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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Wasili Wereschagin.

und diese waren in den Lazarethen elendiglich umgekommen. Der Weg von
Plcwnci bis zur Donau war buchstäblich in einer Entfernung von 50 Kilometern
mit Leichen erfrorener Türken besäet." Diese furchtbare Thatsache führt uns ein
Gemälde vor Augen, auf welchem man zahllose Leichen unter der Schneedecke
begraben sieht. Nur hie und da ragt ein Arm, ein Bein, ein Kops hervor, an
denen die Raben und andre Raubvögel zerren.

Aber damit ist der Gipfel des Grauens noch nicht erreicht. "Sieger" und
"Besiegte" heißen die Bilder, welche alles übertreffen, was die französische Schule
insgesammt bisher in Blut- und Lcichenmalerei geleistet hat. Auf dem ersten
Bilde sieht man den Abhang eines sich mäßig abdachenden Hügels dicht mit den
Leichen russischer Soldaten besäet. Eine Horde türkischer Plünderer hat sich über
das Feld zerstreut, um die Leichen bis auf die Haut auszuplündern sie aufs
entsetzlichste zu verstümmeln und den etwa noch atmenden, nur verwundeten
den Garaus zu machen. In der Mitte hat sich ein brauner Kerl den Rock eines
russischen Offiziers angezogen und grinst vor Freuden, während seine Kameraden
ihn lachend bewundern. Einer von ihnen, de): gerade dabei ist, sich den Stiefel
eines Russen anzuziehen -- der andre steckt noch am Fuß der Leiche -- hält
in seinem Geschäft inne, um in den Chorus der Lacher einzustimmen. Born
liegen ein paar abgeschnittene Köpfe. Es ist nicht zu leugne", daß die blut¬
dürstigen Bestien Nu't einem wahrhaft diabolischen Humor dargestellt sind. Aber
man kommt trotz solcher Virtuosität nicht über das Bedauern hinaus, daß der
Maler seiue Kraft an die Schilderung so scheußlicher Szenen verschwendet hat.
Das waren die "Sieger." Die "Besiegten" sieht man ans dein Pendant. Aus
einiger Entfernung bemerkt man nur zwei lebensgroße, mit erstaunlicher male¬
rischer Kraft herausgearbeitete Gestalten, einen Popen in schwarzem, silbcrver-
brcimten Gewände, der segnend seine Hand über ein mit gelbem Gestrüpp be¬
wachsenes Feld ausstreckt, und hinter ihm einen Unteroffizier als Ministranten.
Tritt man aber näher, so wird man mit Schrecken gewahr, daß unter dem gelben
Gestrüpp eine unübersehbare Schaar nackter Leichen verborgen ist, die mit einem
grausenerregendem Realismus gemalt sind. Jede Leiche ist verstümmelt. Den meisten
fehlt der Kopf, vielen ein Arm oder ein Bein -- es sind die Opfer jener bestialischer
"Sieger," die ans dem vorhin geschilderten Bilde ihre Greuelthaten verübt haben!

Genug damit. Auf diesen Gemälden hat den Künstler sein guter Genius so
vollkommen verlassen, daß selbst das vou ihm sonst so sorgfältig gepflegte Kolorit
roh und brutal geworden ist. Einige besonders blutige Stücke erinnern in ihrer
ordinären Mache geradezu an die Panoramen, die man auf Jahrmärkten zeigt.

Wcreschagin ist noch nicht vierzig Jahre alt. Es ist also nicht anzunehmen,
daß er mit diesen Schauerballaden sein letztes Wort gesprochen hat. Vielleicht
gewinnt seine Phantasie wieder die Empfänglichkeit für edlere Stoffe. Dringend
aber wollen wir wünschen, daß dieses Phänomen "wie blutiger Nordlichtschcin"
spurlos an unsrer deutschen Kunst vorübergehen möge!




Wasili Wereschagin.

und diese waren in den Lazarethen elendiglich umgekommen. Der Weg von
Plcwnci bis zur Donau war buchstäblich in einer Entfernung von 50 Kilometern
mit Leichen erfrorener Türken besäet." Diese furchtbare Thatsache führt uns ein
Gemälde vor Augen, auf welchem man zahllose Leichen unter der Schneedecke
begraben sieht. Nur hie und da ragt ein Arm, ein Bein, ein Kops hervor, an
denen die Raben und andre Raubvögel zerren.

Aber damit ist der Gipfel des Grauens noch nicht erreicht. „Sieger" und
„Besiegte" heißen die Bilder, welche alles übertreffen, was die französische Schule
insgesammt bisher in Blut- und Lcichenmalerei geleistet hat. Auf dem ersten
Bilde sieht man den Abhang eines sich mäßig abdachenden Hügels dicht mit den
Leichen russischer Soldaten besäet. Eine Horde türkischer Plünderer hat sich über
das Feld zerstreut, um die Leichen bis auf die Haut auszuplündern sie aufs
entsetzlichste zu verstümmeln und den etwa noch atmenden, nur verwundeten
den Garaus zu machen. In der Mitte hat sich ein brauner Kerl den Rock eines
russischen Offiziers angezogen und grinst vor Freuden, während seine Kameraden
ihn lachend bewundern. Einer von ihnen, de): gerade dabei ist, sich den Stiefel
eines Russen anzuziehen — der andre steckt noch am Fuß der Leiche — hält
in seinem Geschäft inne, um in den Chorus der Lacher einzustimmen. Born
liegen ein paar abgeschnittene Köpfe. Es ist nicht zu leugne», daß die blut¬
dürstigen Bestien Nu't einem wahrhaft diabolischen Humor dargestellt sind. Aber
man kommt trotz solcher Virtuosität nicht über das Bedauern hinaus, daß der
Maler seiue Kraft an die Schilderung so scheußlicher Szenen verschwendet hat.
Das waren die „Sieger." Die „Besiegten" sieht man ans dein Pendant. Aus
einiger Entfernung bemerkt man nur zwei lebensgroße, mit erstaunlicher male¬
rischer Kraft herausgearbeitete Gestalten, einen Popen in schwarzem, silbcrver-
brcimten Gewände, der segnend seine Hand über ein mit gelbem Gestrüpp be¬
wachsenes Feld ausstreckt, und hinter ihm einen Unteroffizier als Ministranten.
Tritt man aber näher, so wird man mit Schrecken gewahr, daß unter dem gelben
Gestrüpp eine unübersehbare Schaar nackter Leichen verborgen ist, die mit einem
grausenerregendem Realismus gemalt sind. Jede Leiche ist verstümmelt. Den meisten
fehlt der Kopf, vielen ein Arm oder ein Bein — es sind die Opfer jener bestialischer
„Sieger," die ans dem vorhin geschilderten Bilde ihre Greuelthaten verübt haben!

