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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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ZVasili Wereschagin.

geworfen -- ein Bild, das trotz der schneeigen Einöde voll Leben und Be¬
wegung ist. Ganz ungestört ist aber auch der Genuß dieses Gemäldes nicht.
Denn im Vordergrunde sieht man die beschneiten Leichen derer, die den Sieg
mit ihrem Leben bezahlt haben. Einige andre Bilder, wie die kosakische Feld¬
wache bei Ruschtschnk, die Erdhütten und die Schneetrancheen auf dem Schipka,
der Spion, der nach seiner Verurteilung zu dem ihn erwartenden Peloton ge¬
führt wird, und Kaiser Alexander II. vor Plewna, bringen uns wenigstens nicht
unmittelbar mit Blut und Leichen in Berührung. Das letztre Bild, welches den
Kaiser und sein Gefolge darstellt, winzige Figuren auf einem hohen, kahlen
Hügel, die mit Krimstechern dem Gange der Schlacht folgen, hat großes Auf¬
sehen erreicht, weil man aus demselben mehr herausgelesen, als der Künstler
selbst vielleicht hineingelegt hat. Der begleitende Text des Katalogs, der durchaus
würdig gehalten ist, läßt nicht erkennen, ob Wereschagin damit wirklich eine
Kritik gegen das Verhalten des Kaisers beabsichtigt hat. Einen günstigen Ein¬
druck macht die Gesellschaft auf dem Hügel jedenfalls nicht, die vom sicheren
Port dem furchtbaren Kampfe zu ihren Füßen wie einem Schauspiele zusieht,
um so weniger, wenn man dicht daneben die drei Bilder unter der bitter¬
ironischen Überschrift "Am Schipkapaß alles ruhig!" sieht. So pflegte nämlich
der General Radetzky an den Oberfeldherrn zu rapportiren, während in Wahr¬
heit die russischen Regimenter teils durch die Kugeln der Angreifer, teils durch
den Frost aufs furchtbarste dezimirt wurden. Wenn man dem Maler glauben
darf, sind zahlreiche Posten buchstäblich im Schnee versunken oder durch große
Schneewehen verschüttet worden. Das Schicksal eines solchen Unglücklichen
führen uns jene drei Bilder vor Augen: erst reicht ihm der Schnee bis an die
die Knie, dann schon über die Hüften und zuletzt sieht man nur noch die Helm¬
spitze und das Bajonett hervorragen. Von rein ästhetischen Grundsätzen be¬
trachtet sind derartige künstlerische Schöpfungen, die nicht in sich abgeschlossen
sind, sondern von denen die eine in die andre hinübergreife, ja unbedingt zu
verwerfen. Aber der moderne Realismus, besonders der Wereschagins mit seiner
stark nihilistischen Färbung, hat derartige Dogmen einer veralteten Ästhetik längst
über deu Haufen geworfen und fragt nur noch nach der Wirkung.

Die übrigen Bilder schildern so schaudervolle Szenen, daß man nur mit
Widerstrebe" an ihre Charakteristik geht. Auf einem freien Felde ist ein Lazareth
etablirt. Hunderte von Soldaten mit den schrecklichsten Verwundungen -- dem
einen sind die Kinnladen zerschmettert, dem andern die Füße abgeschossen -- sind
dicht zusammengedrängt und suchen sich selbst zu verbinden, da die Ärzte dem
unermeßlichen Jammer nicht zu steuern vermögen. Ein andres Bild gewährt
uns einen Blick in ein türkisches Lazareth. "Nach der Eroberung von Plewna,
sagt Wereschagin, war jedes Haus ein kleines Spital. Ob sie alle so ausge¬
sehen haben wie diese schmutzige, schauerliche, dunkle Höhle, in welcher die Todten
dicht über einander geschichtet liegen? Die Türken hatten ihre Kranken vergessen,


ZVasili Wereschagin.

geworfen — ein Bild, das trotz der schneeigen Einöde voll Leben und Be¬
wegung ist. Ganz ungestört ist aber auch der Genuß dieses Gemäldes nicht.
Denn im Vordergrunde sieht man die beschneiten Leichen derer, die den Sieg
mit ihrem Leben bezahlt haben. Einige andre Bilder, wie die kosakische Feld¬
wache bei Ruschtschnk, die Erdhütten und die Schneetrancheen auf dem Schipka,
der Spion, der nach seiner Verurteilung zu dem ihn erwartenden Peloton ge¬
führt wird, und Kaiser Alexander II. vor Plewna, bringen uns wenigstens nicht
unmittelbar mit Blut und Leichen in Berührung. Das letztre Bild, welches den
Kaiser und sein Gefolge darstellt, winzige Figuren auf einem hohen, kahlen
Hügel, die mit Krimstechern dem Gange der Schlacht folgen, hat großes Auf¬
sehen erreicht, weil man aus demselben mehr herausgelesen, als der Künstler
selbst vielleicht hineingelegt hat. Der begleitende Text des Katalogs, der durchaus
würdig gehalten ist, läßt nicht erkennen, ob Wereschagin damit wirklich eine
Kritik gegen das Verhalten des Kaisers beabsichtigt hat. Einen günstigen Ein¬
druck macht die Gesellschaft auf dem Hügel jedenfalls nicht, die vom sicheren
Port dem furchtbaren Kampfe zu ihren Füßen wie einem Schauspiele zusieht,
um so weniger, wenn man dicht daneben die drei Bilder unter der bitter¬
ironischen Überschrift „Am Schipkapaß alles ruhig!" sieht. So pflegte nämlich
der General Radetzky an den Oberfeldherrn zu rapportiren, während in Wahr¬
heit die russischen Regimenter teils durch die Kugeln der Angreifer, teils durch
den Frost aufs furchtbarste dezimirt wurden. Wenn man dem Maler glauben
darf, sind zahlreiche Posten buchstäblich im Schnee versunken oder durch große
Schneewehen verschüttet worden. Das Schicksal eines solchen Unglücklichen
führen uns jene drei Bilder vor Augen: erst reicht ihm der Schnee bis an die
die Knie, dann schon über die Hüften und zuletzt sieht man nur noch die Helm¬
spitze und das Bajonett hervorragen. Von rein ästhetischen Grundsätzen be¬
trachtet sind derartige künstlerische Schöpfungen, die nicht in sich abgeschlossen
sind, sondern von denen die eine in die andre hinübergreife, ja unbedingt zu
verwerfen. Aber der moderne Realismus, besonders der Wereschagins mit seiner
stark nihilistischen Färbung, hat derartige Dogmen einer veralteten Ästhetik längst
über deu Haufen geworfen und fragt nur noch nach der Wirkung.

