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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Der Aufstand in der Herzegowina.

heute die Antwort; hoffend und verzagend zugleich blicken wir alle in das Chaos
unsrer soziale,? Zustände, in die versuchte und noch immer mir wenig gehemmte
Auflösung unsrer alten, eigenartigen und, bei allen Mängeln, großen und frucht¬
baren Vilduug hinaus. Ein scheinbar "leichter" Schriftsteller, wie der Verfasser
des "Hungerpastor" und "Horacker" in den Angen vieler ist, legt schweres und
gewichtiges Zeugnis für vieles ab, was einer gewissen modernen Sinnesrichtung
als abgelebt und überwunden gilt! Hoffen wir, daß die außerordentliche Wir¬
kung und Wertschätzung, welcher sich der humoristische Poet erfreut, auch einen
stärker erwachenden Anteil an den Seeleneigenschafteu, Bildungsrichtungen und
Lebenszuständen bedeute, in welchen Raabes Poesie und Humor geboren und
großgewachsen sind.




Der Aufstand in der Herzegowina.

er Aufstand, welcher seit einigen Wochen gewisse Landstriche des
Nordwestens der Balkanhalbinsel ergriffe" hat, ist teils aus der
Barbarei und Unbotmäßigkeit der dortigen Bevölkerung, teils ans
den panslavistischen Einflüssen und Umtrieben zu erklären, welche,
von seiten der stammverwandten Nachbarn, vielleicht auch von
russische" und italienischen Wühlern ausgehend, schon seit Jahren auf diese Be¬
völkerung gewirkt haben. Den ersten Anstoß zur Insurrektion eines Teiles der
Herzegowina gab aber die Widersetzlichkeit, welche die Bewohner der sttddalmatischen
Landschaft Krivoscie Kundgaben, als die österreichische Regierung im letztvergangncn
Herbste den Stämmen an der Bucht von Cattaro förmlich verkündete, daß sie
entschlossen sei, die im ganzen Reiche geltenden Aushebungsgesetze endlich auch
auf sie auszudehnen.

Wir erinnern daran, daß die Dalmatiner bis zum Jahre 1868 kraft der
besondern Zugeständnisse, die ihnen Österreich 1797 gewährt, als Dalmatien durch
den Frieden von Campo Formio den kaiserlichen Besitzungen einverleibt wurde,
Befreiung von der Pflicht genoß, Mannschaften zum österreichischen Heere zu
stellen. Diese Zugeständnisse, welche 1814 bestätigt wurden, entsprachen dem
alten Rechte, dessen sie sich unter der Herrschaft Venedigs erfreut hatten, welches
1420 sich das Küstenland im Nordosten der Adria großenteils unterworfen hatte.
Sie hatten während der Friedensverhandlungen für diese Freiheit gekämpft und
hielten die ihnen gewordene Zusage, dieselbe solle erhalten bleiben, für ein un¬
veränderliches Privilegium, und in der That blieben sie siebzig Jahre lang mit
der Rekrutirung verschont. Nur freier Wille war es, wenn sie während dieser


Der Aufstand in der Herzegowina.

heute die Antwort; hoffend und verzagend zugleich blicken wir alle in das Chaos
unsrer soziale,? Zustände, in die versuchte und noch immer mir wenig gehemmte
Auflösung unsrer alten, eigenartigen und, bei allen Mängeln, großen und frucht¬
baren Vilduug hinaus. Ein scheinbar „leichter" Schriftsteller, wie der Verfasser
des „Hungerpastor" und „Horacker" in den Angen vieler ist, legt schweres und
gewichtiges Zeugnis für vieles ab, was einer gewissen modernen Sinnesrichtung
als abgelebt und überwunden gilt! Hoffen wir, daß die außerordentliche Wir¬
kung und Wertschätzung, welcher sich der humoristische Poet erfreut, auch einen
stärker erwachenden Anteil an den Seeleneigenschafteu, Bildungsrichtungen und
Lebenszuständen bedeute, in welchen Raabes Poesie und Humor geboren und
großgewachsen sind.




