Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Wilhelm Raabe.

pischen Ausgrabungen auf den nächsten Artikel, in dem dann weiterhin auch die
neueren Forschungen über Phidias, Polyklet, Praxiteles und Lysipp behandelt
werden sollen.




Wilhelm Raabe.
(Schluß.)

!it Randes dritten, kleinem Buche "Die Kinder von Finkenrode"
(1859) beginnt die Reihe seiner Darstellungen aus dem deutsche"
Kleinstadtlcben, jener wunderlichen Gestalten, Gesichter und Schick¬
sale, in denen sich vor allem das tiefe Gemüt unseres Autors
! offenbart. Die Beobachtung des Kleinlebens, um die eine eigen¬
artige Poesie gewebt ist, wird von einer höchst anmutigen Phantastik und einem
Humor, der hier noch nicht vom Pessimismus durchsetzt erscheint, wirksam unter¬
stützt, und jenes heimatliche Gefühl, das wir als einen der Hauptvorzüge unseres
Dichters rühme" müssen, tritt uns auch in den "Kindern von Finkenrode" in
herzgewinnender Weise entgegen. Die beiden nächsten Bücher des Schriftstellers
"Der heilige Born," Blätter aus dem Bilderbuche des sechzehnten Jahrhunderts
(1861) und "Unsers Herrgotts Kanzlei" (1862) versetzen uns in eine andere
Welt, es sind Erzählungen, deren Gestalten und Situationen sich auf historischem
Hintergrunde bewegen, beide auf dem des reichen sechzehnten Jahrhunderts, dein
der Glaubensspaltungen und Glaubenskämpfe, welche Deutschland erfüllten.
"Der heilige Born" kann als eine gute Probe der Art gelten, wie Raabe hi¬
storische Erzählungen zu komponiren liebt. Die Handlung ist reich, mannich-
faltig, nicht streng geschlossen und gegliedert und noch weniger dramatisch zu¬
gespitzt, aber von lebendigem Fluß und außerordentliche": Reiz. Der "heilige
Born" ist die Quelle vou Pyrmont, welche 1556, im Jahre nach dem Augs¬
burger Religionsfrieden, plötzlich zum Zielpunkt eines ungeheuren Andrangs ward.
"Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und
mehr gleich dem Platzregen selbst in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat
sich urplötzlich das Volk versammelt und jetzt liegt in allen unseren Dörfern und
in Lügde und weit ius geistliche Land hinein alles voll. Ja sie haben in den
Gehölzen umher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, thun großen Schaden
an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern. Viel
Gaukler und fahrend liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesam¬
melt und treibet ein bös gottlos Wesen." Unter so eigentümlichen Voraus¬
setzungen wird die Geschichte des letzten Grafen von Pyrmont aus dem Hause


Wilhelm Raabe.

pischen Ausgrabungen auf den nächsten Artikel, in dem dann weiterhin auch die
neueren Forschungen über Phidias, Polyklet, Praxiteles und Lysipp behandelt
werden sollen.




Wilhelm Raabe.
(Schluß.)

