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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Studien anfertigen müssen; aber im großen und ganzen war er genötigt, sich
auf die Kraft seines vortrefflichen Gedächtnisses zu verlassen, da jene Skizzen
unter den obwaltenden Verhältnissen nur sehr flüchtig, oft des Abends am Lager¬
feuer, angefertigt werden konnten.

Im Jahre 1874 machte er sich auf den Weg nach Indien. Er ging durch
Kaschmir und Tibet über den Himalaya und erhielt dann die Erlaubnis, sich
dem Gefolge des Prinzen von Wales anzuschließen, welcher damals das indische
Kaiserreich und die Vasallenstaaten bereiste. Der auf dieser Neise entfaltete Pomp
interessirte ihn aber weniger als die phantastische Architektur und die bunte Be¬
völkerung der vvrdenndischen Halbinsel. Von den 43 Bildern, welche als Frucht
dieser Reise in der Ausstellung vorhanden sind, bezieht sich nur eines, allerdings
ein solches von gewaltigen Dimensionen, ans den Triumphzug des englischen
Thronfolgers. Es ist keine der glücklichsten Schöpfungen Wereschagins. Durch
die absurde Wahl der Szene hat sich der Künstler selbst den Effekt verdorben.
Er stellte nämlich den Einzug des Prinzen in Jeypvre dar, dessen Maharajah
vor Freuden über die ihm erwiesene Ehre die ganze Stadt rosenrot anstreichen
ließ. Nun sieht man den imposanten, mit der ganzen phantastischen Pracht der
indischen Märcheufürsteu iuszenirten Zug, in welchem sogar vier lebensgroße
Elephanten mit den hohen Gästen im Pavillon Paradiren, um einer rosenfarbenen
Architektur von luftig emporstrebenden Palästen vorüberziehen. Dieses unglück¬
lichen Hintergrundes vermochte nicht einmal ein Kolorist wie Wereschagin Herr
zu werden. Das Ganze sieht deshalb wie ein roh gemalter Bilderbogen von
riesigem Umfange aus. Desto verdienstvoller sind die übrigen Gemälde, welche
er in den Jahren 1876 bis 1877 in Maisvns-Lafitte bei Paris ausführte, wo
er sich ein Atelier für seine Zwecke hatte erbauen lassen. Neben einem Winter¬
atelier auch eines für den Sommer, das sich auf einem Schienengeleise fort¬
bewegen läßt!

Diese indischen Bilder, welche den Höhepunkt seines künstlerischen Schaf¬
fens bezeichnen, verraten, namentlich in den figürlichen Teilen, am deutlichsten
den Einfluß Gurvmes. Da sind bronzefarbene Köpfe, die sich von lichtgelbem
oder hellgrünem Hintergrunde abheben, so glatt und sauber herauspolirt, als
wären sie wirklich aus Bronze gegossen, und doch so haarscharf und lebendig
charcckterisirt, daß die Haut unter dem darunter pulsirenden Leben zu zittern
scheint. Fakirs, Priester der Feueranbeter, Männer und Frauen aus Kaschmir
und Tibet, Lamas, Jndier aus den niederen Vvlksklnssen bilden eine interessante
Kollektion der merkwürdigsten Thpen, welche Wereschagin aus dem Völkcrwirrsal
des nördlichen Indiens und der anstoßenden Grenzländer mit geschickter Hand
herausgegriffen hat. In der Charakteristik solcher Figuren trifft Wereschagin
am nächsten mit unserem Wilhelm Gentz und dem italienischen Orientmaler
Pasini zusammen, dessen entzückende Feinheit des Kolorits er auch auf seinen
kleinen Landschaften und Archteltnrstücken erreicht. Es steht außerhalb jeder


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Studien anfertigen müssen; aber im großen und ganzen war er genötigt, sich
auf die Kraft seines vortrefflichen Gedächtnisses zu verlassen, da jene Skizzen
unter den obwaltenden Verhältnissen nur sehr flüchtig, oft des Abends am Lager¬
feuer, angefertigt werden konnten.

Im Jahre 1874 machte er sich auf den Weg nach Indien. Er ging durch
Kaschmir und Tibet über den Himalaya und erhielt dann die Erlaubnis, sich
dem Gefolge des Prinzen von Wales anzuschließen, welcher damals das indische
Kaiserreich und die Vasallenstaaten bereiste. Der auf dieser Neise entfaltete Pomp
interessirte ihn aber weniger als die phantastische Architektur und die bunte Be¬
völkerung der vvrdenndischen Halbinsel. Von den 43 Bildern, welche als Frucht
dieser Reise in der Ausstellung vorhanden sind, bezieht sich nur eines, allerdings
ein solches von gewaltigen Dimensionen, ans den Triumphzug des englischen
Thronfolgers. Es ist keine der glücklichsten Schöpfungen Wereschagins. Durch
die absurde Wahl der Szene hat sich der Künstler selbst den Effekt verdorben.
Er stellte nämlich den Einzug des Prinzen in Jeypvre dar, dessen Maharajah
vor Freuden über die ihm erwiesene Ehre die ganze Stadt rosenrot anstreichen
ließ. Nun sieht man den imposanten, mit der ganzen phantastischen Pracht der
indischen Märcheufürsteu iuszenirten Zug, in welchem sogar vier lebensgroße
Elephanten mit den hohen Gästen im Pavillon Paradiren, um einer rosenfarbenen
Architektur von luftig emporstrebenden Palästen vorüberziehen. Dieses unglück¬
lichen Hintergrundes vermochte nicht einmal ein Kolorist wie Wereschagin Herr
zu werden. Das Ganze sieht deshalb wie ein roh gemalter Bilderbogen von
riesigem Umfange aus. Desto verdienstvoller sind die übrigen Gemälde, welche
er in den Jahren 1876 bis 1877 in Maisvns-Lafitte bei Paris ausführte, wo
er sich ein Atelier für seine Zwecke hatte erbauen lassen. Neben einem Winter¬
atelier auch eines für den Sommer, das sich auf einem Schienengeleise fort¬
bewegen läßt!

