Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschi este während dos letzten Jahrzehnts.

Auffassung auch Bedenken laut geworden sind, Bedenken, die vornehmlich dahin
gehe", daß die von ihm nachgewiesene Ornamentik erst eiuer späteren Periode zu¬
geschrieben, als früheste Dekorationsweise aber eine noch viel primitivere angesehen
werden müsse: etwa die wesentlich sich mit einigen eingeritzter Dreiecken oder
Kreisen behelfende, jeglicher organischen Figur noch gänzlich entbehrende Orna¬
mentik, wie sie Wolfgang Helbig in seinem ebenso für Archäologen und
Historiker wie für Paläoethnologeu lehrreichen Buche: "Die Jtaliker in der
Po-Ebene" (Leipzig, 1379), für die Pfahldörfler in der Po-Niederung und den
sogenannten Terrcmarc nachgewiesen hat (mit seinem Aufsatz in den ^nuickt
"lsll' 1n8tiwto f. 1875, S, 212 ff.). Durch diese, für die Urzeit des gräko-
italischen Stammes bedeutungsvolle Frage sind die Erforscher des klassischen
Altertums mit denen der nordischen Altertümer in engere Beziehungen getreten.
Conzcs Vorgehen war Veranlassung, daß man nunmehr auch von andern Seiten
auf die von ihm klar und besonnen dargelegte Methode der Ornamentik, nicht
bloß für Thon-, sondern auch für Metallarbeiten, aufmerksam wurde; das Ma¬
terial wurde bald nach verschiedenen Richtungen hin ansehnlich durch Beiträge,
welche hier einzeln anzuführen uns zu weit führen würde, vermehrt. Für das
eigentliche Griechenland hat sich besonders das Dipylvn in Athen als Fundort
für Vasen von solcher Technik ältester Art erwiesen. Ganz besonders aber sind
anch für diese Fragen von hohem Interesse die so sehr verschieden beurteilten,
auf der einen Seite ebenso sehr überschätzten, wie auf der andern mit Unrecht
mißachteten Funde Schliemanns in Troja, von denen wir, obgleich dieselben
schon früher und auch neuerdings wieder überall eingehende Besprechung er¬
fahren haben, doch auch hier einige Worte sagen müssen.

Die Hauptfrage freilich bei Schliemanns trojanischen Forschungen und zu¬
gleich diejenige, welche am meisten Staub aufgewirbelt hat, geht uns hier wenig
an: ob nämlich die Stelle, wo Schliemann nachgegraben, der Burgberg auf
Hissarlik, wirklich die Stätte des alten Ilion sei, ob die von ihm dort aufge¬
deckten baulichen Reste verschiedener Anlagen in der That die Stadt des Pricnnos
uns wiedergegeben haben. Es ist längst darauf hingewiesen worden, um von
andern gerechten Bedenken zu schweigen, daß der Charakter der homerischen
Kunst ein durchaus andrer ist als der, welchen die an jener Stelle aufgefun¬
denen Werke des Kunstgewerbes (denn von eigentlichen Kunstwerken ist ja
wenigstens für jene untern Schichten von Hissarlik nicht die Rede) tragen.
Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß Hissarlik nicht doch der Platz sein könne,
an den sich später die Sage vom troischen Krieg anknüpfte, ja es ist das sogar
wahrscheinlich: aber die ursprüngliche Auffassung Schliemanns, daß man in
diesen Ruinen und ihren Fnndgegenständen der homerischen Schilderung ent¬
sprechendes zu sehen habe, ist damit zurückgewiesen. Die homerische Kunst
-- unter der man streng genommen eben die Kunst, wie sie uns in den homerischen
Gedichten entgegentritt, zu verstehen hat, nicht aber die, welche zu der Zeit, da


Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschi este während dos letzten Jahrzehnts.