!it Randes dritten, kleinem Buche „Die Kinder von Finkenrode"
(1859) beginnt die Reihe seiner Darstellungen aus dem deutsche»
Kleinstadtlcben, jener wunderlichen Gestalten, Gesichter und Schick¬
sale, in denen sich vor allem das tiefe Gemüt unseres Autors
! offenbart. Die Beobachtung des Kleinlebens, um die eine eigen¬
artige Poesie gewebt ist, wird von einer höchst anmutigen Phantastik und einem
Humor, der hier noch nicht vom Pessimismus durchsetzt erscheint, wirksam unter¬
stützt, und jenes heimatliche Gefühl, das wir als einen der Hauptvorzüge unseres
Dichters rühme» müssen, tritt uns auch in den „Kindern von Finkenrode" in
herzgewinnender Weise entgegen. Die beiden nächsten Bücher des Schriftstellers
„Der heilige Born," Blätter aus dem Bilderbuche des sechzehnten Jahrhunderts
(1861) und „Unsers Herrgotts Kanzlei" (1862) versetzen uns in eine andere
Welt, es sind Erzählungen, deren Gestalten und Situationen sich auf historischem
Hintergrunde bewegen, beide auf dem des reichen sechzehnten Jahrhunderts, dein
der Glaubensspaltungen und Glaubenskämpfe, welche Deutschland erfüllten.
„Der heilige Born" kann als eine gute Probe der Art gelten, wie Raabe hi¬
storische Erzählungen zu komponiren liebt. Die Handlung ist reich, mannich-
faltig, nicht streng geschlossen und gegliedert und noch weniger dramatisch zu¬
gespitzt, aber von lebendigem Fluß und außerordentliche»: Reiz. Der „heilige
Born" ist die Quelle vou Pyrmont, welche 1556, im Jahre nach dem Augs¬
burger Religionsfrieden, plötzlich zum Zielpunkt eines ungeheuren Andrangs ward.
„Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und
mehr gleich dem Platzregen selbst in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat
sich urplötzlich das Volk versammelt und jetzt liegt in allen unseren Dörfern und
in Lügde und weit ius geistliche Land hinein alles voll. Ja sie haben in den
Gehölzen umher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, thun großen Schaden
an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern. Viel
Gaukler und fahrend liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesam¬
melt und treibet ein bös gottlos Wesen." Unter so eigentümlichen Voraus¬
setzungen wird die Geschichte des letzten Grafen von Pyrmont aus dem Hause


