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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Wasili Wereschcigin.

Diskussion, daß sich in diesen kleinen Gemälden die Virtuosität Wereschagins
auf der höchsten Stufe ihrer Entwickelung zeigt. Einige der Landschaften, wie
ein See in Kaschmir vor Sonnenaufgang, ein See bei Delhi nach Sonnen¬
untergang, Marmorquai am See in Nadschnugur sind so stimmungsvoll, so
unbeschreiblich zart und fein im Kolorit, so voll poetischer Schönheit, daß man
ausnahmsweise denken möchte: Hier hat der Maler wirklich und tief empfunden,
nicht bloß das Gesehene mit faustfertiger Routine hingeschrieben! Die Architek-
tnrstücke in gleichem Maßstabe sind wahre Meisterwerke der Kleinmalerei. Mit
ungeheuerer Geduld hat der Maler die seltsam gewundenen und verschnörkelte"
Ornamente der indischen Bankunst, welche die gewaltigsten Monumente mit
einem Netze zierlichster Filigranarbeit überziehen, kopirt und ihre plastische Wir¬
kung dadurch nachzubilden versucht, daß er die Farbe stark pastos aufgetragen
und darin das phantastische Gewirr der Ornamente gleichsam eingegraben hat.
Das Innere des Hauses von Barbnl in Agra, das Innere eines Buddhatem¬
pels in Westtibet, zwei Partien aus einem unterirdischen Tempel in Ellora,
Säulen des unterirdischen Tempels in Adjcmta mit Überresten alter Malereien
und ein Kaisergrabmal in Delhi sind köstliche Perlen, von denen jede die Dar¬
stellung der Greuclszeneu aus dem russisch-türkischen Kriege aufwiegt, welche
Wereschagiu selbst in unbegreiflicher Verblendung für seine eingebildete zivilisa-
tvrische Mission als die Krone seiner Schöpfungen angesehen wissen will.

Auch ein indisches Architekturstück von kolossale" Dimensionen ist von großem
koloristischen Reize. Es ist der Vorhof der Privatmoschee des Großmoguls in
Delhi, ein prachtvolles Bauwerk von weißem Marmor, über welchem sich als
Dach der blaue Himmel spannt, so daß das intensive Licht der indischen Sonne
sich in breiten Fluten auf den Stein ergießt. Man denke sich die riesigen weißen
Flächen, nur unterbrochen durch ein paar knieende Beter, deren rote, gelbe und
grüne Gewänder wie farbige Edelsteine ans der leuchtenden Umgebung hcraus-
strahlen. Wen" man derartige koloristische Feinheiten schildern will, merkt man
doch, daß die Sprache zu arm ist, um solche rein sinnliche Eindrücke durch das
umschreibende Wort zu fixiren.

Diese Zeit der indischen Studien ist sozusagen die friedlichste Periode in
der Thätigkeit unsres Künstlers. Nur einmal hat er der Verlockung nicht wider¬
stehen können, eine Szene des Schreckens festzuhalten. Das Bild heißt kurz
und bündig "Der Menschenfresser." In einer sandigen Ebne, aus welcher nur
eine einsame Palme, von niedrigem Gebüsch umgeben, zu dem weißlich blauen
Himmel emporragt, hat ein Tiger einen Menschen überfallen und schickt sich an,
sein blutiges Mahl zu halten. Dieser Unglücksfall ist noch mit leidlichem Zart¬
gefühl dargestellt. Der Leichnam hat noch wenig gelitten und überdies ist die
Malerei so virtuos, daß man genug daran zu thu" hat, die Feinheit zu be¬
wundern, mit welcher der Maler das Zittern und Flimmern der heißen Luft
unter dem Reflex der vom Sande zurückgeworfenen Sonnenstrahlen wicderzn-


Wasili Wereschcigin.

Diskussion, daß sich in diesen kleinen Gemälden die Virtuosität Wereschagins
auf der höchsten Stufe ihrer Entwickelung zeigt. Einige der Landschaften, wie
ein See in Kaschmir vor Sonnenaufgang, ein See bei Delhi nach Sonnen¬
untergang, Marmorquai am See in Nadschnugur sind so stimmungsvoll, so
unbeschreiblich zart und fein im Kolorit, so voll poetischer Schönheit, daß man
ausnahmsweise denken möchte: Hier hat der Maler wirklich und tief empfunden,
nicht bloß das Gesehene mit faustfertiger Routine hingeschrieben! Die Architek-
tnrstücke in gleichem Maßstabe sind wahre Meisterwerke der Kleinmalerei. Mit
ungeheuerer Geduld hat der Maler die seltsam gewundenen und verschnörkelte»
Ornamente der indischen Bankunst, welche die gewaltigsten Monumente mit
einem Netze zierlichster Filigranarbeit überziehen, kopirt und ihre plastische Wir¬
kung dadurch nachzubilden versucht, daß er die Farbe stark pastos aufgetragen
und darin das phantastische Gewirr der Ornamente gleichsam eingegraben hat.
Das Innere des Hauses von Barbnl in Agra, das Innere eines Buddhatem¬
pels in Westtibet, zwei Partien aus einem unterirdischen Tempel in Ellora,
Säulen des unterirdischen Tempels in Adjcmta mit Überresten alter Malereien
und ein Kaisergrabmal in Delhi sind köstliche Perlen, von denen jede die Dar¬
stellung der Greuclszeneu aus dem russisch-türkischen Kriege aufwiegt, welche
Wereschagiu selbst in unbegreiflicher Verblendung für seine eingebildete zivilisa-
tvrische Mission als die Krone seiner Schöpfungen angesehen wissen will.

