Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Die deutsche Bühne der Gegenwart. Wieder versichern, und man würde froh sein, wenn man sie hören könnte. Aber Dergleichen Geschmacklosigkeiten gehören übrigens zu den Vorzügen, welche Grenzboten 1. 1332. 5
Die deutsche Bühne der Gegenwart. Wieder versichern, und man würde froh sein, wenn man sie hören könnte. Aber Dergleichen Geschmacklosigkeiten gehören übrigens zu den Vorzügen, welche Grenzboten 1. 1332. 5
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Die deutsche Bühne der Gegenwart.
Wieder versichern, und man würde froh sein, wenn man sie hören könnte. Aber
diese alberne Buchführung über die Geschicke einer Sängerin, zu deren Revier
die gewaltigen Aufgaben der Donna Anna und des Fideliv nicht gehören, die
mehr durch zierliche Technik als durch dramatische Größe ausgezeichnet ist, bleibt
Deutschlands unwürdig.
Dergleichen Geschmacklosigkeiten gehören übrigens zu den Vorzügen, welche
die Oper unsrer Tage vor dem Schauspiel genießt. Es giebt eine stattliche
Anzahl vortrefflicher Sänger, aber der Geist des künstlerischen Ensembles, die
sinnvolle Kunst der Regie, die im Schauspiel eine völlige Umwälzung und
Läuterung hervorgerufen, bleibt der Oper, fast möchte man sagen grundsätzlich
fern. Die italienische oxsra hören ist lange begraben, aber der gehäufte, kalte
Prunk ihrer Aufzüge dominirt auf unsern großen Hofbühnen noch immer, und
noch immer walten die Regisseure ihres Amtes nach den Normen, die von Alters
her feststehen. Die innere Unwahrheit der meisten Libretti, die haarsträubende
Versisikation der Übersetzungen der französischen und italienischen großen und,
wenn man will, tragischen Opern macht es zwar begreiflich, daß die Sänger
sich um den Sinn der Werke, in denen sie auftreten, oft blutwenig kümmern
und daß sie mehr darauf bedacht sind, sich selbst von der besten Seite zu zeigen
und dem Publikum etwas vorzusingen, anstatt sich nach ihren Mitspielenden um¬
zusehen. Aber man sollte doch denken, daß Richard Wagners Bemühungen reich¬
lichere Früchte hätten tragen müsse«. Sind unsre Manricos und Edgardos
einmal vor eine wirkliche Spielaufgabe gestellt, wie sie die französische oxvrii.
vorn<zu6 bietet, dann sind sie meistens ratlos. Und doch wäre es ein Glück,
wenn die leichtern Allüren dieses Genres mehr kultivirt würden; sie könnten
dazu führen, ans dem guten Sänger auch einen guten Darsteller zu machen
und wie das Salonstück zur Tragödie aus ihren heitern Reichen in die ernstere
Luft der klassischen Oper hinüberzuleiten. Die Regie freilich müßte diesen Weg
mitmachen und in der Schule der Mcininger etwas lernen. Die Oper ver¬
schlingt mit dem für sie noch unentbehrlichen Ballet in Deutschland Millionen.
Eine oberflächliche, schaulustige Menge wird über die Jnseeuirung des „Tann-
hüuser," des „Lohengrin," der „Hugenotten" und der „Afrikanerin" auf unsern
großen Hoftheatern vor Entzücken anßer sich sein. Aber dieselbe Verwaltung,
die vielleicht den „Rienzi" mit allen möglichen Chikanen ausstattet, denkt nicht
daran, einem unvergänglichen Meisterwerke, wie es der „Don Juan" ist, eine
besondre samische Sorgfalt zu widmen. Diese würde freilich nicht darin be¬
stehen, daß man in der Ballscene ein verdoppeltes c-orvs cle »allst, Menuet
tanzen ließe und „Kaffee, Chokolade, Limonade und Konfekte" in rmwrg. ver¬
abreichte. Noch immer geht Mozarts herrliche Schöpfung selbst auf gut situirter
Theatern (mit wenigen Ausnahmen) in dein alten wüsten Arrangement in Scene,
das nichts als ein Conglomerat verschiedener Begebenheiten und Auftritte ist, die
zusammenhnngslos nebeneinander stehen. Noch immer weiß man nicht, wo Elvira
Grenzboten 1. 1332. 5
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