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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Herrn Meyers Amber.

machen, mit acht Jahren konstruirte er bereits eine Mühle, welche durch Sand
getrieben wurde, und er besitzt eine erstaunliche Fertigkeit, Springbrunnen an¬
zulegen und aus Cigarrcnkistenholz und Blech komplizirte Räderwerke herzustellen.
Leider ist er in seinem Benehmen sehr täppisch. Sein Gesicht hat immer schwarze
Streifen, er fällt über die eignen Beine, und seine Art zu sprechen klingt ge¬
radezu grob.

Lächerlich ist mir der jüngere Bruder, ein Knabe von neun Jahren. Er
ist ein wahrer Clown. Er amüsirt sich damit, das ganze Haus zu necken und
zum Lachen zu bringen. Er kann jede Stimme nachmachen und bringt oft die
Familie in Verlegenheit, indem er im Vorzimmer zur Essenszeit oder sonst bei
unpassender Gelegenheit die kreischenden Tone einer alten ehrwürdigen Erdkarte
oder den Baß des Superintendenten ertönen läßt. Sein Gesicht ist wie von
Gummi, und in Verkleidung macht er Napoleon den Ersten und den Papst
Pius nach.

Ein reizendes kleines Ding ist die vierte Tochter. Sie ist ganz Gemüt,
und man sollte nicht denken, daß ein siebenjähriges Kind so tief empfinden könnte.
Ihr Taschengeld kommt völlig den Armen zu gute, sie giebt ihr Frühstück und
ihr Vesperbrot fast immer den zerlumpten Rangen der Nachbarschaft. Beim
Anblick eines Bettlers treten ihr die Thränen in die Augen. Sie hat die Be¬
sorgung des Hühnerhofes übernommen und will niemals leiden, daß eins von
den Tieren geschlachtet werde.

Die fünfte Tochter ist erst fünf Jahre alt, aber ich merke schon, daß in dem
Kinde etwas Besondres steckt. Sie ist ungewöhnlich ruhig und sieht mit großen,
stillen Augen in die Welt hinein. Sie sagt niemals ein dummes Wort, ihr
Scharfsinn hat mich überrascht, und ihre Fragen setzen mich in Erstaunen. Un¬
willkürlich gehorche" ihr die Geschwister; sie übt eine gewisse Herrschaft aus über
Kinder, die viel älter sind als sie.

Noch mehr als bei diesem Mädchen ist es mir bei dem jüngsten Kinde
ausgefallen, wie früh schon der Charakter sich zeigt. Der kleine Junge ist drei
Jahre alt und hat schon einen Kopf wie von Eisen. Wenn er etwas will oder
nicht will, so ist es völlig unmöglich, ihn davon abzubringen. Ich glaube, er
ließe sich eher in Stücke reißen, als daß er nachgäbe. Mein Freund Meyer,
welcher behauptet, die Erziehung eines Kindes müsse schon in den ersten Lebens¬
jahren entschieden werden, da man später nicht mehr so günstige Chance" habe,
ist schon vom vierten Monat an bei diesem Jungen bemüht gewesen, dessen Eigen¬
sinn zu brechen. Er hat ihn im zweiten Lebensjahre einmal gezüchtigt, daß
Blut floß, aber -- der Junge blieb Sieger. Er biß sich in des Vaters Bein
fest und ließ nicht los, bis er gute Worte bekam.

Mein lieber Freund, sagte ich ihm bei dieser Gelegenheit, ich weiß nicht,
ob deine Theorie vom Brechen des Eigensinns überhaupt richtig ist. Jemehr
du deinen Arm übst, indem dn den Säbel oder die Axt führst, desto kriif-


Herrn Meyers Amber.

machen, mit acht Jahren konstruirte er bereits eine Mühle, welche durch Sand
getrieben wurde, und er besitzt eine erstaunliche Fertigkeit, Springbrunnen an¬
zulegen und aus Cigarrcnkistenholz und Blech komplizirte Räderwerke herzustellen.
Leider ist er in seinem Benehmen sehr täppisch. Sein Gesicht hat immer schwarze
Streifen, er fällt über die eignen Beine, und seine Art zu sprechen klingt ge¬
radezu grob.

Lächerlich ist mir der jüngere Bruder, ein Knabe von neun Jahren. Er
ist ein wahrer Clown. Er amüsirt sich damit, das ganze Haus zu necken und
zum Lachen zu bringen. Er kann jede Stimme nachmachen und bringt oft die
Familie in Verlegenheit, indem er im Vorzimmer zur Essenszeit oder sonst bei
unpassender Gelegenheit die kreischenden Tone einer alten ehrwürdigen Erdkarte
oder den Baß des Superintendenten ertönen läßt. Sein Gesicht ist wie von
Gummi, und in Verkleidung macht er Napoleon den Ersten und den Papst
Pius nach.

Ein reizendes kleines Ding ist die vierte Tochter. Sie ist ganz Gemüt,
und man sollte nicht denken, daß ein siebenjähriges Kind so tief empfinden könnte.
Ihr Taschengeld kommt völlig den Armen zu gute, sie giebt ihr Frühstück und
ihr Vesperbrot fast immer den zerlumpten Rangen der Nachbarschaft. Beim
Anblick eines Bettlers treten ihr die Thränen in die Augen. Sie hat die Be¬
sorgung des Hühnerhofes übernommen und will niemals leiden, daß eins von
den Tieren geschlachtet werde.

