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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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D le Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.

Lange hat in der Archäologischen Zeitung (ni, a. O.) diese ganze Frage nach
der Corrosion sehr eingehend, namentlich auch mit Rücksicht auf zahlreiche untre
Tempelskulpturen, behandelt. Sein Resultat aber scheint mir ein rein negatives
zu sein. Wenn wir aus seinen Ausführungen entnehmen, daß die Corrosion
an Bildwerken durch die mannichfnltigsten Umstände hervorgerufen werden kann:
über der Erde vornehmlich durch Traufwasser oder, wenn die schlitzenden Ge¬
bäudeteile gelitten hatten und durchlässig geworden waren, durch herabsickernden
Regen, unter der Erde aber ebensowohl durch die Feuchtigkeit der Erde an und
für sich, als infolge durchsickernden Regenwassers, so erscheint es in hohem Grade
bedenklich, irgendwelche Schlüsse auf solche Beobachtungen an Denkmälern bauen
zu wollen, wenn nicht, wie z. B. bei den pergamenischen Funden, ganz beson¬
dere Umstände zusammenwirken, welche die Corrosion zu einem wichtigen Unter-
scheidungsmittel einzelner Teile machen. Ein Beleg dafür ist namentlich eben
der Herakles des Ostgiebels. Am stärksten corrodirt ist bei diesem die linke
Seite. Brunn nahm deshalb an, diese sei dein Wetter um meisten ausgesetzt
gewesen, und daher habe der Herakles im Giebel auf der rechten Seite (vom Be¬
schauer) gestanden. Lange setzt ihn, wie frühör gewöhnlich geschah, auf die linke
Seite; bei regelmäßigem Fall wäre er also auf die linke Seite zu liegen ge¬
kommen und, angenommen, daß die Figuren eine Zeit lang nnr halb von Schutt
und Erde bedeckt dalagen, gerade auf dieser Seite, ans der er lag, corrodirt worden.
Nun ist aber die linke corrodirt, folglich muß er sich im Fallen überkugelt haben.
Mit solchen Gründen sollte man doch nicht operiren! Denn wenn er rechts
stand und von da herunterstürzte, ohne sich zu überkugeln, so kam ja seine linke
Seite auch unes unten zu liegen und wurde corrodirt; da aber andrerseits auch
vielfach solche Teile, welche nach oben lagen, corrodirt werden konnten, infolge
des durchsickernden Regenwassers, so konnte auch die Lage recht gut die umge¬
kehrte sein. Kurz, die Corrosion ist ein Hilfsmittel, das überall pro und contra
angewendet werden kann, folglich für gewöhnlich gar nicht angewandt werden
sollte, es sei denn/ daß ganz genaue Fundbcrichte vorliegen oder unwiderleglich
redende Thatsachen.

Der Leser möge verzeihen, daß ich bei dieser, wesentlich den Fachmann in-
teressirenden Frage wohl etwas zu lange verweilt habe. Ich verzichte dafür
darauf, auf die mannichfachen Untersuchungen, welche anch in den letzten Jahren
über die Chronologie und die Thätigkeit der älteren, nnr durch die Schriftquellen
bekannten Meister angestellt worden sind, näher einzugehen, da dergleichen für
den Laien von noch geringerem Interesse ist. Leider will es auch noch immer
nicht gelinge,,, eine deutliche Anschauung von den Werken dieser Vorgänger
der großen Knnstblttte durch die Nachweisung von Kopien zu gewinnen.
An Versuchen, solche aufzufinden, hat es freilich nie gefehlt; ich kann hier nur
kurz darauf hinweisen, daß z. B. neuerlich der Versuch gemacht worden ist,
einen bekannten alterthümlichen Jünglings-Typus, welcher in der Regel mit


D le Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts.

Lange hat in der Archäologischen Zeitung (ni, a. O.) diese ganze Frage nach
der Corrosion sehr eingehend, namentlich auch mit Rücksicht auf zahlreiche untre
Tempelskulpturen, behandelt. Sein Resultat aber scheint mir ein rein negatives
zu sein. Wenn wir aus seinen Ausführungen entnehmen, daß die Corrosion
an Bildwerken durch die mannichfnltigsten Umstände hervorgerufen werden kann:
über der Erde vornehmlich durch Traufwasser oder, wenn die schlitzenden Ge¬
bäudeteile gelitten hatten und durchlässig geworden waren, durch herabsickernden
Regen, unter der Erde aber ebensowohl durch die Feuchtigkeit der Erde an und
für sich, als infolge durchsickernden Regenwassers, so erscheint es in hohem Grade
bedenklich, irgendwelche Schlüsse auf solche Beobachtungen an Denkmälern bauen
zu wollen, wenn nicht, wie z. B. bei den pergamenischen Funden, ganz beson¬
dere Umstände zusammenwirken, welche die Corrosion zu einem wichtigen Unter-
scheidungsmittel einzelner Teile machen. Ein Beleg dafür ist namentlich eben
der Herakles des Ostgiebels. Am stärksten corrodirt ist bei diesem die linke
Seite. Brunn nahm deshalb an, diese sei dein Wetter um meisten ausgesetzt
gewesen, und daher habe der Herakles im Giebel auf der rechten Seite (vom Be¬
schauer) gestanden. Lange setzt ihn, wie frühör gewöhnlich geschah, auf die linke
Seite; bei regelmäßigem Fall wäre er also auf die linke Seite zu liegen ge¬
kommen und, angenommen, daß die Figuren eine Zeit lang nnr halb von Schutt
und Erde bedeckt dalagen, gerade auf dieser Seite, ans der er lag, corrodirt worden.
Nun ist aber die linke corrodirt, folglich muß er sich im Fallen überkugelt haben.
Mit solchen Gründen sollte man doch nicht operiren! Denn wenn er rechts
stand und von da herunterstürzte, ohne sich zu überkugeln, so kam ja seine linke
Seite auch unes unten zu liegen und wurde corrodirt; da aber andrerseits auch
vielfach solche Teile, welche nach oben lagen, corrodirt werden konnten, infolge
des durchsickernden Regenwassers, so konnte auch die Lage recht gut die umge¬
kehrte sein. Kurz, die Corrosion ist ein Hilfsmittel, das überall pro und contra
angewendet werden kann, folglich für gewöhnlich gar nicht angewandt werden
sollte, es sei denn/ daß ganz genaue Fundbcrichte vorliegen oder unwiderleglich
redende Thatsachen.

