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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antiken Annstgeschichto während des letzten Jahrzehnts.

die Von Homer besungenen Ereignisse spielten, etwa bestanden haben kann --
gehört jener Epoche an, wo ein ursprünglich nationales Element der Dekoration,
wenn überhaupt ein solches damals noch vorhanden war, unter dem Einfluß
orientalischer Kunstübung vollständig verschwunden war oder wenigstens neben
demselben ganz unbeachtet blick Die künstlerischen Besonderheiten aber, welche
die^ Schliemnnnschen Funde zeigen, haben nichts mit orientalischer Kunst zu
thun, sondern stehen im allgemeinen mit den oben besprochenen prähistorischen
Objekten ans einer Stufe, Auch sie bilden ein Glied in der Kette von Gegen¬
ständen, welche berufen sind, die Frage nach der indogermanischen oder altenro-
päischen Kunstweise zu lösen: zur Lösung der troischen Frage aber können sie
uns nichts helfen. Immerhin verdienen die Funde, namentlich im Zusammen¬
hang mit den sonstigen Denkmälern einer entsprechenden Kulturstufe, eine wissen-
schaftliche Behandlung; denn eine solche ist ihnen, streng genommen, bis jetzt
noch nicht zu Teil geworden. Schliemann hat zwar seine erste, durchaus un¬
genügende Publikation: "Trojanische Altertümer, Bericht über die Ausgrabungen
in Troja" (Mit Atlas. Leipzig. Brockhaus, 1874), durch ein inhaltlich und
artistisch in jeder Beziehung besseres Werk: "Ilios; Stadt und Land der Tro¬
janer. Forschungen und Entdeckungen in der Troas und besonders auf der
Baustelle von Troja" (Leipzig, Brockhaus, 4881), ersetzt; aber obgleich diese
Neubearbeitung noch dnrch Originalbciträge von Brunn (über die Helios-Metope),
von Brugsch, Postolaecas u. a. bereichert worden ist, und obgleich Schliemann
selbst eine Anzahl seiner anfänglichen, in der ersten Freude der Entdeckung auf"
gestellten, geradezu maßlosen Hhpothesen im Laufe der Jahre teils fallen ge¬
lassen, teils gemildert hat, so ist doch immer noch so viel Wunderliches mit so
viel Voreingenommenheit übrig geblieben, daß auch sein neues Buch, zumal da
die Form der Behandlung immer noch die des Tagebuchberichtes ist, nicht als
wissenschaftlich nutzbar bezeichnet werden kann. Damit soll Schliemanns Ent¬
deckerruhm nichts weniger als geschmälert werden; der Referent gehört vielmehr
zu denjenigen, die von jeher, auch als es Mode war, über Schliemann vornehm
die Achseln zu zucken, gerade so wie es heute Mode ist, in Überschwenglichkeit
für ihn zu machen, das selbstlose, von der reinsten Hingabe für seine idealen
Ziele getragenen Streben des Mannes rückhaltlos bewundert und dieser Be¬
wunderung auch durch Wort und Schrift Ausdruck verliehe" hat. Aber das
darf uns nicht die Augen dagegen verschließen, daß Schliemanns Bedeutung
wesentlich in seinem, ich möchte fast sagen divinatorischen Erkennen bedeutungs¬
voller Aufgaben, in der Energie, mit der er das einmal gesteckte Ziel verfolgt,
zu suchen ist, uicht aber in der wissenschaftliche" Ausnutzung und Bearbeitung
des von ihm Gefundenen. Immerhin soll ihm anch auf diesem Gebiete die An¬
erkennung nicht versagt werden, daß er seit seinein ersten literarischen Auftreten
hierin bedeutende Fortschritte gemacht hat. Das zeigt namentlich sein zweites
Unternehmen, dessen wir gleich an dieser Stelle gedenken können, da die hierbei


Die Fortschritte in der antiken Annstgeschichto während des letzten Jahrzehnts.