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0463" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86584"/>
          <fw type="header" place="top"> Wilhelm Raabe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1909" prev="#ID_1908"> pischen Ausgrabungen auf den nächsten Artikel, in dem dann weiterhin auch die<lb/>
neueren Forschungen über Phidias, Polyklet, Praxiteles und Lysipp behandelt<lb/>
werden sollen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wilhelm Raabe.<lb/>
(Schluß.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1910" next="#ID_1911"> !it Randes dritten, kleinem Buche &#x201E;Die Kinder von Finkenrode"<lb/>
(1859) beginnt die Reihe seiner Darstellungen aus dem deutsche»<lb/>
Kleinstadtlcben, jener wunderlichen Gestalten, Gesichter und Schick¬<lb/>
sale, in denen sich vor allem das tiefe Gemüt unseres Autors<lb/>
! offenbart. Die Beobachtung des Kleinlebens, um die eine eigen¬<lb/>
artige Poesie gewebt ist, wird von einer höchst anmutigen Phantastik und einem<lb/>
Humor, der hier noch nicht vom Pessimismus durchsetzt erscheint, wirksam unter¬<lb/>
stützt, und jenes heimatliche Gefühl, das wir als einen der Hauptvorzüge unseres<lb/>
Dichters rühme» müssen, tritt uns auch in den &#x201E;Kindern von Finkenrode" in<lb/>
herzgewinnender Weise entgegen. Die beiden nächsten Bücher des Schriftstellers<lb/>
&#x201E;Der heilige Born," Blätter aus dem Bilderbuche des sechzehnten Jahrhunderts<lb/>
(1861) und &#x201E;Unsers Herrgotts Kanzlei" (1862) versetzen uns in eine andere<lb/>
Welt, es sind Erzählungen, deren Gestalten und Situationen sich auf historischem<lb/>
Hintergrunde bewegen, beide auf dem des reichen sechzehnten Jahrhunderts, dein<lb/>
der Glaubensspaltungen und Glaubenskämpfe, welche Deutschland erfüllten.<lb/>
&#x201E;Der heilige Born" kann als eine gute Probe der Art gelten, wie Raabe hi¬<lb/>
storische Erzählungen zu komponiren liebt. Die Handlung ist reich, mannich-<lb/>
faltig, nicht streng geschlossen und gegliedert und noch weniger dramatisch zu¬<lb/>
gespitzt, aber von lebendigem Fluß und außerordentliche»: Reiz. Der &#x201E;heilige<lb/>
Born" ist die Quelle vou Pyrmont, welche 1556, im Jahre nach dem Augs¬<lb/>
burger Religionsfrieden, plötzlich zum Zielpunkt eines ungeheuren Andrangs ward.<lb/>
&#x201E;Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und<lb/>
mehr gleich dem Platzregen selbst in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat<lb/>
sich urplötzlich das Volk versammelt und jetzt liegt in allen unseren Dörfern und<lb/>
in Lügde und weit ius geistliche Land hinein alles voll. Ja sie haben in den<lb/>
Gehölzen umher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, thun großen Schaden<lb/>
an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern. Viel<lb/>
Gaukler und fahrend liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesam¬<lb/>
melt und treibet ein bös gottlos Wesen." Unter so eigentümlichen Voraus¬<lb/>
setzungen wird die Geschichte des letzten Grafen von Pyrmont aus dem Hause</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0463] Wilhelm Raabe. pischen Ausgrabungen auf den nächsten Artikel, in dem dann weiterhin auch die neueren Forschungen über Phidias, Polyklet, Praxiteles und Lysipp behandelt werden sollen. Wilhelm Raabe. (Schluß.) !it Randes dritten, kleinem Buche „Die Kinder von Finkenrode" (1859) beginnt die Reihe seiner Darstellungen aus dem deutsche» Kleinstadtlcben, jener wunderlichen Gestalten, Gesichter und Schick¬ sale, in denen sich vor allem das tiefe Gemüt unseres Autors ! offenbart. Die Beobachtung des Kleinlebens, um die eine eigen¬ artige Poesie gewebt ist, wird von einer höchst anmutigen Phantastik und einem Humor, der hier noch nicht vom Pessimismus durchsetzt erscheint, wirksam unter¬ stützt, und jenes heimatliche Gefühl, das wir als einen der Hauptvorzüge unseres Dichters rühme» müssen, tritt uns auch in den „Kindern von Finkenrode" in herzgewinnender Weise entgegen. Die beiden nächsten Bücher des Schriftstellers „Der heilige Born," Blätter aus dem Bilderbuche des sechzehnten Jahrhunderts (1861) und „Unsers Herrgotts Kanzlei" (1862) versetzen uns in eine andere Welt, es sind Erzählungen, deren Gestalten und Situationen sich auf historischem Hintergrunde bewegen, beide auf dem des reichen sechzehnten Jahrhunderts, dein der Glaubensspaltungen und Glaubenskämpfe, welche Deutschland erfüllten. „Der heilige Born" kann als eine gute Probe der Art gelten, wie Raabe hi¬ storische Erzählungen zu komponiren liebt. Die Handlung ist reich, mannich- faltig, nicht streng geschlossen und gegliedert und noch weniger dramatisch zu¬ gespitzt, aber von lebendigem Fluß und außerordentliche»: Reiz. Der „heilige Born" ist die Quelle vou Pyrmont, welche 1556, im Jahre nach dem Augs¬ burger Religionsfrieden, plötzlich zum Zielpunkt eines ungeheuren Andrangs ward. „Erst kam es einzeln wie Tropfen vor dem Platzregen, dann immer mehr und mehr gleich dem Platzregen selbst in ganzen Strömen. In hellen Haufen hat sich urplötzlich das Volk versammelt und jetzt liegt in allen unseren Dörfern und in Lügde und weit ius geistliche Land hinein alles voll. Ja sie haben in den Gehölzen umher ein ordentlich Heerlager aufgeschlagen, thun großen Schaden an Wild und Wald, und ist ihnen nicht zu wehren und zu steuern. Viel Gaukler und fahrend liederlich Gesindel hat sich allbereits auch schon angesam¬ melt und treibet ein bös gottlos Wesen." Unter so eigentümlichen Voraus¬ setzungen wird die Geschichte des letzten Grafen von Pyrmont aus dem Hause

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/463
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/463>, abgerufen am 26.06.2024.