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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Wilhelm Rcicibc.

selbst nur Linderung schaffe" könne. Die deutsche Kleinwelt erscheint in "Abu
Telfnn" wie im "Schüddcrnmp" in einem unheimlich trüben Lichte, ohne daß
man sagen dürfte, es sei ein falscher Schein, der über sie falle. Das pessimi¬
stische Element, welches der Autor im Hungerpastor gelegentlich hereinspiclen
läßt (etwa in der Weise eines tapfern lutherischen Pfarrherrn der Reformations-
zeit, der auch eine und die andre Teufelsanfechtnng für unvermeidlich, aber alle
miteinander für wohl überwindlich erachtet), macht sich stärker geltend, und mit
demselben wachsen -- seltsam geung -- die wunderlichen Unklarheiten und ver¬
steckten Bezüge der Komposition. Das liebevollere der beiden Bücher ist "Abu
Telfau," die Heimkehr eines verlorenen Sohnes aus afrikanischer Gefangenschaft
und unwürdigster Sklaverei in die heimatlichen Verhältnisse darstellend. Der
Beginn und namentlich die Schilderung des ersten Heimatmorgens im väter¬
lichen Hause zu Bumsdorf an der Nippenburger Landstraße gehört zu Naabes
färben- und stimmungsrcichsten Leistungen. Aber der Mann, der durch seltsame
Schicksalsfügungen ins Tnmurkieland geraten und aus demselben befreit worden
ist, muß nur zu bald die tragische Erfahrung machen, daß man sich aus der
scheinbaren Befreiung in die Zustände des alten Elends zurücksehnen kann.
"Er hatte viel geduldet bis zu seiner Befreiung durch Herrn Koruelius van der
Mook; dann war er in dem Hause seiner Eltern erwacht und hatte jene seltene
Minute des vollen sicheren Glückes gekostet. Aber schnell wie immer war dieser
Augenblick vorübergegangen -- ein Morgenschlummer, ein sonniger Tag in der
Gcüsblattlaube, am Abend ein Gang durch die Wiesen und Kornfelder nach dem
Walde! Schon das nächste Erwachen brachte wieder das erste leise Anspülen
bitterer Fluten, und nach acht Tagen war Leonhard Hagebuchcr vollständig da¬
heim, das heißt er wußte Bescheid, und Bescheid zu wissen gehört und stimmt
gewöhnlich nicht im geringsten zu und mit dem Glück." Doch ist es nicht dies
allmähliche Anwachsen der Enttäuschung, das schmerzvolle Hineinleben des Afri¬
kaners in die neue alte Welt, es sind nicht die Schicksale, die er erlebt, welche
den geteilten Eindruck des Romans hervorrufen. Denn die traurige Heimkehr
und das den Heimgekehrten allmählich überwältigende Gefühl, daß er an dem
großen allgemeinen Leid der Menschheit mitzutragen habe, sind immerhin poetisch
genug. Aber viele Genreszenen des Romans, namentlich die in der Resi¬
denz spielenden, und die Figuren des rachsüchtigen Leutnants Kind, des Schnei¬
ders Täubrich Pascha enthalten einen Zug des Häßlichen, der von keiner innern
Notwendigkeit hervorgerufen wird. Und dasselbe gilt von gar vielen Einzel¬
heiten des Romans "Der Schüdderump," in dessen Titel sich schon eine trübe,
schier unheimliche Stimmung des Autors ausspricht. Ein Schüdderump ist nichts
anderes als einer jener großen schwarzen Pestkarren des sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhunderts, die bei den großen Seuchen jener Zeiten die Leichen
sammelten und in die eine gemeinsame Grube hinabschütteten. Wie dieser
Schüdderump Arm und Reich, Schon und Häßlich, Stolz und Demütig, Alt


Wilhelm Rcicibc.

