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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Wilhelm Raabe,

Spiegelbcrg, des junge" Philipp, der schließlich, nachdem er Herz und Lebens¬
glück an eine dämonisch Scholle Courtisane Fansta la Tedesea, Fausta la Maga,
verloren hat, in der Schlacht bei Se. Quentin den Heldentod findet und die
Liebe des wackern Neiterburscheu Claus Eckenbrecher zu dein Pfarrerstöchterlein
Monica Fichtner realer, glaubhafter, obschon allerlei phantastisch - spukhaftes
Element mit unterläuft. Die Genrebilder aus dein niederdeutschen Leben der
Zeit: die erste Ankunft des Spiegelbergers in Hvlzminde", der Besuch der ka¬
tholische" Geistliche" vo" jenseits der Weser beim Pfarrherrn Fichtner, der Einritt
des Ritters Christof von Wrisberg mit dem watschelt Ritter Campvlani in Schloß
Phrmont, das hübsche Kapitel, welches vorführt, "was Landsknechte, Juden
Spielleute und Handwerksburschen vom Claus Eckcubrecher erzählen," sind mit
der vollen Kraft der sinnlichen Anschaulichkeit ausgeführt, welche Raabe zu Ge¬
bote steht, sobald er auf seinem eigenste" Boden steht. Die weltgeschichtlichen
Einschaltungen und Ausblicke siud minder gelungen und lassen zwischen dem
vorzüglich ausgeführten Vordergründe des historische" Bildes und dein weiten
Hintergründe empfindliche Lücken. Bew""der"swert aber i" diesem klei"en Roman,
wie in einer ganze" Reihe andrer, ist die Art und Weise, mit welcher Raabe
gewisse kleine historische Fakten zu erfasse" und aus halbverblichenen Erinnerungen
volles Leben zu gewinnen weiß.

Unser Schriftsteller gehört zu den vielbelesenen; Lektüre aller Art hat
seine Phantasie befruchtet, und einzelne Beurteiler, die ihn durchaus mit Incl"
Paul vergleichen wollen, erinnern um die Citaten- ""d Bildcrleidenschaft des
Verfassers des "Siebenkäs" und der "Flegeljahre." Dabei ist aber doch ein großer
Unterschied vorhanden, denn während Jean Paul im allgemeinen seine Velesen-
heit im Interesse einer bloßen Citatenlnst oder allenfalls einer gewissen Bilder¬
jagd verwendet, gewinnt Raabe ans seiner unifassenden Lektüre glückliche
Lokalfarben und ganze Reihen kleiner kostbarer Züge. Er liebt es nicht, den
Leser aus der Grundstimmung zu reißen, sondern sucht ihn tiefer in dieselbe
hineinzuführen. So sind denn auch in solchen historischen Erzählungen Raabes,
in denen die Komposition minder klar ist und die sprungweise Erzühlungs-
art unseres Autors sich ein stärkeres Recht nimmt, als mit der harmonischen
Gesammtwirkung verträglich ist, die Einzelheiten von höchster Frische und leuch¬
tender Farbenkraft. Die Grundstimmung, welche Raabe hervorzubringen be¬
absichtigt, kommt oft so stark und voll zur Erscheinung, daß ihr selbst Wirkungen
höherer Art untergeordnet werde". I" der historischen Novelle z. B. "Des
Reiches Krone" (in "Deutscher Mondschein" 1873) ist die Stimmung wehmütig
entsagender Erinnerung, welche sich den verworrenen Weltlauf und den Unter¬
gang edler Naturen in der Zeiten Verhängiiis wiederum vor Auge" r"se, vor¬
trefflich wiedergegeben. Aber in dieser Stimmung kommt die prachtvolle Haupt-
handlung mit ihrem höchsten Moment, wo die schöne Mechtild Grvssin sich an
die Brust des todkranken, von den Mensche" unter die "Sondersiechcn" ans-


Wilhelm Raabe,

Spiegelbcrg, des junge» Philipp, der schließlich, nachdem er Herz und Lebens¬
glück an eine dämonisch Scholle Courtisane Fansta la Tedesea, Fausta la Maga,
verloren hat, in der Schlacht bei Se. Quentin den Heldentod findet und die
Liebe des wackern Neiterburscheu Claus Eckenbrecher zu dein Pfarrerstöchterlein
Monica Fichtner realer, glaubhafter, obschon allerlei phantastisch - spukhaftes
Element mit unterläuft. Die Genrebilder aus dein niederdeutschen Leben der
Zeit: die erste Ankunft des Spiegelbergers in Hvlzminde», der Besuch der ka¬
tholische» Geistliche» vo» jenseits der Weser beim Pfarrherrn Fichtner, der Einritt
des Ritters Christof von Wrisberg mit dem watschelt Ritter Campvlani in Schloß
Phrmont, das hübsche Kapitel, welches vorführt, „was Landsknechte, Juden
Spielleute und Handwerksburschen vom Claus Eckcubrecher erzählen," sind mit
der vollen Kraft der sinnlichen Anschaulichkeit ausgeführt, welche Raabe zu Ge¬
bote steht, sobald er auf seinem eigenste» Boden steht. Die weltgeschichtlichen
Einschaltungen und Ausblicke siud minder gelungen und lassen zwischen dem
vorzüglich ausgeführten Vordergründe des historische» Bildes und dein weiten
Hintergründe empfindliche Lücken. Bew»»der»swert aber i» diesem klei»en Roman,
wie in einer ganze» Reihe andrer, ist die Art und Weise, mit welcher Raabe
gewisse kleine historische Fakten zu erfasse» und aus halbverblichenen Erinnerungen
volles Leben zu gewinnen weiß.