Auffassung auch Bedenken laut geworden sind, Bedenken, die vornehmlich dahin
gehe», daß die von ihm nachgewiesene Ornamentik erst eiuer späteren Periode zu¬
geschrieben, als früheste Dekorationsweise aber eine noch viel primitivere angesehen
werden müsse: etwa die wesentlich sich mit einigen eingeritzter Dreiecken oder
Kreisen behelfende, jeglicher organischen Figur noch gänzlich entbehrende Orna¬
mentik, wie sie Wolfgang Helbig in seinem ebenso für Archäologen und
Historiker wie für Paläoethnologeu lehrreichen Buche: „Die Jtaliker in der
Po-Ebene" (Leipzig, 1379), für die Pfahldörfler in der Po-Niederung und den
sogenannten Terrcmarc nachgewiesen hat (mit seinem Aufsatz in den ^nuickt
«lsll' 1n8tiwto f. 1875, S, 212 ff.). Durch diese, für die Urzeit des gräko-
italischen Stammes bedeutungsvolle Frage sind die Erforscher des klassischen
Altertums mit denen der nordischen Altertümer in engere Beziehungen getreten.
Conzcs Vorgehen war Veranlassung, daß man nunmehr auch von andern Seiten
auf die von ihm klar und besonnen dargelegte Methode der Ornamentik, nicht
bloß für Thon-, sondern auch für Metallarbeiten, aufmerksam wurde; das Ma¬
terial wurde bald nach verschiedenen Richtungen hin ansehnlich durch Beiträge,
welche hier einzeln anzuführen uns zu weit führen würde, vermehrt. Für das
eigentliche Griechenland hat sich besonders das Dipylvn in Athen als Fundort
für Vasen von solcher Technik ältester Art erwiesen. Ganz besonders aber sind
anch für diese Fragen von hohem Interesse die so sehr verschieden beurteilten,
auf der einen Seite ebenso sehr überschätzten, wie auf der andern mit Unrecht
mißachteten Funde Schliemanns in Troja, von denen wir, obgleich dieselben
schon früher und auch neuerdings wieder überall eingehende Besprechung er¬
fahren haben, doch auch hier einige Worte sagen müssen.

Die Hauptfrage freilich bei Schliemanns trojanischen Forschungen und zu¬
gleich diejenige, welche am meisten Staub aufgewirbelt hat, geht uns hier wenig
an: ob nämlich die Stelle, wo Schliemann nachgegraben, der Burgberg auf
Hissarlik, wirklich die Stätte des alten Ilion sei, ob die von ihm dort aufge¬
deckten baulichen Reste verschiedener Anlagen in der That die Stadt des Pricnnos
uns wiedergegeben haben. Es ist längst darauf hingewiesen worden, um von
andern gerechten Bedenken zu schweigen, daß der Charakter der homerischen
Kunst ein durchaus andrer ist als der, welchen die an jener Stelle aufgefun¬
denen Werke des Kunstgewerbes (denn von eigentlichen Kunstwerken ist ja
wenigstens für jene untern Schichten von Hissarlik nicht die Rede) tragen.
Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß Hissarlik nicht doch der Platz sein könne,
an den sich später die Sage vom troischen Krieg anknüpfte, ja es ist das sogar
wahrscheinlich: aber die ursprüngliche Auffassung Schliemanns, daß man in
diesen Ruinen und ihren Fnndgegenständen der homerischen Schilderung ent¬
sprechendes zu sehen habe, ist damit zurückgewiesen. Die homerische Kunst
— unter der man streng genommen eben die Kunst, wie sie uns in den homerischen
Gedichten entgegentritt, zu verstehen hat, nicht aber die, welche zu der Zeit, da


