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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Literatur.

die tiefe Nacht hinein mit einigen trnnkfesten Gesinnungsgenossen in einer nahe
gelegenen Kneipe zu zechen. Dieser Maler war mit einer liebenswürdigen und
verständigen Frau ehelich verbunden, und seine Wohnung war nicht allzu fern.
Ihn wollte er in der Trinkstube aufsuchen und ihn überreden, das unbekannte
junge Mädchen zu beherbergen. Sollte aber dieser triuklustige Maler zu sehr
als unter dem Pantoffel stehend sich erweisen, nur hierauf einzugehen, dachte
Eduard, so wollte er selbst die Nacht in der Kneipe zubringen, um mit gutem
Gewissen später der Verleumdung trotzen zu können.

Er machte sich auf den Weg und schloß zu aller Sicherheit, indem er nu
seine Hauswirthin dachte, die Thür seines Zimmer von außen zu.

Der befreundete Maler saß richtig um gewohnten Fleck hinter dem Glase
und verbreitete von diesem Punkte aus ein aufklärendes Licht über die sozialen
Verhältnisse Europas. Eduard zog ihn bei Seite und weihte ihn mit leichter
Stimme, damit die andern Künstler nichts hörten, in die Angelegenheit ein,
um derentwillen er seiner Hilfe bedürfte.

Du kennst ja meine Philistense, sagte er. Sie ist eine vortreffliche
Dame. Die gute Frau ist die Vorsorge in Person. Sie hat ihren Mann so
trefflich gewöhnt, daß er nicht mehr zu niesen wagt, ohne daß sie ihm dabei
den Kopf hält. Sie überwacht auch meinen Eingang und Ausgang, und wenn
ich es wagen wollte, das arme unschuldige Mädchen bei mir zu behalten, so
würde sie halb Berlin darüber rebellisch macheu. Du hast eine Familienwohunng,
du kannst es ohne jeden Anstoß thun.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Die ältesten Ncithanausgaben.

Zu der die Originalausgabe des Nathan betreffenden Bemerkung am Schlüsse
des Aufsatzes über "Verbotene Bücher" in Ur. 6 dieses Blattes geht uns von
Herrn Professor Emil Grosse, Gymnasialdirektor in Memel, einem der genauesten
Kenner der Lessing literatur, folgende dankenswerte Aufklärung zu:

"Von Lessings Nathan sind im Jahre 1779 nicht zwei Ausgaben, sondern
vier erschienen, drei rechtmäßige und ein Nachdruck; und die Ausgabe von 1779
"ohne Angabe des Druckvrts" und Verlegers ist in der That die Originalaus¬
gabe, nicht "die andre mit Angabe des (DrnckortS,) Verlegers und dem Privileg¬
vermerk."

Aus Lessings Briefwechsel geht hervor, daß Lessing die ersten Abzüge des
Nathan durch seinen Bruder Karl aus der Russischen Druckerei zur Durchsicht er¬
hielt. Am 19. März 1779 schickt er die ersten Bogen zurück und rügt unter
unteren, daß S. 15 der Zusatz (bei Seite) ganz weggefallen, der Zusatz (lächelnd)


Literatur.

die tiefe Nacht hinein mit einigen trnnkfesten Gesinnungsgenossen in einer nahe
gelegenen Kneipe zu zechen. Dieser Maler war mit einer liebenswürdigen und
verständigen Frau ehelich verbunden, und seine Wohnung war nicht allzu fern.
Ihn wollte er in der Trinkstube aufsuchen und ihn überreden, das unbekannte
junge Mädchen zu beherbergen. Sollte aber dieser triuklustige Maler zu sehr
als unter dem Pantoffel stehend sich erweisen, nur hierauf einzugehen, dachte
Eduard, so wollte er selbst die Nacht in der Kneipe zubringen, um mit gutem
Gewissen später der Verleumdung trotzen zu können.

Er machte sich auf den Weg und schloß zu aller Sicherheit, indem er nu
seine Hauswirthin dachte, die Thür seines Zimmer von außen zu.

Der befreundete Maler saß richtig um gewohnten Fleck hinter dem Glase
und verbreitete von diesem Punkte aus ein aufklärendes Licht über die sozialen
Verhältnisse Europas. Eduard zog ihn bei Seite und weihte ihn mit leichter
Stimme, damit die andern Künstler nichts hörten, in die Angelegenheit ein,
um derentwillen er seiner Hilfe bedürfte.

