das Vorgehen gegen die Krivvsciauer wurde auch das in den stamm¬ verwandten Völkern der Nachbarschaft glimmende Mißvergnügen mit der Herr¬ schaft Österreichs, unter dessen Botmäßigkeit dieselben durch den Berliner Friedens- vertrag vom Juli 1878 gestellt worden waren, zu Heller Flamme angefacht. Die ersten Schüsse, welche die Soldaten des Kaisers mit den Rebellen der Küste bei Cattaro austauschten, hallten bis tief in die Thalschluchten der westlichen und mittleren Herzegowina hinein, um den Geist des Widerstandes gegen die Militärpflicht zu erwecken, die hier gleichfalls eingeführt werden sollte, und die, da Osterreich hier wie in Bosnien noch nicht der eigentliche Herr, sondern völkerrechtlich nur der Hüter und Vormund war, als ungerechtfertigte Zu¬ mutung erschien — eine Meinung, in welcher die Herzegowina ohne Zweifel durch fremde Wühler bestärkt worden waren, und welche mit der tiefen Ab¬ neigung jener Halbwilden vor jeder gesetzlichen Ordnung überhaupt zusam¬ menhängt. Die Bevölkerung außerhalb der größeren Städte befindet sich in der Herze¬ gowina noch in jenem Urzustande, wo jedermanns Hand sich gegen jeden richtet, der schwächer ist, und alle sich gegen den Fremden wenden, der sie in diesem Verhalten stören und ihnen Ruhe gebieten will. Die Basis der Insurrektion ist mit andern Worten die Liebe zur Anarchie, in welcher das Faustrecht mit seine» Räuberbanden blüht. Dazu kommt bei den Muhamedanern — die sich beiläufig bis jetzt wenig an der Rebellion beteiligt haben — der Luftzug des Pcmislamismus, der auch in diesen entlegenen Bergwüsten zu spüren ist, und bei den Christen die unklare, aber gerade wegen ihrer Unklarheit sehr wirksame panslavistische, zunächst großserbische Idee mit ihren antiösterreichischen Ten¬ denzen. Die Herzegowina möchte gleich den Nachbargauen der Balkanhalbinsel am liebsten niemandes Land sein und gar kein Recht als das des Stärkeren haben. Nichts ist aber geeigneter, diese Unvernunft zu beeinträchtigen und solche Wünsche zu vereiteln, als militärische Zucht. Wenn man die Herzegowina zwingt, in der Armee eines zivilisirten Staates zu dienen, gewöhnt man ihnen den nationalen Hang zu Gewaltthaten ab und bringt ihnen praktisch Sinn für staatliche Ordnung bei, ganz abgesehen davon, daß jene Armee zugleich eine aus dem Material des Landes selbst geschmiedete Waffe ist, mit welcher man der herkömmlichen Unterdrückung der Schwächeren und dem Treiben der ans Raub Grenzlwtcn I. 18L2. 60

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/473>, abgerufen am 26.06.2024.