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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und ThyrsostrZger.

härter zu sein als der Beduine der Wüste, der selbst dem Todfeind die Gast¬
freundschaft nicht zu verletzen wagt. Er vergaß das verständige Wort, das er
hatte reden wallen, holte, der stundenlangen Fahrt gedenkend, eine Flasche Falerncr,
Brod und eine Schale mit Feigen und Birnen herbei, und lud das Mädchen
ein, sich zu erquicken.

Sie folgte seiner Aufforderung ganz gehorsam, doch nicht etwa in niedriger
Weise, sondern mehr wie ein Königskind, das durch böses Geschick verfolgt wird,
aber dem Edelmann, in dessen Hände sie fiel, nicht mißtraut. Die dunkelblauen
Angen betrachteten aufmerksam das polychrome Bildwerk, die Zeichnungen und
die Staffelei und hefteten sich dann wieder schüchtern und vertrauensvoll zu¬
gleich auf das Antlitz des jungen Mannes.

Er füllte zwei flache Trinkschalen, hob die seinige empor und rief mit einem
Seufzer: "Den großen Göttern!" Dabei goß er einen kleinen Teil des Inhalts
auf den Boden.

Das Mädchen betrachtete ihn mit äußerster Überraschung, und dann flog
ein reizendes Lächeln über ihr Gesicht, bei dem z^wei Grübchen in ihren Wangen
erschienen. Dies Lächeln übte eine merkwürdige Wirkung ans Ednard ans. Es
war wie ein Sonnenblick. Beim Zeus, sagte er sich, sie hat mehr Witz, als ich
erwartete von der Straße aufgelesen zu haben.

Mit gutem Appetit, aber unter wenigen und unbedeutenden Worten ver¬
zehrten die beiden ihr Abendessen. Eduard scheute sich, Fragen an sie zu richten,
die vielleicht für unfreundlich hätten gelten oder den Zauber des Abenteuers
hätten brechen können. Auch hatte er in Wahrheit ziemlich viel damit zu thu",
sein Gegenüber vom künstlerischen Standpunkte aus zu beobachten. Sie dagegen
war mit tiefen Gedanken beschäftigt, sah hauptsächlich auf ihren Teller und warf
nur mitunter einen Blick, worin sich Neugierde und Bewunderung mischten, hinüber.
Ein Dritter hätte in diesen Blicken lesen können, daß sie erstaunt war, mit je¬
mand zusammen zu sein, der wohl eiuer ihr bis jetzt ganz unbekannten Sorte
von Menschen angehören müsse.

Inzwischen mochte der feurige Wein Eduards Erfindungsgabe gestärkt
haben, denn es durchschoß ihn ein Gedanke, der in dieser kritischen Lage, wo er
zwischen der Besorgnis, eine große, anstößige Thorheit zu begehe" und der Neigung,
rückhaltlose Gilde zu üben, ratlos schwankte, ihm als ein hoffnungsreicher Stern
erschien.

Mein liebes Kind, sagte er, seine Uhr ziehend, es ist jetzt die Geister¬
stunde nahezu vorüber und hohe Zeit, an Ihre nächtliche Unterkunft zu denken.
Entschuldigen Sie mich auf eine kurze Zeit. Es ist hier in der Nachbarschaft
eine leidliche Gelegenheit dazu, ich gehe, sie zu besorgen und kehre dann zurück, um
Sie zu holen.

Indem er sich in diesen vagen Ausdrücken bewegte, schwebte Eduard die
Gestalt eines befreundeten Malers vor, welcher die Gewohnheit hatte, bis in


Bakchen und ThyrsostrZger.

härter zu sein als der Beduine der Wüste, der selbst dem Todfeind die Gast¬
freundschaft nicht zu verletzen wagt. Er vergaß das verständige Wort, das er
hatte reden wallen, holte, der stundenlangen Fahrt gedenkend, eine Flasche Falerncr,
Brod und eine Schale mit Feigen und Birnen herbei, und lud das Mädchen
ein, sich zu erquicken.

Sie folgte seiner Aufforderung ganz gehorsam, doch nicht etwa in niedriger
Weise, sondern mehr wie ein Königskind, das durch böses Geschick verfolgt wird,
aber dem Edelmann, in dessen Hände sie fiel, nicht mißtraut. Die dunkelblauen
Angen betrachteten aufmerksam das polychrome Bildwerk, die Zeichnungen und
die Staffelei und hefteten sich dann wieder schüchtern und vertrauensvoll zu¬
gleich auf das Antlitz des jungen Mannes.

Er füllte zwei flache Trinkschalen, hob die seinige empor und rief mit einem
Seufzer: „Den großen Göttern!" Dabei goß er einen kleinen Teil des Inhalts
auf den Boden.

Das Mädchen betrachtete ihn mit äußerster Überraschung, und dann flog
ein reizendes Lächeln über ihr Gesicht, bei dem z^wei Grübchen in ihren Wangen
erschienen. Dies Lächeln übte eine merkwürdige Wirkung ans Ednard ans. Es
war wie ein Sonnenblick. Beim Zeus, sagte er sich, sie hat mehr Witz, als ich
erwartete von der Straße aufgelesen zu haben.