Der Leser möge verzeihen, daß ich bei dieser, wesentlich den Fachmann in-
teressirenden Frage wohl etwas zu lange verweilt habe. Ich verzichte dafür
darauf, auf die mannichfachen Untersuchungen, welche anch in den letzten Jahren
über die Chronologie und die Thätigkeit der älteren, nnr durch die Schriftquellen
bekannten Meister angestellt worden sind, näher einzugehen, da dergleichen für
den Laien von noch geringerem Interesse ist. Leider will es auch noch immer
nicht gelinge,,, eine deutliche Anschauung von den Werken dieser Vorgänger
der großen Knnstblttte durch die Nachweisung von Kopien zu gewinnen.
An Versuchen, solche aufzufinden, hat es freilich nie gefehlt; ich kann hier nur
kurz darauf hinweisen, daß z. B. neuerlich der Versuch gemacht worden ist,
einen bekannten alterthümlichen Jünglings-Typus, welcher in der Regel mit


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[0461] D le Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte während des letzten Jahrzehnts. Lange hat in der Archäologischen Zeitung (ni, a. O.) diese ganze Frage nach der Corrosion sehr eingehend, namentlich auch mit Rücksicht auf zahlreiche untre Tempelskulpturen, behandelt. Sein Resultat aber scheint mir ein rein negatives zu sein. Wenn wir aus seinen Ausführungen entnehmen, daß die Corrosion an Bildwerken durch die mannichfnltigsten Umstände hervorgerufen werden kann: über der Erde vornehmlich durch Traufwasser oder, wenn die schlitzenden Ge¬ bäudeteile gelitten hatten und durchlässig geworden waren, durch herabsickernden Regen, unter der Erde aber ebensowohl durch die Feuchtigkeit der Erde an und für sich, als infolge durchsickernden Regenwassers, so erscheint es in hohem Grade bedenklich, irgendwelche Schlüsse auf solche Beobachtungen an Denkmälern bauen zu wollen, wenn nicht, wie z. B. bei den pergamenischen Funden, ganz beson¬ dere Umstände zusammenwirken, welche die Corrosion zu einem wichtigen Unter- scheidungsmittel einzelner Teile machen. Ein Beleg dafür ist namentlich eben der Herakles des Ostgiebels. Am stärksten corrodirt ist bei diesem die linke Seite. Brunn nahm deshalb an, diese sei dein Wetter um meisten ausgesetzt gewesen, und daher habe der Herakles im Giebel auf der rechten Seite (vom Be¬ schauer) gestanden. Lange setzt ihn, wie frühör gewöhnlich geschah, auf die linke Seite; bei regelmäßigem Fall wäre er also auf die linke Seite zu liegen ge¬ kommen und, angenommen, daß die Figuren eine Zeit lang nnr halb von Schutt und Erde bedeckt dalagen, gerade auf dieser Seite, ans der er lag, corrodirt worden. Nun ist aber die linke corrodirt, folglich muß er sich im Fallen überkugelt haben. Mit solchen Gründen sollte man doch nicht operiren! Denn wenn er rechts stand und von da herunterstürzte, ohne sich zu überkugeln, so kam ja seine linke Seite auch unes unten zu liegen und wurde corrodirt; da aber andrerseits auch vielfach solche Teile, welche nach oben lagen, corrodirt werden konnten, infolge des durchsickernden Regenwassers, so konnte auch die Lage recht gut die umge¬ kehrte sein. Kurz, die Corrosion ist ein Hilfsmittel, das überall pro und contra angewendet werden kann, folglich für gewöhnlich gar nicht angewandt werden sollte, es sei denn/ daß ganz genaue Fundbcrichte vorliegen oder unwiderleglich redende Thatsachen. Der Leser möge verzeihen, daß ich bei dieser, wesentlich den Fachmann in- teressirenden Frage wohl etwas zu lange verweilt habe. Ich verzichte dafür darauf, auf die mannichfachen Untersuchungen, welche anch in den letzten Jahren über die Chronologie und die Thätigkeit der älteren, nnr durch die Schriftquellen bekannten Meister angestellt worden sind, näher einzugehen, da dergleichen für den Laien von noch geringerem Interesse ist. Leider will es auch noch immer nicht gelinge,,, eine deutliche Anschauung von den Werken dieser Vorgänger der großen Knnstblttte durch die Nachweisung von Kopien zu gewinnen. An Versuchen, solche aufzufinden, hat es freilich nie gefehlt; ich kann hier nur kurz darauf hinweisen, daß z. B. neuerlich der Versuch gemacht worden ist, einen bekannten alterthümlichen Jünglings-Typus, welcher in der Regel mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/461>, abgerufen am 26.06.2024.