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86573"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschi este während dos letzten Jahrzehnts.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1885" prev="#ID_1884"> Auffassung auch Bedenken laut geworden sind, Bedenken, die vornehmlich dahin<lb/>
gehe», daß die von ihm nachgewiesene Ornamentik erst eiuer späteren Periode zu¬<lb/>
geschrieben, als früheste Dekorationsweise aber eine noch viel primitivere angesehen<lb/>
werden müsse: etwa die wesentlich sich mit einigen eingeritzter Dreiecken oder<lb/>
Kreisen behelfende, jeglicher organischen Figur noch gänzlich entbehrende Orna¬<lb/>
mentik, wie sie Wolfgang Helbig in seinem ebenso für Archäologen und<lb/>
Historiker wie für Paläoethnologeu lehrreichen Buche: &#x201E;Die Jtaliker in der<lb/>
Po-Ebene" (Leipzig, 1379), für die Pfahldörfler in der Po-Niederung und den<lb/>
sogenannten Terrcmarc nachgewiesen hat (mit seinem Aufsatz in den ^nuickt<lb/>
«lsll' 1n8tiwto f. 1875, S, 212 ff.). Durch diese, für die Urzeit des gräko-<lb/>
italischen Stammes bedeutungsvolle Frage sind die Erforscher des klassischen<lb/>
Altertums mit denen der nordischen Altertümer in engere Beziehungen getreten.<lb/>
Conzcs Vorgehen war Veranlassung, daß man nunmehr auch von andern Seiten<lb/>
auf die von ihm klar und besonnen dargelegte Methode der Ornamentik, nicht<lb/>
bloß für Thon-, sondern auch für Metallarbeiten, aufmerksam wurde; das Ma¬<lb/>
terial wurde bald nach verschiedenen Richtungen hin ansehnlich durch Beiträge,<lb/>
welche hier einzeln anzuführen uns zu weit führen würde, vermehrt. Für das<lb/>
eigentliche Griechenland hat sich besonders das Dipylvn in Athen als Fundort<lb/>
für Vasen von solcher Technik ältester Art erwiesen. Ganz besonders aber sind<lb/>
anch für diese Fragen von hohem Interesse die so sehr verschieden beurteilten,<lb/>
auf der einen Seite ebenso sehr überschätzten, wie auf der andern mit Unrecht<lb/>
mißachteten Funde Schliemanns in Troja, von denen wir, obgleich dieselben<lb/>
schon früher und auch neuerdings wieder überall eingehende Besprechung er¬<lb/>
fahren haben, doch auch hier einige Worte sagen müssen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1886" next="#ID_1887"> Die Hauptfrage freilich bei Schliemanns trojanischen Forschungen und zu¬<lb/>
gleich diejenige, welche am meisten Staub aufgewirbelt hat, geht uns hier wenig<lb/>
an: ob nämlich die Stelle, wo Schliemann nachgegraben, der Burgberg auf<lb/>
Hissarlik, wirklich die Stätte des alten Ilion sei, ob die von ihm dort aufge¬<lb/>
deckten baulichen Reste verschiedener Anlagen in der That die Stadt des Pricnnos<lb/>
uns wiedergegeben haben. Es ist längst darauf hingewiesen worden, um von<lb/>
andern gerechten Bedenken zu schweigen, daß der Charakter der homerischen<lb/>
Kunst ein durchaus andrer ist als der, welchen die an jener Stelle aufgefun¬<lb/>
denen Werke des Kunstgewerbes (denn von eigentlichen Kunstwerken ist ja<lb/>
wenigstens für jene untern Schichten von Hissarlik nicht die Rede) tragen.<lb/>
Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß Hissarlik nicht doch der Platz sein könne,<lb/>
an den sich später die Sage vom troischen Krieg anknüpfte, ja es ist das sogar<lb/>
wahrscheinlich: aber die ursprüngliche Auffassung Schliemanns, daß man in<lb/>
diesen Ruinen und ihren Fnndgegenständen der homerischen Schilderung ent¬<lb/>
sprechendes zu sehen habe, ist damit zurückgewiesen. Die homerische Kunst<lb/>
&#x2014; unter der man streng genommen eben die Kunst, wie sie uns in den homerischen<lb/>