Die übrigen Bilder schildern so schaudervolle Szenen, daß man nur mit
Widerstrebe» an ihre Charakteristik geht. Auf einem freien Felde ist ein Lazareth
etablirt. Hunderte von Soldaten mit den schrecklichsten Verwundungen — dem
einen sind die Kinnladen zerschmettert, dem andern die Füße abgeschossen — sind
dicht zusammengedrängt und suchen sich selbst zu verbinden, da die Ärzte dem
unermeßlichen Jammer nicht zu steuern vermögen. Ein andres Bild gewährt
uns einen Blick in ein türkisches Lazareth. „Nach der Eroberung von Plewna,
sagt Wereschagin, war jedes Haus ein kleines Spital. Ob sie alle so ausge¬
sehen haben wie diese schmutzige, schauerliche, dunkle Höhle, in welcher die Todten
dicht über einander geschichtet liegen? Die Türken hatten ihre Kranken vergessen,


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[0410] ZVasili Wereschagin. geworfen — ein Bild, das trotz der schneeigen Einöde voll Leben und Be¬ wegung ist. Ganz ungestört ist aber auch der Genuß dieses Gemäldes nicht. Denn im Vordergrunde sieht man die beschneiten Leichen derer, die den Sieg mit ihrem Leben bezahlt haben. Einige andre Bilder, wie die kosakische Feld¬ wache bei Ruschtschnk, die Erdhütten und die Schneetrancheen auf dem Schipka, der Spion, der nach seiner Verurteilung zu dem ihn erwartenden Peloton ge¬ führt wird, und Kaiser Alexander II. vor Plewna, bringen uns wenigstens nicht unmittelbar mit Blut und Leichen in Berührung. Das letztre Bild, welches den Kaiser und sein Gefolge darstellt, winzige Figuren auf einem hohen, kahlen Hügel, die mit Krimstechern dem Gange der Schlacht folgen, hat großes Auf¬ sehen erreicht, weil man aus demselben mehr herausgelesen, als der Künstler selbst vielleicht hineingelegt hat. Der begleitende Text des Katalogs, der durchaus würdig gehalten ist, läßt nicht erkennen, ob Wereschagin damit wirklich eine Kritik gegen das Verhalten des Kaisers beabsichtigt hat. Einen günstigen Ein¬ druck macht die Gesellschaft auf dem Hügel jedenfalls nicht, die vom sicheren Port dem furchtbaren Kampfe zu ihren Füßen wie einem Schauspiele zusieht, um so weniger, wenn man dicht daneben die drei Bilder unter der bitter¬ ironischen Überschrift „Am Schipkapaß alles ruhig!" sieht. So pflegte nämlich der General Radetzky an den Oberfeldherrn zu rapportiren, während in Wahr¬ heit die russischen Regimenter teils durch die Kugeln der Angreifer, teils durch den Frost aufs furchtbarste dezimirt wurden. Wenn man dem Maler glauben darf, sind zahlreiche Posten buchstäblich im Schnee versunken oder durch große Schneewehen verschüttet worden. Das Schicksal eines solchen Unglücklichen führen uns jene drei Bilder vor Augen: erst reicht ihm der Schnee bis an die die Knie, dann schon über die Hüften und zuletzt sieht man nur noch die Helm¬ spitze und das Bajonett hervorragen. Von rein ästhetischen Grundsätzen be¬ trachtet sind derartige künstlerische Schöpfungen, die nicht in sich abgeschlossen sind, sondern von denen die eine in die andre hinübergreife, ja unbedingt zu verwerfen. Aber der moderne Realismus, besonders der Wereschagins mit seiner stark nihilistischen Färbung, hat derartige Dogmen einer veralteten Ästhetik längst über deu Haufen geworfen und fragt nur noch nach der Wirkung. Die übrigen Bilder schildern so schaudervolle Szenen, daß man nur mit Widerstrebe» an ihre Charakteristik geht. Auf einem freien Felde ist ein Lazareth etablirt. Hunderte von Soldaten mit den schrecklichsten Verwundungen — dem einen sind die Kinnladen zerschmettert, dem andern die Füße abgeschossen — sind dicht zusammengedrängt und suchen sich selbst zu verbinden, da die Ärzte dem unermeßlichen Jammer nicht zu steuern vermögen. Ein andres Bild gewährt uns einen Blick in ein türkisches Lazareth. „Nach der Eroberung von Plewna, sagt Wereschagin, war jedes Haus ein kleines Spital. Ob sie alle so ausge¬ sehen haben wie diese schmutzige, schauerliche, dunkle Höhle, in welcher die Todten dicht über einander geschichtet liegen? Die Türken hatten ihre Kranken vergessen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/410>, abgerufen am 29.06.2024.