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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antiken Knnsigeschichte während des letzten Jahrzehnts.

und höchstens erforderte dann die Frage, ob die griechische Kunst in der Folge¬
zeit sich ganz und gar aus sich selbst heraus entwickelt oder ob sie von Ägypten
her importirt worden oder wenigstens von dort starke Impulse empfangen habe,
eine nähere Erörterung, Aber wie die zwar noch so junge, aber immer größere
Bedeutung für sich in Anspruch nehmende Wissenschaft der Sprachvergleichung
auch auf andern Gebieten, wie z, B, dem der Mythologie, beachtenswerte Nach¬
folge gefunden hat, so hat sie auch ihren Einfluß auf die Kunstgeschichte nicht
verfehlt. Zwar liegt hier alles noch in den Anfängen, und vou einer kompa¬
rativen Kunstgeschichte zu sprechen ist einstweilen noch nicht möglich; wohl aber
ist die Frage immer mehr in den Vordergrund getreten: Besäßen die Griechen,
als sie vou dem großen gemeinschaftlichen Stamme sich lostrennten, schon ein
bestimmtes künstlerisches Können? Sind wir imstande, in den uns erhaltenen
Resten der griechischen Kunst noch etwas nachzuweisen, was man als indoger¬
manisches oder arisches Erbteil zu betrachten berechtigt wäre?

Die Beantwortung dieser Fragen ist deswegen nicht so leicht, weil es sich
hier nicht um eine, wenn auch nur einigermaßen schon entwickelte Kunst handelt.
Das einzige Material vielmehr, dessen wir uns bei der Lösung des Problems
bedienen können, ist das Ornament, und das Substrat, an welchem wir diese
ältesten Schriftzttge der griechischen Kunst zu lesen uns bemühen, ist noch dazu
größtenteils ein sehr vergängliches: einfaches Thongeschirr, welches uns durch
die uralte Sitte, dem Toten Gefäße mit ins Grab zu geben, von den frühesten
Anfängen der Kunstübung an bis zu den spätesten Ausläufern in überreicher
Menge erhalten ist. Daneben kommen dann freilich auch vereinzelt Reste von
Metalltechnik u. a, in, in Betracht, Mit der Untersuchung der Ornamente dieser
Neste setzt die heutige Kunstsorschung ein. Hierauf zuerst hingewiesen zu haben,
bleibt unbestritten eines der bedeutendsten unter den vielen Verdiensten, welche
sich Alexander Conze um die Archäologie erworben hat. Seine hierauf be¬
züglichen Aufsätze: "Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst" (in den
Sitzungsberichten der Wiener Akademie von 1870 und 1873), fallen zwar zum Teil
noch etwas vor die Zeit, von der wir hier zu handeln haben; aber sie durften
nicht übergangen werden, weil durch sie erst auf gewisse Gefäßdekorationcn auf¬
merksam gemacht worden ist, welche wohl früher schon vereinzelt Beachtung, aber
noch nicht im Zusammenhange die gebührende Würdigung erfahren hatten. Die von
Conze aufgestellte Ausicht läuft vornehmlich darauf hinaus, daß man in der so¬
genannten linearen oder geometrischen Dekorationsweise, d. h. in der einfachsten
Ausschmückung der Gefäße mit gewissen regelmäßigen Mustern, deren Haupt¬
bestandteile Linien, Kreise, Kreuze und dergleichen nebst einigen wenigen, flüchtig
ausgeführten Darstellungen der gewöchnlichstcn Haustiere bilden, jenes indoger¬
manische Erbteil zu sehen habe; und man hat deshalb für diese Dekorations¬
weise auch die Beuemliuig indogermauisch oder arisch vorgeschlagen. Das
Verdienst Conzes kauu nicht dadurch geschmälert werden, daß gegenüber dieser


Die Fortschritte in der antiken Knnsigeschichte während des letzten Jahrzehnts.

und höchstens erforderte dann die Frage, ob die griechische Kunst in der Folge¬
zeit sich ganz und gar aus sich selbst heraus entwickelt oder ob sie von Ägypten
her importirt worden oder wenigstens von dort starke Impulse empfangen habe,
eine nähere Erörterung, Aber wie die zwar noch so junge, aber immer größere
Bedeutung für sich in Anspruch nehmende Wissenschaft der Sprachvergleichung
auch auf andern Gebieten, wie z, B, dem der Mythologie, beachtenswerte Nach¬
folge gefunden hat, so hat sie auch ihren Einfluß auf die Kunstgeschichte nicht
verfehlt. Zwar liegt hier alles noch in den Anfängen, und vou einer kompa¬
rativen Kunstgeschichte zu sprechen ist einstweilen noch nicht möglich; wohl aber
ist die Frage immer mehr in den Vordergrund getreten: Besäßen die Griechen,
als sie vou dem großen gemeinschaftlichen Stamme sich lostrennten, schon ein
bestimmtes künstlerisches Können? Sind wir imstande, in den uns erhaltenen
Resten der griechischen Kunst noch etwas nachzuweisen, was man als indoger¬
manisches oder arisches Erbteil zu betrachten berechtigt wäre?

