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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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geben versucht hat. Zu den weniger gelungenen Bildern gehört die ungeheure
Schneelandschaft, welche die Gipfel des Himalaya darstellen soll. Der Künstler
ist besonders stolz auf sie; aber er kann es mehr aus dem Grnnde sein, weil
das Bild für ihn die Erinnerung an ein geglücktes Wagnis festhält, als ans
rein künstlerischen Ursachen. Die malerische Durchführung ist doch ziemlich roh
und entbehrt namentlich in den Übergängen jeglicher Feinheit. Erst später,
während des russischen Krieges, lernte er den Schnee mit einer Virtuosität be¬
handeln, der man seine Bewunderung nicht versagen kann, auch wenn man seine
Bilder aus der letzten Periode in Bausch und Bogen verurteilen muß.

Imi übrigen sind wir genötigt, an dieser Stelle unter den künstlerischen
Entwicklungsgang Wereschagins einen Strich zu machen. Hier hört der Künstler
auf, und die Laufbahn des Agitators, des "Friedensapostels" beginnt, der sich
im Gegensatze zu andern Seinesgleichen nur der Farbe, statt des Wortes be¬
dient. Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges verließ er sein Atelier-und
eilte nach Kischeneff, wo er sich der Kosakenavantgarde des Generals Skobeleff
anschließen durfte. An der Donau wurde er verwundet, mußte zwei und einen
halben Monat in Bukarest im Spital bleiben, wohnte dann der Eroberung von
Plewna bei, überschritt den Balkan und kam schließlich bis nach Adrianopel,
womit seine Teilnahme an diesem Feldzuge ihr Ende erreichte. Er ging wieder
nach Paris zurück und vollendete dort in etwa anderthalb Jahren jene dritte
Reihe von 22 Bildern, welche die Schrecken dieses blutigsten aller Kriege unsers
Jahrhunderts mit eindringlicher Beredtsamkeit schildern.

Wereschagin hat mit dieser Bilderreihe das Vertrauen, welches ihm die
russischen Heerführer entgegenbrachten, mit Undank vergolten, indem er absichtlich
den Krieg nur von seinen Schattenseiten dargestellt hat. Es scheint, als hätte
er für nichts andres ein Auge gehabt als für die Leiden der Verwundeten, die
Entbehrungen der Krieger und die Bestialität barbarischer Horden. Daß der
Krieg auch edle Tugenden entwickelt, ignorirt er geflissentlich, um uicht die von
ihm beabsichtigte Wirkung zu verderben. Wenn er z. B. eine Abteilung Sol¬
daten darstellt, welche sich uuter dem Granatfeuer der Feinde ängstlich zusammen¬
kauern, so Hütte es die Gerechtigkeit erfordert, neben dem Revers auch die glän¬
zende Schauseite der Medaille zu zeigen, da seine Landsleute in diesem ans
ihrer Seite so schlecht vorbereiteten Kriege einen staunenswerten Heroismus ent¬
faltet haben. Nur einmal hat er sich dazu entschließen können, die Erinnerung
an einen Sieg zu verherrlichen. Nach dem Siege von Schenowci ritt General
Skobeleff an die vor einem Berge aufgestellten Truppen heran, schwenkte seine
Mütze und rief seinen Tapfern zu: "Im Namen des Vaterlandes, im Namen
des Kaisers: Brüder, ich danke Euch!" Man denke sich die Reihen der Soldaten
in ihren hellgrauen Mänteln ans einem schneebedeckten Felde aufgestellt, von
hohen Bergen umgeben, die ebenfalls von Schnee und Eis starren, den General,
der im Karriere auf die Truppen zusprcugt, Hunderte von Mützen in die Luft


Givnzbowi I. 1882. 51
ZVafili ZVereschagin.

geben versucht hat. Zu den weniger gelungenen Bildern gehört die ungeheure
Schneelandschaft, welche die Gipfel des Himalaya darstellen soll. Der Künstler
ist besonders stolz auf sie; aber er kann es mehr aus dem Grnnde sein, weil
das Bild für ihn die Erinnerung an ein geglücktes Wagnis festhält, als ans
rein künstlerischen Ursachen. Die malerische Durchführung ist doch ziemlich roh
und entbehrt namentlich in den Übergängen jeglicher Feinheit. Erst später,
während des russischen Krieges, lernte er den Schnee mit einer Virtuosität be¬
handeln, der man seine Bewunderung nicht versagen kann, auch wenn man seine
Bilder aus der letzten Periode in Bausch und Bogen verurteilen muß.

Imi übrigen sind wir genötigt, an dieser Stelle unter den künstlerischen
Entwicklungsgang Wereschagins einen Strich zu machen. Hier hört der Künstler
auf, und die Laufbahn des Agitators, des „Friedensapostels" beginnt, der sich
im Gegensatze zu andern Seinesgleichen nur der Farbe, statt des Wortes be¬
dient. Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges verließ er sein Atelier-und
eilte nach Kischeneff, wo er sich der Kosakenavantgarde des Generals Skobeleff
anschließen durfte. An der Donau wurde er verwundet, mußte zwei und einen
halben Monat in Bukarest im Spital bleiben, wohnte dann der Eroberung von
Plewna bei, überschritt den Balkan und kam schließlich bis nach Adrianopel,
womit seine Teilnahme an diesem Feldzuge ihr Ende erreichte. Er ging wieder
nach Paris zurück und vollendete dort in etwa anderthalb Jahren jene dritte
Reihe von 22 Bildern, welche die Schrecken dieses blutigsten aller Kriege unsers
Jahrhunderts mit eindringlicher Beredtsamkeit schildern.