Unser Schriftsteller gehört zu den vielbelesenen; Lektüre aller Art hat
seine Phantasie befruchtet, und einzelne Beurteiler, die ihn durchaus mit Incl»
Paul vergleichen wollen, erinnern um die Citaten- »»d Bildcrleidenschaft des
Verfassers des „Siebenkäs" und der „Flegeljahre." Dabei ist aber doch ein großer
Unterschied vorhanden, denn während Jean Paul im allgemeinen seine Velesen-
heit im Interesse einer bloßen Citatenlnst oder allenfalls einer gewissen Bilder¬
jagd verwendet, gewinnt Raabe ans seiner unifassenden Lektüre glückliche
Lokalfarben und ganze Reihen kleiner kostbarer Züge. Er liebt es nicht, den
Leser aus der Grundstimmung zu reißen, sondern sucht ihn tiefer in dieselbe
hineinzuführen. So sind denn auch in solchen historischen Erzählungen Raabes,
in denen die Komposition minder klar ist und die sprungweise Erzühlungs-
art unseres Autors sich ein stärkeres Recht nimmt, als mit der harmonischen
Gesammtwirkung verträglich ist, die Einzelheiten von höchster Frische und leuch¬
tender Farbenkraft. Die Grundstimmung, welche Raabe hervorzubringen be¬
absichtigt, kommt oft so stark und voll zur Erscheinung, daß ihr selbst Wirkungen
höherer Art untergeordnet werde». I» der historischen Novelle z. B. „Des
Reiches Krone" (in „Deutscher Mondschein" 1873) ist die Stimmung wehmütig
entsagender Erinnerung, welche sich den verworrenen Weltlauf und den Unter¬
gang edler Naturen in der Zeiten Verhängiiis wiederum vor Auge» r»se, vor¬
trefflich wiedergegeben. Aber in dieser Stimmung kommt die prachtvolle Haupt-
handlung mit ihrem höchsten Moment, wo die schöne Mechtild Grvssin sich an
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[0464] Wilhelm Raabe, Spiegelbcrg, des junge» Philipp, der schließlich, nachdem er Herz und Lebens¬ glück an eine dämonisch Scholle Courtisane Fansta la Tedesea, Fausta la Maga, verloren hat, in der Schlacht bei Se. Quentin den Heldentod findet und die Liebe des wackern Neiterburscheu Claus Eckenbrecher zu dein Pfarrerstöchterlein Monica Fichtner realer, glaubhafter, obschon allerlei phantastisch - spukhaftes Element mit unterläuft. Die Genrebilder aus dein niederdeutschen Leben der Zeit: die erste Ankunft des Spiegelbergers in Hvlzminde», der Besuch der ka¬ tholische» Geistliche» vo» jenseits der Weser beim Pfarrherrn Fichtner, der Einritt des Ritters Christof von Wrisberg mit dem watschelt Ritter Campvlani in Schloß Phrmont, das hübsche Kapitel, welches vorführt, „was Landsknechte, Juden Spielleute und Handwerksburschen vom Claus Eckcubrecher erzählen," sind mit der vollen Kraft der sinnlichen Anschaulichkeit ausgeführt, welche Raabe zu Ge¬ bote steht, sobald er auf seinem eigenste» Boden steht. Die weltgeschichtlichen Einschaltungen und Ausblicke siud minder gelungen und lassen zwischen dem vorzüglich ausgeführten Vordergründe des historische» Bildes und dein weiten Hintergründe empfindliche Lücken. Bew»»der»swert aber i» diesem klei»en Roman, wie in einer ganze» Reihe andrer, ist die Art und Weise, mit welcher Raabe gewisse kleine historische Fakten zu erfasse» und aus halbverblichenen Erinnerungen volles Leben zu gewinnen weiß. Unser Schriftsteller gehört zu den vielbelesenen; Lektüre aller Art hat seine Phantasie befruchtet, und einzelne Beurteiler, die ihn durchaus mit Incl» Paul vergleichen wollen, erinnern um die Citaten- »»d Bildcrleidenschaft des Verfassers des „Siebenkäs" und der „Flegeljahre." Dabei ist aber doch ein großer Unterschied vorhanden, denn während Jean Paul im allgemeinen seine Velesen- heit im Interesse einer bloßen Citatenlnst oder allenfalls einer gewissen Bilder¬ jagd verwendet, gewinnt Raabe ans seiner unifassenden Lektüre glückliche Lokalfarben und ganze Reihen kleiner kostbarer Züge. Er liebt es nicht, den Leser aus der Grundstimmung zu reißen, sondern sucht ihn tiefer in dieselbe hineinzuführen. So sind denn auch in solchen historischen Erzählungen Raabes, in denen die Komposition minder klar ist und die sprungweise Erzühlungs- art unseres Autors sich ein stärkeres Recht nimmt, als mit der harmonischen Gesammtwirkung verträglich ist, die Einzelheiten von höchster Frische und leuch¬ tender Farbenkraft. Die Grundstimmung, welche Raabe hervorzubringen be¬ absichtigt, kommt oft so stark und voll zur Erscheinung, daß ihr selbst Wirkungen höherer Art untergeordnet werde». I» der historischen Novelle z. B. „Des Reiches Krone" (in „Deutscher Mondschein" 1873) ist die Stimmung wehmütig entsagender Erinnerung, welche sich den verworrenen Weltlauf und den Unter¬ gang edler Naturen in der Zeiten Verhängiiis wiederum vor Auge» r»se, vor¬ trefflich wiedergegeben. Aber in dieser Stimmung kommt die prachtvolle Haupt- handlung mit ihrem höchsten Moment, wo die schöne Mechtild Grvssin sich an die Brust des todkranken, von den Mensche» unter die „Sondersiechcn" ans-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/464>, abgerufen am 26.06.2024.