Mit gutem Appetit, aber unter wenigen und unbedeutenden Worten ver¬
zehrten die beiden ihr Abendessen. Eduard scheute sich, Fragen an sie zu richten,
die vielleicht für unfreundlich hätten gelten oder den Zauber des Abenteuers
hätten brechen können. Auch hatte er in Wahrheit ziemlich viel damit zu thu»,
sein Gegenüber vom künstlerischen Standpunkte aus zu beobachten. Sie dagegen
war mit tiefen Gedanken beschäftigt, sah hauptsächlich auf ihren Teller und warf
nur mitunter einen Blick, worin sich Neugierde und Bewunderung mischten, hinüber.
Ein Dritter hätte in diesen Blicken lesen können, daß sie erstaunt war, mit je¬
mand zusammen zu sein, der wohl eiuer ihr bis jetzt ganz unbekannten Sorte
von Menschen angehören müsse.

Inzwischen mochte der feurige Wein Eduards Erfindungsgabe gestärkt
haben, denn es durchschoß ihn ein Gedanke, der in dieser kritischen Lage, wo er
zwischen der Besorgnis, eine große, anstößige Thorheit zu begehe» und der Neigung,
rückhaltlose Gilde zu üben, ratlos schwankte, ihm als ein hoffnungsreicher Stern
erschien.

Mein liebes Kind, sagte er, seine Uhr ziehend, es ist jetzt die Geister¬
stunde nahezu vorüber und hohe Zeit, an Ihre nächtliche Unterkunft zu denken.
Entschuldigen Sie mich auf eine kurze Zeit. Es ist hier in der Nachbarschaft
eine leidliche Gelegenheit dazu, ich gehe, sie zu besorgen und kehre dann zurück, um
Sie zu holen.

Indem er sich in diesen vagen Ausdrücken bewegte, schwebte Eduard die
Gestalt eines befreundeten Malers vor, welcher die Gewohnheit hatte, bis in


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[0429] Bakchen und ThyrsostrZger. härter zu sein als der Beduine der Wüste, der selbst dem Todfeind die Gast¬ freundschaft nicht zu verletzen wagt. Er vergaß das verständige Wort, das er hatte reden wallen, holte, der stundenlangen Fahrt gedenkend, eine Flasche Falerncr, Brod und eine Schale mit Feigen und Birnen herbei, und lud das Mädchen ein, sich zu erquicken. Sie folgte seiner Aufforderung ganz gehorsam, doch nicht etwa in niedriger Weise, sondern mehr wie ein Königskind, das durch böses Geschick verfolgt wird, aber dem Edelmann, in dessen Hände sie fiel, nicht mißtraut. Die dunkelblauen Angen betrachteten aufmerksam das polychrome Bildwerk, die Zeichnungen und die Staffelei und hefteten sich dann wieder schüchtern und vertrauensvoll zu¬ gleich auf das Antlitz des jungen Mannes. Er füllte zwei flache Trinkschalen, hob die seinige empor und rief mit einem Seufzer: „Den großen Göttern!" Dabei goß er einen kleinen Teil des Inhalts auf den Boden. Das Mädchen betrachtete ihn mit äußerster Überraschung, und dann flog ein reizendes Lächeln über ihr Gesicht, bei dem z^wei Grübchen in ihren Wangen erschienen. Dies Lächeln übte eine merkwürdige Wirkung ans Ednard ans. Es war wie ein Sonnenblick. Beim Zeus, sagte er sich, sie hat mehr Witz, als ich erwartete von der Straße aufgelesen zu haben. Mit gutem Appetit, aber unter wenigen und unbedeutenden Worten ver¬ zehrten die beiden ihr Abendessen. Eduard scheute sich, Fragen an sie zu richten, die vielleicht für unfreundlich hätten gelten oder den Zauber des Abenteuers hätten brechen können. Auch hatte er in Wahrheit ziemlich viel damit zu thu», sein Gegenüber vom künstlerischen Standpunkte aus zu beobachten. Sie dagegen war mit tiefen Gedanken beschäftigt, sah hauptsächlich auf ihren Teller und warf nur mitunter einen Blick, worin sich Neugierde und Bewunderung mischten, hinüber. Ein Dritter hätte in diesen Blicken lesen können, daß sie erstaunt war, mit je¬ mand zusammen zu sein, der wohl eiuer ihr bis jetzt ganz unbekannten Sorte von Menschen angehören müsse. Inzwischen mochte der feurige Wein Eduards Erfindungsgabe gestärkt haben, denn es durchschoß ihn ein Gedanke, der in dieser kritischen Lage, wo er zwischen der Besorgnis, eine große, anstößige Thorheit zu begehe» und der Neigung, rückhaltlose Gilde zu üben, ratlos schwankte, ihm als ein hoffnungsreicher Stern erschien. Mein liebes Kind, sagte er, seine Uhr ziehend, es ist jetzt die Geister¬ stunde nahezu vorüber und hohe Zeit, an Ihre nächtliche Unterkunft zu denken. Entschuldigen Sie mich auf eine kurze Zeit. Es ist hier in der Nachbarschaft eine leidliche Gelegenheit dazu, ich gehe, sie zu besorgen und kehre dann zurück, um Sie zu holen. Indem er sich in diesen vagen Ausdrücken bewegte, schwebte Eduard die Gestalt eines befreundeten Malers vor, welcher die Gewohnheit hatte, bis in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/429>, abgerufen am 29.06.2024.