selbst nur Linderung schaffe» könne. Die deutsche Kleinwelt erscheint in „Abu
Telfnn" wie im „Schüddcrnmp" in einem unheimlich trüben Lichte, ohne daß
man sagen dürfte, es sei ein falscher Schein, der über sie falle. Das pessimi¬
stische Element, welches der Autor im Hungerpastor gelegentlich hereinspiclen
läßt (etwa in der Weise eines tapfern lutherischen Pfarrherrn der Reformations-
zeit, der auch eine und die andre Teufelsanfechtnng für unvermeidlich, aber alle
miteinander für wohl überwindlich erachtet), macht sich stärker geltend, und mit
demselben wachsen — seltsam geung — die wunderlichen Unklarheiten und ver¬
steckten Bezüge der Komposition. Das liebevollere der beiden Bücher ist „Abu
Telfau," die Heimkehr eines verlorenen Sohnes aus afrikanischer Gefangenschaft
und unwürdigster Sklaverei in die heimatlichen Verhältnisse darstellend. Der
Beginn und namentlich die Schilderung des ersten Heimatmorgens im väter¬
lichen Hause zu Bumsdorf an der Nippenburger Landstraße gehört zu Naabes
färben- und stimmungsrcichsten Leistungen. Aber der Mann, der durch seltsame
Schicksalsfügungen ins Tnmurkieland geraten und aus demselben befreit worden
ist, muß nur zu bald die tragische Erfahrung machen, daß man sich aus der
scheinbaren Befreiung in die Zustände des alten Elends zurücksehnen kann.
„Er hatte viel geduldet bis zu seiner Befreiung durch Herrn Koruelius van der
Mook; dann war er in dem Hause seiner Eltern erwacht und hatte jene seltene
Minute des vollen sicheren Glückes gekostet. Aber schnell wie immer war dieser
Augenblick vorübergegangen — ein Morgenschlummer, ein sonniger Tag in der
Gcüsblattlaube, am Abend ein Gang durch die Wiesen und Kornfelder nach dem
Walde! Schon das nächste Erwachen brachte wieder das erste leise Anspülen
bitterer Fluten, und nach acht Tagen war Leonhard Hagebuchcr vollständig da¬
heim, das heißt er wußte Bescheid, und Bescheid zu wissen gehört und stimmt
gewöhnlich nicht im geringsten zu und mit dem Glück." Doch ist es nicht dies
allmähliche Anwachsen der Enttäuschung, das schmerzvolle Hineinleben des Afri¬
kaners in die neue alte Welt, es sind nicht die Schicksale, die er erlebt, welche
den geteilten Eindruck des Romans hervorrufen. Denn die traurige Heimkehr
und das den Heimgekehrten allmählich überwältigende Gefühl, daß er an dem
großen allgemeinen Leid der Menschheit mitzutragen habe, sind immerhin poetisch
genug. Aber viele Genreszenen des Romans, namentlich die in der Resi¬
denz spielenden, und die Figuren des rachsüchtigen Leutnants Kind, des Schnei¬
ders Täubrich Pascha enthalten einen Zug des Häßlichen, der von keiner innern
Notwendigkeit hervorgerufen wird. Und dasselbe gilt von gar vielen Einzel¬
heiten des Romans „Der Schüdderump," in dessen Titel sich schon eine trübe,
schier unheimliche Stimmung des Autors ausspricht. Ein Schüdderump ist nichts
anderes als einer jener großen schwarzen Pestkarren des sechzehnten und sieb¬
zehnten Jahrhunderts, die bei den großen Seuchen jener Zeiten die Leichen
sammelten und in die eine gemeinsame Grube hinabschütteten. Wie dieser
Schüdderump Arm und Reich, Schon und Häßlich, Stolz und Demütig, Alt


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[0468] Wilhelm Rcicibc. selbst nur Linderung schaffe» könne. Die deutsche Kleinwelt erscheint in „Abu Telfnn" wie im „Schüddcrnmp" in einem unheimlich trüben Lichte, ohne daß man sagen dürfte, es sei ein falscher Schein, der über sie falle. Das pessimi¬ stische Element, welches der Autor im Hungerpastor gelegentlich hereinspiclen läßt (etwa in der Weise eines tapfern lutherischen Pfarrherrn der Reformations- zeit, der auch eine und die andre Teufelsanfechtnng für unvermeidlich, aber alle miteinander für wohl überwindlich erachtet), macht sich stärker geltend, und mit demselben wachsen — seltsam geung — die wunderlichen Unklarheiten und ver¬ steckten Bezüge der Komposition. Das liebevollere der beiden Bücher ist „Abu Telfau," die Heimkehr eines verlorenen Sohnes aus afrikanischer Gefangenschaft und unwürdigster Sklaverei in die heimatlichen Verhältnisse darstellend. Der Beginn und namentlich die Schilderung des ersten Heimatmorgens im väter¬ lichen Hause zu Bumsdorf an der Nippenburger Landstraße gehört zu Naabes färben- und stimmungsrcichsten Leistungen. Aber der Mann, der durch seltsame Schicksalsfügungen ins Tnmurkieland geraten und aus demselben befreit worden ist, muß nur zu bald die tragische Erfahrung machen, daß man sich aus der scheinbaren Befreiung in die Zustände des alten Elends zurücksehnen kann. „Er hatte viel geduldet bis zu seiner Befreiung durch Herrn Koruelius van der Mook; dann war er in dem Hause seiner Eltern erwacht und hatte jene seltene Minute des vollen sicheren Glückes gekostet. Aber schnell wie immer war dieser Augenblick vorübergegangen — ein Morgenschlummer, ein sonniger Tag in der Gcüsblattlaube, am Abend ein Gang durch die Wiesen und Kornfelder nach dem Walde! Schon das nächste Erwachen brachte wieder das erste leise Anspülen bitterer Fluten, und nach acht Tagen war Leonhard Hagebuchcr vollständig da¬ heim, das heißt er wußte Bescheid, und Bescheid zu wissen gehört und stimmt gewöhnlich nicht im geringsten zu und mit dem Glück." Doch ist es nicht dies allmähliche Anwachsen der Enttäuschung, das schmerzvolle Hineinleben des Afri¬ kaners in die neue alte Welt, es sind nicht die Schicksale, die er erlebt, welche den geteilten Eindruck des Romans hervorrufen. Denn die traurige Heimkehr und das den Heimgekehrten allmählich überwältigende Gefühl, daß er an dem großen allgemeinen Leid der Menschheit mitzutragen habe, sind immerhin poetisch genug. Aber viele Genreszenen des Romans, namentlich die in der Resi¬ denz spielenden, und die Figuren des rachsüchtigen Leutnants Kind, des Schnei¬ ders Täubrich Pascha enthalten einen Zug des Häßlichen, der von keiner innern Notwendigkeit hervorgerufen wird. Und dasselbe gilt von gar vielen Einzel¬ heiten des Romans „Der Schüdderump," in dessen Titel sich schon eine trübe, schier unheimliche Stimmung des Autors ausspricht. Ein Schüdderump ist nichts anderes als einer jener großen schwarzen Pestkarren des sechzehnten und sieb¬ zehnten Jahrhunderts, die bei den großen Seuchen jener Zeiten die Leichen sammelten und in die eine gemeinsame Grube hinabschütteten. Wie dieser Schüdderump Arm und Reich, Schon und Häßlich, Stolz und Demütig, Alt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/468>, abgerufen am 26.06.2024.