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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchoil und Thyrsosträger.

von Gefangenschaft sei, Sie saß in sich gekehrt und trübe, während die beiden
Begleiter rechts und links von ihr sie nicht aus den Augen ließen und zuweilen
Blicke mit einander austauschten.

Gesprochen wurde zwischen ihnen erst nach der Ankunft in Berlin, als sich
beim Aussteigen ein Widerstand des Mädchens zu zeigen schien. Eduard hörte,
als er seines Weges gehen wollte, hinter sich das alte Weib leise Drohungen
ausstoßen und glaubte vernommen zu haben, daß es den Mann aufforderte,
"die alberne Gans ans den Schnabel zu klopfen."

Er blieb in einer natürlichen Regung seines guten Herzens stehen und sah
sich um. Der Mann führte das Mädchen am Arm, das Weib ging hinterher,
und so verließen sie den Bahnhof. Doch bemerkte Eduard, daß das Mädchen
in dein Augenblick, als es dicht ein ihm vorüberkam, einen angstvollen, hilfe-
snchenden Blick auf ihn richtete.

Er sagte sich, hier geschehe irgend ein Unrecht und konnte sich nicht ent¬
halten, zu folgen. Es war spät am Abend, die Straßen waren nur noch von
wenigen Leuten beschritten. Der Weg, den die drei nahmen, führte in eine entlegene
Gegend der großen Stadt. Eduard würde wohl kaum so weit mitgegangen sein,
wenn nicht an einem besonders hellen Platze das Mädchen stehen geblieben wäre
und sich umgesehen hätte. Der Mann zog es sofort wieder weiter, aber Eduard
hatte die Empfindung, es sei dieses Anblicken ein stiller, stummer Hilferuf ge¬
wesen, der Ausdruck einer Hoffnung, daß er noch in der Nähe sei, und so fühlte
er sich vor sich selber verpflichtet, in der Nähe zu bleiben, ja er beschleunigte
seine Schritte und verringerte so die Entfernung, welche ihn von den geheim¬
nisvollen Dreien trennte.

Endlich kam es zu einem Halt. Man war in einer Straße der östlichen
Vorstadt, welche schwach beleuchtet und in diesem Augenblicke durchaus öde war.
Augenscheinlich war daß Ziel erreicht, aber Eduard, der nur noch dreißig Schritte
entfernt war, sah deutlich, daß das Mädchen sich der Absicht ihrer Begleiter,
sie in ein Haus zu führen, lebhaft widersetzte. Er hörte eine weinende, bittende
Stimme und ein Kreischen, wie es von dem bösen Munde der Alten kommen mußte.

In wenigen Sekunden war er am Platze und fragte, was es gäbe.

"Haue für den, den's nichts angeht," sagte eine grobe und höhnische Stimme.

"Oho, mein Freund, zum Hauen gehören zwei," versetzte Eduard.

Das Mädchen hatte sich bei diesem kurzen Wortwechsel losgerissen, war
auf Eduard zugelaufen und klammerte sich nun an seinen Arm. Der Mann
trat ihm entgegen, wollte ihn zurückstoßen und^ packte das Mädchen, während er
zugleich sagte: "Der Teufel ist Ihr Freund, scheeren Sie sich Ihrer Wege!"

"Bei mir zu Hause," sagte Eduard ruhig, "da heißt es: Auf einen groben
Klotz ein grober Keil."

Unter diesen Worten zog er mit der linken Hand das Mädchen hinter sich
und schlug mit der geballten rechten den karrirten Mann mitten ins Gesicht, so


Bcckchoil und Thyrsosträger.

von Gefangenschaft sei, Sie saß in sich gekehrt und trübe, während die beiden
Begleiter rechts und links von ihr sie nicht aus den Augen ließen und zuweilen
Blicke mit einander austauschten.

Gesprochen wurde zwischen ihnen erst nach der Ankunft in Berlin, als sich
beim Aussteigen ein Widerstand des Mädchens zu zeigen schien. Eduard hörte,
als er seines Weges gehen wollte, hinter sich das alte Weib leise Drohungen
ausstoßen und glaubte vernommen zu haben, daß es den Mann aufforderte,
„die alberne Gans ans den Schnabel zu klopfen."

Er blieb in einer natürlichen Regung seines guten Herzens stehen und sah
sich um. Der Mann führte das Mädchen am Arm, das Weib ging hinterher,
und so verließen sie den Bahnhof. Doch bemerkte Eduard, daß das Mädchen
in dein Augenblick, als es dicht ein ihm vorüberkam, einen angstvollen, hilfe-
snchenden Blick auf ihn richtete.

Er sagte sich, hier geschehe irgend ein Unrecht und konnte sich nicht ent¬
halten, zu folgen. Es war spät am Abend, die Straßen waren nur noch von
wenigen Leuten beschritten. Der Weg, den die drei nahmen, führte in eine entlegene
Gegend der großen Stadt. Eduard würde wohl kaum so weit mitgegangen sein,
wenn nicht an einem besonders hellen Platze das Mädchen stehen geblieben wäre
und sich umgesehen hätte. Der Mann zog es sofort wieder weiter, aber Eduard
hatte die Empfindung, es sei dieses Anblicken ein stiller, stummer Hilferuf ge¬
wesen, der Ausdruck einer Hoffnung, daß er noch in der Nähe sei, und so fühlte
er sich vor sich selber verpflichtet, in der Nähe zu bleiben, ja er beschleunigte
seine Schritte und verringerte so die Entfernung, welche ihn von den geheim¬
nisvollen Dreien trennte.