Die fünfte Tochter ist erst fünf Jahre alt, aber ich merke schon, daß in dem
Kinde etwas Besondres steckt. Sie ist ungewöhnlich ruhig und sieht mit großen,
stillen Augen in die Welt hinein. Sie sagt niemals ein dummes Wort, ihr
Scharfsinn hat mich überrascht, und ihre Fragen setzen mich in Erstaunen. Un¬
willkürlich gehorche» ihr die Geschwister; sie übt eine gewisse Herrschaft aus über
Kinder, die viel älter sind als sie.

Noch mehr als bei diesem Mädchen ist es mir bei dem jüngsten Kinde
ausgefallen, wie früh schon der Charakter sich zeigt. Der kleine Junge ist drei
Jahre alt und hat schon einen Kopf wie von Eisen. Wenn er etwas will oder
nicht will, so ist es völlig unmöglich, ihn davon abzubringen. Ich glaube, er
ließe sich eher in Stücke reißen, als daß er nachgäbe. Mein Freund Meyer,
welcher behauptet, die Erziehung eines Kindes müsse schon in den ersten Lebens¬
jahren entschieden werden, da man später nicht mehr so günstige Chance» habe,
ist schon vom vierten Monat an bei diesem Jungen bemüht gewesen, dessen Eigen¬
sinn zu brechen. Er hat ihn im zweiten Lebensjahre einmal gezüchtigt, daß
Blut floß, aber — der Junge blieb Sieger. Er biß sich in des Vaters Bein
fest und ließ nicht los, bis er gute Worte bekam.

Mein lieber Freund, sagte ich ihm bei dieser Gelegenheit, ich weiß nicht,
ob deine Theorie vom Brechen des Eigensinns überhaupt richtig ist. Jemehr
du deinen Arm übst, indem dn den Säbel oder die Axt führst, desto kriif-


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[0414] Herrn Meyers Amber. machen, mit acht Jahren konstruirte er bereits eine Mühle, welche durch Sand getrieben wurde, und er besitzt eine erstaunliche Fertigkeit, Springbrunnen an¬ zulegen und aus Cigarrcnkistenholz und Blech komplizirte Räderwerke herzustellen. Leider ist er in seinem Benehmen sehr täppisch. Sein Gesicht hat immer schwarze Streifen, er fällt über die eignen Beine, und seine Art zu sprechen klingt ge¬ radezu grob. Lächerlich ist mir der jüngere Bruder, ein Knabe von neun Jahren. Er ist ein wahrer Clown. Er amüsirt sich damit, das ganze Haus zu necken und zum Lachen zu bringen. Er kann jede Stimme nachmachen und bringt oft die Familie in Verlegenheit, indem er im Vorzimmer zur Essenszeit oder sonst bei unpassender Gelegenheit die kreischenden Tone einer alten ehrwürdigen Erdkarte oder den Baß des Superintendenten ertönen läßt. Sein Gesicht ist wie von Gummi, und in Verkleidung macht er Napoleon den Ersten und den Papst Pius nach. Ein reizendes kleines Ding ist die vierte Tochter. Sie ist ganz Gemüt, und man sollte nicht denken, daß ein siebenjähriges Kind so tief empfinden könnte. Ihr Taschengeld kommt völlig den Armen zu gute, sie giebt ihr Frühstück und ihr Vesperbrot fast immer den zerlumpten Rangen der Nachbarschaft. Beim Anblick eines Bettlers treten ihr die Thränen in die Augen. Sie hat die Be¬ sorgung des Hühnerhofes übernommen und will niemals leiden, daß eins von den Tieren geschlachtet werde. Die fünfte Tochter ist erst fünf Jahre alt, aber ich merke schon, daß in dem Kinde etwas Besondres steckt. Sie ist ungewöhnlich ruhig und sieht mit großen, stillen Augen in die Welt hinein. Sie sagt niemals ein dummes Wort, ihr Scharfsinn hat mich überrascht, und ihre Fragen setzen mich in Erstaunen. Un¬ willkürlich gehorche» ihr die Geschwister; sie übt eine gewisse Herrschaft aus über Kinder, die viel älter sind als sie. Noch mehr als bei diesem Mädchen ist es mir bei dem jüngsten Kinde ausgefallen, wie früh schon der Charakter sich zeigt. Der kleine Junge ist drei Jahre alt und hat schon einen Kopf wie von Eisen. Wenn er etwas will oder nicht will, so ist es völlig unmöglich, ihn davon abzubringen. Ich glaube, er ließe sich eher in Stücke reißen, als daß er nachgäbe. Mein Freund Meyer, welcher behauptet, die Erziehung eines Kindes müsse schon in den ersten Lebens¬ jahren entschieden werden, da man später nicht mehr so günstige Chance» habe, ist schon vom vierten Monat an bei diesem Jungen bemüht gewesen, dessen Eigen¬ sinn zu brechen. Er hat ihn im zweiten Lebensjahre einmal gezüchtigt, daß Blut floß, aber — der Junge blieb Sieger. Er biß sich in des Vaters Bein fest und ließ nicht los, bis er gute Worte bekam. Mein lieber Freund, sagte ich ihm bei dieser Gelegenheit, ich weiß nicht, ob deine Theorie vom Brechen des Eigensinns überhaupt richtig ist. Jemehr du deinen Arm übst, indem dn den Säbel oder die Axt führst, desto kriif-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/414>, abgerufen am 28.09.2024.