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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und ThyrsostrLger.

des Barons von Jugenthal in der Nähe von Jüterbogk. Er war, einige Tage
nach seinem unerfreulichen Gespräch mit Sylvia, drüben gewesen, um den Fort¬
schritt des Baues zu überwachen und kehrte am Abend zurück, in der dritten
Wagenklasse, zur Schonung seines Geldbeutels,

Er war heiter gestimmt, denn der Baron bekundete eine künstlerische Auf¬
fassung, wie Eduard sie bis jetzt selten bei seinen Bauherrn gefunden hatte, und
aus Freude hierüber gedachte er, einige überaus schone, aber nur von ihm selbst
eigenhändig herzustellende dekorative Malereien für den Speisesaal umsonst noch
mit in den Kauf zu geben. Indem er sich nun mit seinem innern Auge in
architektonische Linien vertiefte, achtete er anfänglich wenig auf die Reisegesell¬
schaft, ward aber doch unwillkürlich von Zeit zu Zeit auf eine weibliche Gestalt
aufmerksam, welche in der Ecke ihm schräg gegenüber saß, und zwar ward sein
Blick dadurch angezogen, daß jenes Wesen im Profil einige Ähnlichkeit mit Sylvia
zu haben schien.

Es war düster im Wagen, denn die Lampe brannte nicht sehr hell, dazu
war nur ein kleiner Teil von dem Gesicht des Frauenzimmers zwischen Schleier
und Shawl zu sehen, dennoch war um dessen Nase und Mund ein Zug bemerk¬
lich, der Eduard an seine Braut erinnerte, und er fing an mit einigem Interesse
hinüberzusehen. Es schien ein ganz junges Mädchen zu sein, und Eduard
ahnte mit dem Feingefühl des Künstlers eine schöne Form unter der einfache!,
und ungünstigen Gewandung, einem bäurischen gedruckten Kattunmautel, der gar
nicht zu der übrigen Kleidung und zu dem Hut mit Schleier stimmte.

Von diesem Mädchen lenkte sich sein Auge alsbald auf zwei andre Gestalten,
welche offenbar dessen Begleiter waren und welche ihm auffällig vorkamen, einen
Mann und eine Frau. Sie hatten ein Mißtrauen erweckendes Äußeres. Der
Mann war von stämmiger Figur, ganz in schottisch karrirtes Zeug gekleidet, mit
einer roten Kravatte, hatte gemeine Hände mit auffallenden Ringen und ein
konfiszirtcs Gesicht. Er schien sich für elegant und schlau zu halten, er bewunderte
oft seine Ringe und zwinkerte mit listiger Miene dem Weibe zu. Dies war eine
garstige alte Person in städtischer Kleidung, deren Gesichtsausdruck so beschaffen
war, daß Eduard dachte, es könne nicht leicht etwas niedriges ausgedacht werden,
was dem Weibe nicht zuzutrauen wäre. Er stellte diese Vevbachtnngen nur mit
halber Aufmerksamkeit an, wie man eben, wenn der Sinn beschäftigt ist, seine
Reisegefährten nur gelegentlich und gewissermaßen gezwungen mustert, denn die'
Ähnlichkeit des jungen Mädchens mit Sylvia war nicht so deutlich hervortretend,
daß sie ihn völlig in Anspruch genommen hätte. Zuweilen, wenn sie ihm das
Gesicht von vorn zukehrte, verschwand der bekannte Zug um Nase und Mund,
und Eduard hielt dann seine Wahrnehmung für ein Spiel der Phantasie, welche
ihm das Bild der Braut neckisch vorgaukeln wolle. Aber obwohl seine Teilnahme
an diesen drei Reisegenossen nur gering war, konnte er sich doch im Laufe der
Stunden des Gedankens nicht erwehren, daß das junge Mädchen in einer Art


Bakchen und ThyrsostrLger.

des Barons von Jugenthal in der Nähe von Jüterbogk. Er war, einige Tage
nach seinem unerfreulichen Gespräch mit Sylvia, drüben gewesen, um den Fort¬
schritt des Baues zu überwachen und kehrte am Abend zurück, in der dritten
Wagenklasse, zur Schonung seines Geldbeutels,

Er war heiter gestimmt, denn der Baron bekundete eine künstlerische Auf¬
fassung, wie Eduard sie bis jetzt selten bei seinen Bauherrn gefunden hatte, und
aus Freude hierüber gedachte er, einige überaus schone, aber nur von ihm selbst
eigenhändig herzustellende dekorative Malereien für den Speisesaal umsonst noch
mit in den Kauf zu geben. Indem er sich nun mit seinem innern Auge in
architektonische Linien vertiefte, achtete er anfänglich wenig auf die Reisegesell¬
schaft, ward aber doch unwillkürlich von Zeit zu Zeit auf eine weibliche Gestalt
aufmerksam, welche in der Ecke ihm schräg gegenüber saß, und zwar ward sein
Blick dadurch angezogen, daß jenes Wesen im Profil einige Ähnlichkeit mit Sylvia
zu haben schien.

Es war düster im Wagen, denn die Lampe brannte nicht sehr hell, dazu
war nur ein kleiner Teil von dem Gesicht des Frauenzimmers zwischen Schleier
und Shawl zu sehen, dennoch war um dessen Nase und Mund ein Zug bemerk¬
lich, der Eduard an seine Braut erinnerte, und er fing an mit einigem Interesse
hinüberzusehen. Es schien ein ganz junges Mädchen zu sein, und Eduard
ahnte mit dem Feingefühl des Künstlers eine schöne Form unter der einfache!,
und ungünstigen Gewandung, einem bäurischen gedruckten Kattunmautel, der gar
nicht zu der übrigen Kleidung und zu dem Hut mit Schleier stimmte.