Gedichten entgegentritt, zu verstehen hat, nicht aber die, welche zu der Zeit, da</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0452] Die Fortschritte in der antiken Knnstgeschi este während dos letzten Jahrzehnts. Auffassung auch Bedenken laut geworden sind, Bedenken, die vornehmlich dahin gehe», daß die von ihm nachgewiesene Ornamentik erst eiuer späteren Periode zu¬ geschrieben, als früheste Dekorationsweise aber eine noch viel primitivere angesehen werden müsse: etwa die wesentlich sich mit einigen eingeritzter Dreiecken oder Kreisen behelfende, jeglicher organischen Figur noch gänzlich entbehrende Orna¬ mentik, wie sie Wolfgang Helbig in seinem ebenso für Archäologen und Historiker wie für Paläoethnologeu lehrreichen Buche: „Die Jtaliker in der Po-Ebene" (Leipzig, 1379), für die Pfahldörfler in der Po-Niederung und den sogenannten Terrcmarc nachgewiesen hat (mit seinem Aufsatz in den ^nuickt «lsll' 1n8tiwto f. 1875, S, 212 ff.). Durch diese, für die Urzeit des gräko- italischen Stammes bedeutungsvolle Frage sind die Erforscher des klassischen Altertums mit denen der nordischen Altertümer in engere Beziehungen getreten. Conzcs Vorgehen war Veranlassung, daß man nunmehr auch von andern Seiten auf die von ihm klar und besonnen dargelegte Methode der Ornamentik, nicht bloß für Thon-, sondern auch für Metallarbeiten, aufmerksam wurde; das Ma¬ terial wurde bald nach verschiedenen Richtungen hin ansehnlich durch Beiträge, welche hier einzeln anzuführen uns zu weit führen würde, vermehrt. Für das eigentliche Griechenland hat sich besonders das Dipylvn in Athen als Fundort für Vasen von solcher Technik ältester Art erwiesen. Ganz besonders aber sind anch für diese Fragen von hohem Interesse die so sehr verschieden beurteilten, auf der einen Seite ebenso sehr überschätzten, wie auf der andern mit Unrecht mißachteten Funde Schliemanns in Troja, von denen wir, obgleich dieselben schon früher und auch neuerdings wieder überall eingehende Besprechung er¬ fahren haben, doch auch hier einige Worte sagen müssen. Die Hauptfrage freilich bei Schliemanns trojanischen Forschungen und zu¬ gleich diejenige, welche am meisten Staub aufgewirbelt hat, geht uns hier wenig an: ob nämlich die Stelle, wo Schliemann nachgegraben, der Burgberg auf Hissarlik, wirklich die Stätte des alten Ilion sei, ob die von ihm dort aufge¬ deckten baulichen Reste verschiedener Anlagen in der That die Stadt des Pricnnos uns wiedergegeben haben. Es ist längst darauf hingewiesen worden, um von andern gerechten Bedenken zu schweigen, daß der Charakter der homerischen Kunst ein durchaus andrer ist als der, welchen die an jener Stelle aufgefun¬ denen Werke des Kunstgewerbes (denn von eigentlichen Kunstwerken ist ja wenigstens für jene untern Schichten von Hissarlik nicht die Rede) tragen. Damit ist freilich noch nicht gesagt, daß Hissarlik nicht doch der Platz sein könne, an den sich später die Sage vom troischen Krieg anknüpfte, ja es ist das sogar wahrscheinlich: aber die ursprüngliche Auffassung Schliemanns, daß man in diesen Ruinen und ihren Fnndgegenständen der homerischen Schilderung ent¬ sprechendes zu sehen habe, ist damit zurückgewiesen. Die homerische Kunst — unter der man streng genommen eben die Kunst, wie sie uns in den homerischen Gedichten entgegentritt, zu verstehen hat, nicht aber die, welche zu der Zeit, da

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/452
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/452>, abgerufen am 26.06.2024.