Die Beantwortung dieser Fragen ist deswegen nicht so leicht, weil es sich
hier nicht um eine, wenn auch nur einigermaßen schon entwickelte Kunst handelt.
Das einzige Material vielmehr, dessen wir uns bei der Lösung des Problems
bedienen können, ist das Ornament, und das Substrat, an welchem wir diese
ältesten Schriftzttge der griechischen Kunst zu lesen uns bemühen, ist noch dazu
größtenteils ein sehr vergängliches: einfaches Thongeschirr, welches uns durch
die uralte Sitte, dem Toten Gefäße mit ins Grab zu geben, von den frühesten
Anfängen der Kunstübung an bis zu den spätesten Ausläufern in überreicher
Menge erhalten ist. Daneben kommen dann freilich auch vereinzelt Reste von
Metalltechnik u. a, in, in Betracht, Mit der Untersuchung der Ornamente dieser
Neste setzt die heutige Kunstsorschung ein. Hierauf zuerst hingewiesen zu haben,
bleibt unbestritten eines der bedeutendsten unter den vielen Verdiensten, welche
sich Alexander Conze um die Archäologie erworben hat. Seine hierauf be¬
züglichen Aufsätze: „Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst" (in den
Sitzungsberichten der Wiener Akademie von 1870 und 1873), fallen zwar zum Teil
noch etwas vor die Zeit, von der wir hier zu handeln haben; aber sie durften
nicht übergangen werden, weil durch sie erst auf gewisse Gefäßdekorationcn auf¬
merksam gemacht worden ist, welche wohl früher schon vereinzelt Beachtung, aber
noch nicht im Zusammenhange die gebührende Würdigung erfahren hatten. Die von
Conze aufgestellte Ausicht läuft vornehmlich darauf hinaus, daß man in der so¬
genannten linearen oder geometrischen Dekorationsweise, d. h. in der einfachsten
Ausschmückung der Gefäße mit gewissen regelmäßigen Mustern, deren Haupt¬
bestandteile Linien, Kreise, Kreuze und dergleichen nebst einigen wenigen, flüchtig
ausgeführten Darstellungen der gewöchnlichstcn Haustiere bilden, jenes indoger¬
manische Erbteil zu sehen habe; und man hat deshalb für diese Dekorations¬
weise auch die Beuemliuig indogermauisch oder arisch vorgeschlagen. Das
Verdienst Conzes kauu nicht dadurch geschmälert werden, daß gegenüber dieser


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[0451] Die Fortschritte in der antiken Knnsigeschichte während des letzten Jahrzehnts. und höchstens erforderte dann die Frage, ob die griechische Kunst in der Folge¬ zeit sich ganz und gar aus sich selbst heraus entwickelt oder ob sie von Ägypten her importirt worden oder wenigstens von dort starke Impulse empfangen habe, eine nähere Erörterung, Aber wie die zwar noch so junge, aber immer größere Bedeutung für sich in Anspruch nehmende Wissenschaft der Sprachvergleichung auch auf andern Gebieten, wie z, B, dem der Mythologie, beachtenswerte Nach¬ folge gefunden hat, so hat sie auch ihren Einfluß auf die Kunstgeschichte nicht verfehlt. Zwar liegt hier alles noch in den Anfängen, und vou einer kompa¬ rativen Kunstgeschichte zu sprechen ist einstweilen noch nicht möglich; wohl aber ist die Frage immer mehr in den Vordergrund getreten: Besäßen die Griechen, als sie vou dem großen gemeinschaftlichen Stamme sich lostrennten, schon ein bestimmtes künstlerisches Können? Sind wir imstande, in den uns erhaltenen Resten der griechischen Kunst noch etwas nachzuweisen, was man als indoger¬ manisches oder arisches Erbteil zu betrachten berechtigt wäre? Die Beantwortung dieser Fragen ist deswegen nicht so leicht, weil es sich hier nicht um eine, wenn auch nur einigermaßen schon entwickelte Kunst handelt. Das einzige Material vielmehr, dessen wir uns bei der Lösung des Problems bedienen können, ist das Ornament, und das Substrat, an welchem wir diese ältesten Schriftzttge der griechischen Kunst zu lesen uns bemühen, ist noch dazu größtenteils ein sehr vergängliches: einfaches Thongeschirr, welches uns durch die uralte Sitte, dem Toten Gefäße mit ins Grab zu geben, von den frühesten Anfängen der Kunstübung an bis zu den spätesten Ausläufern in überreicher Menge erhalten ist. Daneben kommen dann freilich auch vereinzelt Reste von Metalltechnik u. a, in, in Betracht, Mit der Untersuchung der Ornamente dieser Neste setzt die heutige Kunstsorschung ein. Hierauf zuerst hingewiesen zu haben, bleibt unbestritten eines der bedeutendsten unter den vielen Verdiensten, welche sich Alexander Conze um die Archäologie erworben hat. Seine hierauf be¬ züglichen Aufsätze: „Zur Geschichte der Anfänge griechischer Kunst" (in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie von 1870 und 1873), fallen zwar zum Teil noch etwas vor die Zeit, von der wir hier zu handeln haben; aber sie durften nicht übergangen werden, weil durch sie erst auf gewisse Gefäßdekorationcn auf¬ merksam gemacht worden ist, welche wohl früher schon vereinzelt Beachtung, aber noch nicht im Zusammenhange die gebührende Würdigung erfahren hatten. Die von Conze aufgestellte Ausicht läuft vornehmlich darauf hinaus, daß man in der so¬ genannten linearen oder geometrischen Dekorationsweise, d. h. in der einfachsten Ausschmückung der Gefäße mit gewissen regelmäßigen Mustern, deren Haupt¬ bestandteile Linien, Kreise, Kreuze und dergleichen nebst einigen wenigen, flüchtig ausgeführten Darstellungen der gewöchnlichstcn Haustiere bilden, jenes indoger¬ manische Erbteil zu sehen habe; und man hat deshalb für diese Dekorations¬ weise auch die Beuemliuig indogermauisch oder arisch vorgeschlagen. Das Verdienst Conzes kauu nicht dadurch geschmälert werden, daß gegenüber dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/451>, abgerufen am 26.06.2024.