Auch ein indisches Architekturstück von kolossale« Dimensionen ist von großem
koloristischen Reize. Es ist der Vorhof der Privatmoschee des Großmoguls in
Delhi, ein prachtvolles Bauwerk von weißem Marmor, über welchem sich als
Dach der blaue Himmel spannt, so daß das intensive Licht der indischen Sonne
sich in breiten Fluten auf den Stein ergießt. Man denke sich die riesigen weißen
Flächen, nur unterbrochen durch ein paar knieende Beter, deren rote, gelbe und
grüne Gewänder wie farbige Edelsteine ans der leuchtenden Umgebung hcraus-
strahlen. Wen» man derartige koloristische Feinheiten schildern will, merkt man
doch, daß die Sprache zu arm ist, um solche rein sinnliche Eindrücke durch das
umschreibende Wort zu fixiren.

Diese Zeit der indischen Studien ist sozusagen die friedlichste Periode in
der Thätigkeit unsres Künstlers. Nur einmal hat er der Verlockung nicht wider¬
stehen können, eine Szene des Schreckens festzuhalten. Das Bild heißt kurz
und bündig „Der Menschenfresser." In einer sandigen Ebne, aus welcher nur
eine einsame Palme, von niedrigem Gebüsch umgeben, zu dem weißlich blauen
Himmel emporragt, hat ein Tiger einen Menschen überfallen und schickt sich an,
sein blutiges Mahl zu halten. Dieser Unglücksfall ist noch mit leidlichem Zart¬
gefühl dargestellt. Der Leichnam hat noch wenig gelitten und überdies ist die
Malerei so virtuos, daß man genug daran zu thu» hat, die Feinheit zu be¬
wundern, mit welcher der Maler das Zittern und Flimmern der heißen Luft
unter dem Reflex der vom Sande zurückgeworfenen Sonnenstrahlen wicderzn-


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[0408] Wasili Wereschcigin. Diskussion, daß sich in diesen kleinen Gemälden die Virtuosität Wereschagins auf der höchsten Stufe ihrer Entwickelung zeigt. Einige der Landschaften, wie ein See in Kaschmir vor Sonnenaufgang, ein See bei Delhi nach Sonnen¬ untergang, Marmorquai am See in Nadschnugur sind so stimmungsvoll, so unbeschreiblich zart und fein im Kolorit, so voll poetischer Schönheit, daß man ausnahmsweise denken möchte: Hier hat der Maler wirklich und tief empfunden, nicht bloß das Gesehene mit faustfertiger Routine hingeschrieben! Die Architek- tnrstücke in gleichem Maßstabe sind wahre Meisterwerke der Kleinmalerei. Mit ungeheuerer Geduld hat der Maler die seltsam gewundenen und verschnörkelte» Ornamente der indischen Bankunst, welche die gewaltigsten Monumente mit einem Netze zierlichster Filigranarbeit überziehen, kopirt und ihre plastische Wir¬ kung dadurch nachzubilden versucht, daß er die Farbe stark pastos aufgetragen und darin das phantastische Gewirr der Ornamente gleichsam eingegraben hat. Das Innere des Hauses von Barbnl in Agra, das Innere eines Buddhatem¬ pels in Westtibet, zwei Partien aus einem unterirdischen Tempel in Ellora, Säulen des unterirdischen Tempels in Adjcmta mit Überresten alter Malereien und ein Kaisergrabmal in Delhi sind köstliche Perlen, von denen jede die Dar¬ stellung der Greuclszeneu aus dem russisch-türkischen Kriege aufwiegt, welche Wereschagiu selbst in unbegreiflicher Verblendung für seine eingebildete zivilisa- tvrische Mission als die Krone seiner Schöpfungen angesehen wissen will. Auch ein indisches Architekturstück von kolossale« Dimensionen ist von großem koloristischen Reize. Es ist der Vorhof der Privatmoschee des Großmoguls in Delhi, ein prachtvolles Bauwerk von weißem Marmor, über welchem sich als Dach der blaue Himmel spannt, so daß das intensive Licht der indischen Sonne sich in breiten Fluten auf den Stein ergießt. Man denke sich die riesigen weißen Flächen, nur unterbrochen durch ein paar knieende Beter, deren rote, gelbe und grüne Gewänder wie farbige Edelsteine ans der leuchtenden Umgebung hcraus- strahlen. Wen» man derartige koloristische Feinheiten schildern will, merkt man doch, daß die Sprache zu arm ist, um solche rein sinnliche Eindrücke durch das umschreibende Wort zu fixiren. Diese Zeit der indischen Studien ist sozusagen die friedlichste Periode in der Thätigkeit unsres Künstlers. Nur einmal hat er der Verlockung nicht wider¬ stehen können, eine Szene des Schreckens festzuhalten. Das Bild heißt kurz und bündig „Der Menschenfresser." In einer sandigen Ebne, aus welcher nur eine einsame Palme, von niedrigem Gebüsch umgeben, zu dem weißlich blauen Himmel emporragt, hat ein Tiger einen Menschen überfallen und schickt sich an, sein blutiges Mahl zu halten. Dieser Unglücksfall ist noch mit leidlichem Zart¬ gefühl dargestellt. Der Leichnam hat noch wenig gelitten und überdies ist die Malerei so virtuos, daß man genug daran zu thu» hat, die Feinheit zu be¬ wundern, mit welcher der Maler das Zittern und Flimmern der heißen Luft unter dem Reflex der vom Sande zurückgeworfenen Sonnenstrahlen wicderzn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/408>, abgerufen am 29.06.2024.