Du kennst ja meine Philistense, sagte er. Sie ist eine vortreffliche
Dame. Die gute Frau ist die Vorsorge in Person. Sie hat ihren Mann so
trefflich gewöhnt, daß er nicht mehr zu niesen wagt, ohne daß sie ihm dabei
den Kopf hält. Sie überwacht auch meinen Eingang und Ausgang, und wenn
ich es wagen wollte, das arme unschuldige Mädchen bei mir zu behalten, so
würde sie halb Berlin darüber rebellisch macheu. Du hast eine Familienwohunng,
du kannst es ohne jeden Anstoß thun.

(Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Die ältesten Ncithanausgaben.

Zu der die Originalausgabe des Nathan betreffenden Bemerkung am Schlüsse
des Aufsatzes über „Verbotene Bücher" in Ur. 6 dieses Blattes geht uns von
Herrn Professor Emil Grosse, Gymnasialdirektor in Memel, einem der genauesten
Kenner der Lessing literatur, folgende dankenswerte Aufklärung zu:

„Von Lessings Nathan sind im Jahre 1779 nicht zwei Ausgaben, sondern
vier erschienen, drei rechtmäßige und ein Nachdruck; und die Ausgabe von 1779
„ohne Angabe des Druckvrts" und Verlegers ist in der That die Originalaus¬
gabe, nicht „die andre mit Angabe des (DrnckortS,) Verlegers und dem Privileg¬
vermerk."

Aus Lessings Briefwechsel geht hervor, daß Lessing die ersten Abzüge des
Nathan durch seinen Bruder Karl aus der Russischen Druckerei zur Durchsicht er¬
hielt. Am 19. März 1779 schickt er die ersten Bogen zurück und rügt unter
unteren, daß S. 15 der Zusatz (bei Seite) ganz weggefallen, der Zusatz (lächelnd)


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[0430] Literatur. die tiefe Nacht hinein mit einigen trnnkfesten Gesinnungsgenossen in einer nahe gelegenen Kneipe zu zechen. Dieser Maler war mit einer liebenswürdigen und verständigen Frau ehelich verbunden, und seine Wohnung war nicht allzu fern. Ihn wollte er in der Trinkstube aufsuchen und ihn überreden, das unbekannte junge Mädchen zu beherbergen. Sollte aber dieser triuklustige Maler zu sehr als unter dem Pantoffel stehend sich erweisen, nur hierauf einzugehen, dachte Eduard, so wollte er selbst die Nacht in der Kneipe zubringen, um mit gutem Gewissen später der Verleumdung trotzen zu können. Er machte sich auf den Weg und schloß zu aller Sicherheit, indem er nu seine Hauswirthin dachte, die Thür seines Zimmer von außen zu. Der befreundete Maler saß richtig um gewohnten Fleck hinter dem Glase und verbreitete von diesem Punkte aus ein aufklärendes Licht über die sozialen Verhältnisse Europas. Eduard zog ihn bei Seite und weihte ihn mit leichter Stimme, damit die andern Künstler nichts hörten, in die Angelegenheit ein, um derentwillen er seiner Hilfe bedürfte. Du kennst ja meine Philistense, sagte er. Sie ist eine vortreffliche Dame. Die gute Frau ist die Vorsorge in Person. Sie hat ihren Mann so trefflich gewöhnt, daß er nicht mehr zu niesen wagt, ohne daß sie ihm dabei den Kopf hält. Sie überwacht auch meinen Eingang und Ausgang, und wenn ich es wagen wollte, das arme unschuldige Mädchen bei mir zu behalten, so würde sie halb Berlin darüber rebellisch macheu. Du hast eine Familienwohunng, du kannst es ohne jeden Anstoß thun. (Fortsetzung folgt.) Literatur. Die ältesten Ncithanausgaben. Zu der die Originalausgabe des Nathan betreffenden Bemerkung am Schlüsse des Aufsatzes über „Verbotene Bücher" in Ur. 6 dieses Blattes geht uns von Herrn Professor Emil Grosse, Gymnasialdirektor in Memel, einem der genauesten Kenner der Lessing literatur, folgende dankenswerte Aufklärung zu: „Von Lessings Nathan sind im Jahre 1779 nicht zwei Ausgaben, sondern vier erschienen, drei rechtmäßige und ein Nachdruck; und die Ausgabe von 1779 „ohne Angabe des Druckvrts" und Verlegers ist in der That die Originalaus¬ gabe, nicht „die andre mit Angabe des (DrnckortS,) Verlegers und dem Privileg¬ vermerk." Aus Lessings Briefwechsel geht hervor, daß Lessing die ersten Abzüge des Nathan durch seinen Bruder Karl aus der Russischen Druckerei zur Durchsicht er¬ hielt. Am 19. März 1779 schickt er die ersten Bogen zurück und rügt unter unteren, daß S. 15 der Zusatz (bei Seite) ganz weggefallen, der Zusatz (lächelnd)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/430>, abgerufen am 29.06.2024.