Von diesem Mädchen lenkte sich sein Auge alsbald auf zwei andre Gestalten,
welche offenbar dessen Begleiter waren und welche ihm auffällig vorkamen, einen
Mann und eine Frau. Sie hatten ein Mißtrauen erweckendes Äußeres. Der
Mann war von stämmiger Figur, ganz in schottisch karrirtes Zeug gekleidet, mit
einer roten Kravatte, hatte gemeine Hände mit auffallenden Ringen und ein
konfiszirtcs Gesicht. Er schien sich für elegant und schlau zu halten, er bewunderte
oft seine Ringe und zwinkerte mit listiger Miene dem Weibe zu. Dies war eine
garstige alte Person in städtischer Kleidung, deren Gesichtsausdruck so beschaffen
war, daß Eduard dachte, es könne nicht leicht etwas niedriges ausgedacht werden,
was dem Weibe nicht zuzutrauen wäre. Er stellte diese Vevbachtnngen nur mit
halber Aufmerksamkeit an, wie man eben, wenn der Sinn beschäftigt ist, seine
Reisegefährten nur gelegentlich und gewissermaßen gezwungen mustert, denn die'
Ähnlichkeit des jungen Mädchens mit Sylvia war nicht so deutlich hervortretend,
daß sie ihn völlig in Anspruch genommen hätte. Zuweilen, wenn sie ihm das
Gesicht von vorn zukehrte, verschwand der bekannte Zug um Nase und Mund,
und Eduard hielt dann seine Wahrnehmung für ein Spiel der Phantasie, welche
ihm das Bild der Braut neckisch vorgaukeln wolle. Aber obwohl seine Teilnahme
an diesen drei Reisegenossen nur gering war, konnte er sich doch im Laufe der
Stunden des Gedankens nicht erwehren, daß das junge Mädchen in einer Art


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[0426] Bakchen und ThyrsostrLger. des Barons von Jugenthal in der Nähe von Jüterbogk. Er war, einige Tage nach seinem unerfreulichen Gespräch mit Sylvia, drüben gewesen, um den Fort¬ schritt des Baues zu überwachen und kehrte am Abend zurück, in der dritten Wagenklasse, zur Schonung seines Geldbeutels, Er war heiter gestimmt, denn der Baron bekundete eine künstlerische Auf¬ fassung, wie Eduard sie bis jetzt selten bei seinen Bauherrn gefunden hatte, und aus Freude hierüber gedachte er, einige überaus schone, aber nur von ihm selbst eigenhändig herzustellende dekorative Malereien für den Speisesaal umsonst noch mit in den Kauf zu geben. Indem er sich nun mit seinem innern Auge in architektonische Linien vertiefte, achtete er anfänglich wenig auf die Reisegesell¬ schaft, ward aber doch unwillkürlich von Zeit zu Zeit auf eine weibliche Gestalt aufmerksam, welche in der Ecke ihm schräg gegenüber saß, und zwar ward sein Blick dadurch angezogen, daß jenes Wesen im Profil einige Ähnlichkeit mit Sylvia zu haben schien. Es war düster im Wagen, denn die Lampe brannte nicht sehr hell, dazu war nur ein kleiner Teil von dem Gesicht des Frauenzimmers zwischen Schleier und Shawl zu sehen, dennoch war um dessen Nase und Mund ein Zug bemerk¬ lich, der Eduard an seine Braut erinnerte, und er fing an mit einigem Interesse hinüberzusehen. Es schien ein ganz junges Mädchen zu sein, und Eduard ahnte mit dem Feingefühl des Künstlers eine schöne Form unter der einfache!, und ungünstigen Gewandung, einem bäurischen gedruckten Kattunmautel, der gar nicht zu der übrigen Kleidung und zu dem Hut mit Schleier stimmte. Von diesem Mädchen lenkte sich sein Auge alsbald auf zwei andre Gestalten, welche offenbar dessen Begleiter waren und welche ihm auffällig vorkamen, einen Mann und eine Frau. Sie hatten ein Mißtrauen erweckendes Äußeres. Der Mann war von stämmiger Figur, ganz in schottisch karrirtes Zeug gekleidet, mit einer roten Kravatte, hatte gemeine Hände mit auffallenden Ringen und ein konfiszirtcs Gesicht. Er schien sich für elegant und schlau zu halten, er bewunderte oft seine Ringe und zwinkerte mit listiger Miene dem Weibe zu. Dies war eine garstige alte Person in städtischer Kleidung, deren Gesichtsausdruck so beschaffen war, daß Eduard dachte, es könne nicht leicht etwas niedriges ausgedacht werden, was dem Weibe nicht zuzutrauen wäre. Er stellte diese Vevbachtnngen nur mit halber Aufmerksamkeit an, wie man eben, wenn der Sinn beschäftigt ist, seine Reisegefährten nur gelegentlich und gewissermaßen gezwungen mustert, denn die' Ähnlichkeit des jungen Mädchens mit Sylvia war nicht so deutlich hervortretend, daß sie ihn völlig in Anspruch genommen hätte. Zuweilen, wenn sie ihm das Gesicht von vorn zukehrte, verschwand der bekannte Zug um Nase und Mund, und Eduard hielt dann seine Wahrnehmung für ein Spiel der Phantasie, welche ihm das Bild der Braut neckisch vorgaukeln wolle. Aber obwohl seine Teilnahme an diesen drei Reisegenossen nur gering war, konnte er sich doch im Laufe der Stunden des Gedankens nicht erwehren, daß das junge Mädchen in einer Art

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/426>, abgerufen am 29.06.2024.