Genug damit. Auf diesen Gemälden hat den Künstler sein guter Genius so
vollkommen verlassen, daß selbst das vou ihm sonst so sorgfältig gepflegte Kolorit
roh und brutal geworden ist. Einige besonders blutige Stücke erinnern in ihrer
ordinären Mache geradezu an die Panoramen, die man auf Jahrmärkten zeigt.

Wcreschagin ist noch nicht vierzig Jahre alt. Es ist also nicht anzunehmen,
daß er mit diesen Schauerballaden sein letztes Wort gesprochen hat. Vielleicht
gewinnt seine Phantasie wieder die Empfänglichkeit für edlere Stoffe. Dringend
aber wollen wir wünschen, daß dieses Phänomen „wie blutiger Nordlichtschcin"
spurlos an unsrer deutschen Kunst vorübergehen möge!




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[0411] Wasili Wereschagin. und diese waren in den Lazarethen elendiglich umgekommen. Der Weg von Plcwnci bis zur Donau war buchstäblich in einer Entfernung von 50 Kilometern mit Leichen erfrorener Türken besäet." Diese furchtbare Thatsache führt uns ein Gemälde vor Augen, auf welchem man zahllose Leichen unter der Schneedecke begraben sieht. Nur hie und da ragt ein Arm, ein Bein, ein Kops hervor, an denen die Raben und andre Raubvögel zerren. Aber damit ist der Gipfel des Grauens noch nicht erreicht. „Sieger" und „Besiegte" heißen die Bilder, welche alles übertreffen, was die französische Schule insgesammt bisher in Blut- und Lcichenmalerei geleistet hat. Auf dem ersten Bilde sieht man den Abhang eines sich mäßig abdachenden Hügels dicht mit den Leichen russischer Soldaten besäet. Eine Horde türkischer Plünderer hat sich über das Feld zerstreut, um die Leichen bis auf die Haut auszuplündern sie aufs entsetzlichste zu verstümmeln und den etwa noch atmenden, nur verwundeten den Garaus zu machen. In der Mitte hat sich ein brauner Kerl den Rock eines russischen Offiziers angezogen und grinst vor Freuden, während seine Kameraden ihn lachend bewundern. Einer von ihnen, de): gerade dabei ist, sich den Stiefel eines Russen anzuziehen — der andre steckt noch am Fuß der Leiche — hält in seinem Geschäft inne, um in den Chorus der Lacher einzustimmen. Born liegen ein paar abgeschnittene Köpfe. Es ist nicht zu leugne», daß die blut¬ dürstigen Bestien Nu't einem wahrhaft diabolischen Humor dargestellt sind. Aber man kommt trotz solcher Virtuosität nicht über das Bedauern hinaus, daß der Maler seiue Kraft an die Schilderung so scheußlicher Szenen verschwendet hat. Das waren die „Sieger." Die „Besiegten" sieht man ans dein Pendant. Aus einiger Entfernung bemerkt man nur zwei lebensgroße, mit erstaunlicher male¬ rischer Kraft herausgearbeitete Gestalten, einen Popen in schwarzem, silbcrver- brcimten Gewände, der segnend seine Hand über ein mit gelbem Gestrüpp be¬ wachsenes Feld ausstreckt, und hinter ihm einen Unteroffizier als Ministranten. Tritt man aber näher, so wird man mit Schrecken gewahr, daß unter dem gelben Gestrüpp eine unübersehbare Schaar nackter Leichen verborgen ist, die mit einem grausenerregendem Realismus gemalt sind. Jede Leiche ist verstümmelt. Den meisten fehlt der Kopf, vielen ein Arm oder ein Bein — es sind die Opfer jener bestialischer „Sieger," die ans dem vorhin geschilderten Bilde ihre Greuelthaten verübt haben! Genug damit. Auf diesen Gemälden hat den Künstler sein guter Genius so vollkommen verlassen, daß selbst das vou ihm sonst so sorgfältig gepflegte Kolorit roh und brutal geworden ist. Einige besonders blutige Stücke erinnern in ihrer ordinären Mache geradezu an die Panoramen, die man auf Jahrmärkten zeigt. Wcreschagin ist noch nicht vierzig Jahre alt. Es ist also nicht anzunehmen, daß er mit diesen Schauerballaden sein letztes Wort gesprochen hat. Vielleicht gewinnt seine Phantasie wieder die Empfänglichkeit für edlere Stoffe. Dringend aber wollen wir wünschen, daß dieses Phänomen „wie blutiger Nordlichtschcin" spurlos an unsrer deutschen Kunst vorübergehen möge!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/411>, abgerufen am 29.06.2024.