Endlich kam es zu einem Halt. Man war in einer Straße der östlichen
Vorstadt, welche schwach beleuchtet und in diesem Augenblicke durchaus öde war.
Augenscheinlich war daß Ziel erreicht, aber Eduard, der nur noch dreißig Schritte
entfernt war, sah deutlich, daß das Mädchen sich der Absicht ihrer Begleiter,
sie in ein Haus zu führen, lebhaft widersetzte. Er hörte eine weinende, bittende
Stimme und ein Kreischen, wie es von dem bösen Munde der Alten kommen mußte.

In wenigen Sekunden war er am Platze und fragte, was es gäbe.

„Haue für den, den's nichts angeht," sagte eine grobe und höhnische Stimme.

„Oho, mein Freund, zum Hauen gehören zwei," versetzte Eduard.

Das Mädchen hatte sich bei diesem kurzen Wortwechsel losgerissen, war
auf Eduard zugelaufen und klammerte sich nun an seinen Arm. Der Mann
trat ihm entgegen, wollte ihn zurückstoßen und^ packte das Mädchen, während er
zugleich sagte: „Der Teufel ist Ihr Freund, scheeren Sie sich Ihrer Wege!"

„Bei mir zu Hause," sagte Eduard ruhig, „da heißt es: Auf einen groben
Klotz ein grober Keil."

Unter diesen Worten zog er mit der linken Hand das Mädchen hinter sich
und schlug mit der geballten rechten den karrirten Mann mitten ins Gesicht, so


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[0427] Bcckchoil und Thyrsosträger. von Gefangenschaft sei, Sie saß in sich gekehrt und trübe, während die beiden Begleiter rechts und links von ihr sie nicht aus den Augen ließen und zuweilen Blicke mit einander austauschten. Gesprochen wurde zwischen ihnen erst nach der Ankunft in Berlin, als sich beim Aussteigen ein Widerstand des Mädchens zu zeigen schien. Eduard hörte, als er seines Weges gehen wollte, hinter sich das alte Weib leise Drohungen ausstoßen und glaubte vernommen zu haben, daß es den Mann aufforderte, „die alberne Gans ans den Schnabel zu klopfen." Er blieb in einer natürlichen Regung seines guten Herzens stehen und sah sich um. Der Mann führte das Mädchen am Arm, das Weib ging hinterher, und so verließen sie den Bahnhof. Doch bemerkte Eduard, daß das Mädchen in dein Augenblick, als es dicht ein ihm vorüberkam, einen angstvollen, hilfe- snchenden Blick auf ihn richtete. Er sagte sich, hier geschehe irgend ein Unrecht und konnte sich nicht ent¬ halten, zu folgen. Es war spät am Abend, die Straßen waren nur noch von wenigen Leuten beschritten. Der Weg, den die drei nahmen, führte in eine entlegene Gegend der großen Stadt. Eduard würde wohl kaum so weit mitgegangen sein, wenn nicht an einem besonders hellen Platze das Mädchen stehen geblieben wäre und sich umgesehen hätte. Der Mann zog es sofort wieder weiter, aber Eduard hatte die Empfindung, es sei dieses Anblicken ein stiller, stummer Hilferuf ge¬ wesen, der Ausdruck einer Hoffnung, daß er noch in der Nähe sei, und so fühlte er sich vor sich selber verpflichtet, in der Nähe zu bleiben, ja er beschleunigte seine Schritte und verringerte so die Entfernung, welche ihn von den geheim¬ nisvollen Dreien trennte. Endlich kam es zu einem Halt. Man war in einer Straße der östlichen Vorstadt, welche schwach beleuchtet und in diesem Augenblicke durchaus öde war. Augenscheinlich war daß Ziel erreicht, aber Eduard, der nur noch dreißig Schritte entfernt war, sah deutlich, daß das Mädchen sich der Absicht ihrer Begleiter, sie in ein Haus zu führen, lebhaft widersetzte. Er hörte eine weinende, bittende Stimme und ein Kreischen, wie es von dem bösen Munde der Alten kommen mußte. In wenigen Sekunden war er am Platze und fragte, was es gäbe. „Haue für den, den's nichts angeht," sagte eine grobe und höhnische Stimme. „Oho, mein Freund, zum Hauen gehören zwei," versetzte Eduard. Das Mädchen hatte sich bei diesem kurzen Wortwechsel losgerissen, war auf Eduard zugelaufen und klammerte sich nun an seinen Arm. Der Mann trat ihm entgegen, wollte ihn zurückstoßen und^ packte das Mädchen, während er zugleich sagte: „Der Teufel ist Ihr Freund, scheeren Sie sich Ihrer Wege!" „Bei mir zu Hause," sagte Eduard ruhig, „da heißt es: Auf einen groben Klotz ein grober Keil." Unter diesen Worten zog er mit der linken Hand das Mädchen hinter sich und schlug mit der geballten rechten den karrirten Mann mitten ins Gesicht, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/427>, abgerufen am 29.06.2024.