die Von Homer besungenen Ereignisse spielten, etwa bestanden haben kann —
gehört jener Epoche an, wo ein ursprünglich nationales Element der Dekoration,
wenn überhaupt ein solches damals noch vorhanden war, unter dem Einfluß
orientalischer Kunstübung vollständig verschwunden war oder wenigstens neben
demselben ganz unbeachtet blick Die künstlerischen Besonderheiten aber, welche
die^ Schliemnnnschen Funde zeigen, haben nichts mit orientalischer Kunst zu
thun, sondern stehen im allgemeinen mit den oben besprochenen prähistorischen
Objekten ans einer Stufe, Auch sie bilden ein Glied in der Kette von Gegen¬
ständen, welche berufen sind, die Frage nach der indogermanischen oder altenro-
päischen Kunstweise zu lösen: zur Lösung der troischen Frage aber können sie
uns nichts helfen. Immerhin verdienen die Funde, namentlich im Zusammen¬
hang mit den sonstigen Denkmälern einer entsprechenden Kulturstufe, eine wissen-
schaftliche Behandlung; denn eine solche ist ihnen, streng genommen, bis jetzt
noch nicht zu Teil geworden. Schliemann hat zwar seine erste, durchaus un¬
genügende Publikation: „Trojanische Altertümer, Bericht über die Ausgrabungen
in Troja" (Mit Atlas. Leipzig. Brockhaus, 1874), durch ein inhaltlich und
artistisch in jeder Beziehung besseres Werk: „Ilios; Stadt und Land der Tro¬
janer. Forschungen und Entdeckungen in der Troas und besonders auf der
Baustelle von Troja" (Leipzig, Brockhaus, 4881), ersetzt; aber obgleich diese
Neubearbeitung noch dnrch Originalbciträge von Brunn (über die Helios-Metope),
von Brugsch, Postolaecas u. a. bereichert worden ist, und obgleich Schliemann
selbst eine Anzahl seiner anfänglichen, in der ersten Freude der Entdeckung auf»
gestellten, geradezu maßlosen Hhpothesen im Laufe der Jahre teils fallen ge¬
lassen, teils gemildert hat, so ist doch immer noch so viel Wunderliches mit so
viel Voreingenommenheit übrig geblieben, daß auch sein neues Buch, zumal da
die Form der Behandlung immer noch die des Tagebuchberichtes ist, nicht als
wissenschaftlich nutzbar bezeichnet werden kann. Damit soll Schliemanns Ent¬
deckerruhm nichts weniger als geschmälert werden; der Referent gehört vielmehr
zu denjenigen, die von jeher, auch als es Mode war, über Schliemann vornehm
die Achseln zu zucken, gerade so wie es heute Mode ist, in Überschwenglichkeit
für ihn zu machen, das selbstlose, von der reinsten Hingabe für seine idealen
Ziele getragenen Streben des Mannes rückhaltlos bewundert und dieser Be¬
wunderung auch durch Wort und Schrift Ausdruck verliehe» hat. Aber das
darf uns nicht die Augen dagegen verschließen, daß Schliemanns Bedeutung
wesentlich in seinem, ich möchte fast sagen divinatorischen Erkennen bedeutungs¬
voller Aufgaben, in der Energie, mit der er das einmal gesteckte Ziel verfolgt,
zu suchen ist, uicht aber in der wissenschaftliche» Ausnutzung und Bearbeitung
des von ihm Gefundenen. Immerhin soll ihm anch auf diesem Gebiete die An¬
erkennung nicht versagt werden, daß er seit seinein ersten literarischen Auftreten
hierin bedeutende Fortschritte gemacht hat. Das zeigt namentlich sein zweites
Unternehmen, dessen wir gleich an dieser Stelle gedenken können, da die hierbei


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[0453] Die Fortschritte in der antiken Annstgeschichto während des letzten Jahrzehnts. die Von Homer besungenen Ereignisse spielten, etwa bestanden haben kann — gehört jener Epoche an, wo ein ursprünglich nationales Element der Dekoration, wenn überhaupt ein solches damals noch vorhanden war, unter dem Einfluß orientalischer Kunstübung vollständig verschwunden war oder wenigstens neben demselben ganz unbeachtet blick Die künstlerischen Besonderheiten aber, welche die^ Schliemnnnschen Funde zeigen, haben nichts mit orientalischer Kunst zu thun, sondern stehen im allgemeinen mit den oben besprochenen prähistorischen Objekten ans einer Stufe, Auch sie bilden ein Glied in der Kette von Gegen¬ ständen, welche berufen sind, die Frage nach der indogermanischen oder altenro- päischen Kunstweise zu lösen: zur Lösung der troischen Frage aber können sie uns nichts helfen. Immerhin verdienen die Funde, namentlich im Zusammen¬ hang mit den sonstigen Denkmälern einer entsprechenden Kulturstufe, eine wissen- schaftliche Behandlung; denn eine solche ist ihnen, streng genommen, bis jetzt noch nicht zu Teil geworden. Schliemann hat zwar seine erste, durchaus un¬ genügende Publikation: „Trojanische Altertümer, Bericht über die Ausgrabungen in Troja" (Mit Atlas. Leipzig. Brockhaus, 1874), durch ein inhaltlich und artistisch in jeder Beziehung besseres Werk: „Ilios; Stadt und Land der Tro¬ janer. Forschungen und Entdeckungen in der Troas und besonders auf der Baustelle von Troja" (Leipzig, Brockhaus, 4881), ersetzt; aber obgleich diese Neubearbeitung noch dnrch Originalbciträge von Brunn (über die Helios-Metope), von Brugsch, Postolaecas u. a. bereichert worden ist, und obgleich Schliemann selbst eine Anzahl seiner anfänglichen, in der ersten Freude der Entdeckung auf» gestellten, geradezu maßlosen Hhpothesen im Laufe der Jahre teils fallen ge¬ lassen, teils gemildert hat, so ist doch immer noch so viel Wunderliches mit so viel Voreingenommenheit übrig geblieben, daß auch sein neues Buch, zumal da die Form der Behandlung immer noch die des Tagebuchberichtes ist, nicht als wissenschaftlich nutzbar bezeichnet werden kann. Damit soll Schliemanns Ent¬ deckerruhm nichts weniger als geschmälert werden; der Referent gehört vielmehr zu denjenigen, die von jeher, auch als es Mode war, über Schliemann vornehm die Achseln zu zucken, gerade so wie es heute Mode ist, in Überschwenglichkeit für ihn zu machen, das selbstlose, von der reinsten Hingabe für seine idealen Ziele getragenen Streben des Mannes rückhaltlos bewundert und dieser Be¬ wunderung auch durch Wort und Schrift Ausdruck verliehe» hat. Aber das darf uns nicht die Augen dagegen verschließen, daß Schliemanns Bedeutung wesentlich in seinem, ich möchte fast sagen divinatorischen Erkennen bedeutungs¬ voller Aufgaben, in der Energie, mit der er das einmal gesteckte Ziel verfolgt, zu suchen ist, uicht aber in der wissenschaftliche» Ausnutzung und Bearbeitung des von ihm Gefundenen. Immerhin soll ihm anch auf diesem Gebiete die An¬ erkennung nicht versagt werden, daß er seit seinein ersten literarischen Auftreten hierin bedeutende Fortschritte gemacht hat. Das zeigt namentlich sein zweites Unternehmen, dessen wir gleich an dieser Stelle gedenken können, da die hierbei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/453>, abgerufen am 26.06.2024.