Wereschagin hat mit dieser Bilderreihe das Vertrauen, welches ihm die
russischen Heerführer entgegenbrachten, mit Undank vergolten, indem er absichtlich
den Krieg nur von seinen Schattenseiten dargestellt hat. Es scheint, als hätte
er für nichts andres ein Auge gehabt als für die Leiden der Verwundeten, die
Entbehrungen der Krieger und die Bestialität barbarischer Horden. Daß der
Krieg auch edle Tugenden entwickelt, ignorirt er geflissentlich, um uicht die von
ihm beabsichtigte Wirkung zu verderben. Wenn er z. B. eine Abteilung Sol¬
daten darstellt, welche sich uuter dem Granatfeuer der Feinde ängstlich zusammen¬
kauern, so Hütte es die Gerechtigkeit erfordert, neben dem Revers auch die glän¬
zende Schauseite der Medaille zu zeigen, da seine Landsleute in diesem ans
ihrer Seite so schlecht vorbereiteten Kriege einen staunenswerten Heroismus ent¬
faltet haben. Nur einmal hat er sich dazu entschließen können, die Erinnerung
an einen Sieg zu verherrlichen. Nach dem Siege von Schenowci ritt General
Skobeleff an die vor einem Berge aufgestellten Truppen heran, schwenkte seine
Mütze und rief seinen Tapfern zu: „Im Namen des Vaterlandes, im Namen
des Kaisers: Brüder, ich danke Euch!" Man denke sich die Reihen der Soldaten
in ihren hellgrauen Mänteln ans einem schneebedeckten Felde aufgestellt, von
hohen Bergen umgeben, die ebenfalls von Schnee und Eis starren, den General,
der im Karriere auf die Truppen zusprcugt, Hunderte von Mützen in die Luft


Givnzbowi I. 1882. 51
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[0409] ZVafili ZVereschagin. geben versucht hat. Zu den weniger gelungenen Bildern gehört die ungeheure Schneelandschaft, welche die Gipfel des Himalaya darstellen soll. Der Künstler ist besonders stolz auf sie; aber er kann es mehr aus dem Grnnde sein, weil das Bild für ihn die Erinnerung an ein geglücktes Wagnis festhält, als ans rein künstlerischen Ursachen. Die malerische Durchführung ist doch ziemlich roh und entbehrt namentlich in den Übergängen jeglicher Feinheit. Erst später, während des russischen Krieges, lernte er den Schnee mit einer Virtuosität be¬ handeln, der man seine Bewunderung nicht versagen kann, auch wenn man seine Bilder aus der letzten Periode in Bausch und Bogen verurteilen muß. Imi übrigen sind wir genötigt, an dieser Stelle unter den künstlerischen Entwicklungsgang Wereschagins einen Strich zu machen. Hier hört der Künstler auf, und die Laufbahn des Agitators, des „Friedensapostels" beginnt, der sich im Gegensatze zu andern Seinesgleichen nur der Farbe, statt des Wortes be¬ dient. Beim Ausbruch des russisch-türkischen Krieges verließ er sein Atelier-und eilte nach Kischeneff, wo er sich der Kosakenavantgarde des Generals Skobeleff anschließen durfte. An der Donau wurde er verwundet, mußte zwei und einen halben Monat in Bukarest im Spital bleiben, wohnte dann der Eroberung von Plewna bei, überschritt den Balkan und kam schließlich bis nach Adrianopel, womit seine Teilnahme an diesem Feldzuge ihr Ende erreichte. Er ging wieder nach Paris zurück und vollendete dort in etwa anderthalb Jahren jene dritte Reihe von 22 Bildern, welche die Schrecken dieses blutigsten aller Kriege unsers Jahrhunderts mit eindringlicher Beredtsamkeit schildern. Wereschagin hat mit dieser Bilderreihe das Vertrauen, welches ihm die russischen Heerführer entgegenbrachten, mit Undank vergolten, indem er absichtlich den Krieg nur von seinen Schattenseiten dargestellt hat. Es scheint, als hätte er für nichts andres ein Auge gehabt als für die Leiden der Verwundeten, die Entbehrungen der Krieger und die Bestialität barbarischer Horden. Daß der Krieg auch edle Tugenden entwickelt, ignorirt er geflissentlich, um uicht die von ihm beabsichtigte Wirkung zu verderben. Wenn er z. B. eine Abteilung Sol¬ daten darstellt, welche sich uuter dem Granatfeuer der Feinde ängstlich zusammen¬ kauern, so Hütte es die Gerechtigkeit erfordert, neben dem Revers auch die glän¬ zende Schauseite der Medaille zu zeigen, da seine Landsleute in diesem ans ihrer Seite so schlecht vorbereiteten Kriege einen staunenswerten Heroismus ent¬ faltet haben. Nur einmal hat er sich dazu entschließen können, die Erinnerung an einen Sieg zu verherrlichen. Nach dem Siege von Schenowci ritt General Skobeleff an die vor einem Berge aufgestellten Truppen heran, schwenkte seine Mütze und rief seinen Tapfern zu: „Im Namen des Vaterlandes, im Namen des Kaisers: Brüder, ich danke Euch!" Man denke sich die Reihen der Soldaten in ihren hellgrauen Mänteln ans einem schneebedeckten Felde aufgestellt, von hohen Bergen umgeben, die ebenfalls von Schnee und Eis starren, den General, der im Karriere auf die Truppen zusprcugt, Hunderte von Mützen in die Luft Givnzbowi I. 1882. 51

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/409>, abgerufen am 28.09.2024.