Der Aufstand in der Herzegowina.

er Aufstand, welcher seit einigen Wochen gewisse Landstriche des
Nordwestens der Balkanhalbinsel ergriffe» hat, ist teils aus der
Barbarei und Unbotmäßigkeit der dortigen Bevölkerung, teils ans
den panslavistischen Einflüssen und Umtrieben zu erklären, welche,
von seiten der stammverwandten Nachbarn, vielleicht auch von
russische» und italienischen Wühlern ausgehend, schon seit Jahren auf diese Be¬
völkerung gewirkt haben. Den ersten Anstoß zur Insurrektion eines Teiles der
Herzegowina gab aber die Widersetzlichkeit, welche die Bewohner der sttddalmatischen
Landschaft Krivoscie Kundgaben, als die österreichische Regierung im letztvergangncn
Herbste den Stämmen an der Bucht von Cattaro förmlich verkündete, daß sie
entschlossen sei, die im ganzen Reiche geltenden Aushebungsgesetze endlich auch
auf sie auszudehnen.

Wir erinnern daran, daß die Dalmatiner bis zum Jahre 1868 kraft der
besondern Zugeständnisse, die ihnen Österreich 1797 gewährt, als Dalmatien durch
den Frieden von Campo Formio den kaiserlichen Besitzungen einverleibt wurde,
Befreiung von der Pflicht genoß, Mannschaften zum österreichischen Heere zu
stellen. Diese Zugeständnisse, welche 1814 bestätigt wurden, entsprachen dem
alten Rechte, dessen sie sich unter der Herrschaft Venedigs erfreut hatten, welches
1420 sich das Küstenland im Nordosten der Adria großenteils unterworfen hatte.
Sie hatten während der Friedensverhandlungen für diese Freiheit gekämpft und
hielten die ihnen gewordene Zusage, dieselbe solle erhalten bleiben, für ein un¬
veränderliches Privilegium, und in der That blieben sie siebzig Jahre lang mit
der Rekrutirung verschont. Nur freier Wille war es, wenn sie während dieser


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[0471] Der Aufstand in der Herzegowina. heute die Antwort; hoffend und verzagend zugleich blicken wir alle in das Chaos unsrer soziale,? Zustände, in die versuchte und noch immer mir wenig gehemmte Auflösung unsrer alten, eigenartigen und, bei allen Mängeln, großen und frucht¬ baren Vilduug hinaus. Ein scheinbar „leichter" Schriftsteller, wie der Verfasser des „Hungerpastor" und „Horacker" in den Angen vieler ist, legt schweres und gewichtiges Zeugnis für vieles ab, was einer gewissen modernen Sinnesrichtung als abgelebt und überwunden gilt! Hoffen wir, daß die außerordentliche Wir¬ kung und Wertschätzung, welcher sich der humoristische Poet erfreut, auch einen stärker erwachenden Anteil an den Seeleneigenschafteu, Bildungsrichtungen und Lebenszuständen bedeute, in welchen Raabes Poesie und Humor geboren und großgewachsen sind. Der Aufstand in der Herzegowina. er Aufstand, welcher seit einigen Wochen gewisse Landstriche des Nordwestens der Balkanhalbinsel ergriffe» hat, ist teils aus der Barbarei und Unbotmäßigkeit der dortigen Bevölkerung, teils ans den panslavistischen Einflüssen und Umtrieben zu erklären, welche, von seiten der stammverwandten Nachbarn, vielleicht auch von russische» und italienischen Wühlern ausgehend, schon seit Jahren auf diese Be¬ völkerung gewirkt haben. Den ersten Anstoß zur Insurrektion eines Teiles der Herzegowina gab aber die Widersetzlichkeit, welche die Bewohner der sttddalmatischen Landschaft Krivoscie Kundgaben, als die österreichische Regierung im letztvergangncn Herbste den Stämmen an der Bucht von Cattaro förmlich verkündete, daß sie entschlossen sei, die im ganzen Reiche geltenden Aushebungsgesetze endlich auch auf sie auszudehnen. Wir erinnern daran, daß die Dalmatiner bis zum Jahre 1868 kraft der besondern Zugeständnisse, die ihnen Österreich 1797 gewährt, als Dalmatien durch den Frieden von Campo Formio den kaiserlichen Besitzungen einverleibt wurde, Befreiung von der Pflicht genoß, Mannschaften zum österreichischen Heere zu stellen. Diese Zugeständnisse, welche 1814 bestätigt wurden, entsprachen dem alten Rechte, dessen sie sich unter der Herrschaft Venedigs erfreut hatten, welches 1420 sich das Küstenland im Nordosten der Adria großenteils unterworfen hatte. Sie hatten während der Friedensverhandlungen für diese Freiheit gekämpft und hielten die ihnen gewordene Zusage, dieselbe solle erhalten bleiben, für ein un¬ veränderliches Privilegium, und in der That blieben sie siebzig Jahre lang mit der Rekrutirung verschont. Nur freier Wille war es, wenn sie während dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/471>, abgerufen am 26.06.2024.