Diese indischen Bilder, welche den Höhepunkt seines künstlerischen Schaf¬
fens bezeichnen, verraten, namentlich in den figürlichen Teilen, am deutlichsten
den Einfluß Gurvmes. Da sind bronzefarbene Köpfe, die sich von lichtgelbem
oder hellgrünem Hintergrunde abheben, so glatt und sauber herauspolirt, als
wären sie wirklich aus Bronze gegossen, und doch so haarscharf und lebendig
charcckterisirt, daß die Haut unter dem darunter pulsirenden Leben zu zittern
scheint. Fakirs, Priester der Feueranbeter, Männer und Frauen aus Kaschmir
und Tibet, Lamas, Jndier aus den niederen Vvlksklnssen bilden eine interessante
Kollektion der merkwürdigsten Thpen, welche Wereschagin aus dem Völkcrwirrsal
des nördlichen Indiens und der anstoßenden Grenzländer mit geschickter Hand
herausgegriffen hat. In der Charakteristik solcher Figuren trifft Wereschagin
am nächsten mit unserem Wilhelm Gentz und dem italienischen Orientmaler
Pasini zusammen, dessen entzückende Feinheit des Kolorits er auch auf seinen
kleinen Landschaften und Archteltnrstücken erreicht. Es steht außerhalb jeder


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[0407] MasWweroschagm. Studien anfertigen müssen; aber im großen und ganzen war er genötigt, sich auf die Kraft seines vortrefflichen Gedächtnisses zu verlassen, da jene Skizzen unter den obwaltenden Verhältnissen nur sehr flüchtig, oft des Abends am Lager¬ feuer, angefertigt werden konnten. Im Jahre 1874 machte er sich auf den Weg nach Indien. Er ging durch Kaschmir und Tibet über den Himalaya und erhielt dann die Erlaubnis, sich dem Gefolge des Prinzen von Wales anzuschließen, welcher damals das indische Kaiserreich und die Vasallenstaaten bereiste. Der auf dieser Neise entfaltete Pomp interessirte ihn aber weniger als die phantastische Architektur und die bunte Be¬ völkerung der vvrdenndischen Halbinsel. Von den 43 Bildern, welche als Frucht dieser Reise in der Ausstellung vorhanden sind, bezieht sich nur eines, allerdings ein solches von gewaltigen Dimensionen, ans den Triumphzug des englischen Thronfolgers. Es ist keine der glücklichsten Schöpfungen Wereschagins. Durch die absurde Wahl der Szene hat sich der Künstler selbst den Effekt verdorben. Er stellte nämlich den Einzug des Prinzen in Jeypvre dar, dessen Maharajah vor Freuden über die ihm erwiesene Ehre die ganze Stadt rosenrot anstreichen ließ. Nun sieht man den imposanten, mit der ganzen phantastischen Pracht der indischen Märcheufürsteu iuszenirten Zug, in welchem sogar vier lebensgroße Elephanten mit den hohen Gästen im Pavillon Paradiren, um einer rosenfarbenen Architektur von luftig emporstrebenden Palästen vorüberziehen. Dieses unglück¬ lichen Hintergrundes vermochte nicht einmal ein Kolorist wie Wereschagin Herr zu werden. Das Ganze sieht deshalb wie ein roh gemalter Bilderbogen von riesigem Umfange aus. Desto verdienstvoller sind die übrigen Gemälde, welche er in den Jahren 1876 bis 1877 in Maisvns-Lafitte bei Paris ausführte, wo er sich ein Atelier für seine Zwecke hatte erbauen lassen. Neben einem Winter¬ atelier auch eines für den Sommer, das sich auf einem Schienengeleise fort¬ bewegen läßt! Diese indischen Bilder, welche den Höhepunkt seines künstlerischen Schaf¬ fens bezeichnen, verraten, namentlich in den figürlichen Teilen, am deutlichsten den Einfluß Gurvmes. Da sind bronzefarbene Köpfe, die sich von lichtgelbem oder hellgrünem Hintergrunde abheben, so glatt und sauber herauspolirt, als wären sie wirklich aus Bronze gegossen, und doch so haarscharf und lebendig charcckterisirt, daß die Haut unter dem darunter pulsirenden Leben zu zittern scheint. Fakirs, Priester der Feueranbeter, Männer und Frauen aus Kaschmir und Tibet, Lamas, Jndier aus den niederen Vvlksklnssen bilden eine interessante Kollektion der merkwürdigsten Thpen, welche Wereschagin aus dem Völkcrwirrsal des nördlichen Indiens und der anstoßenden Grenzländer mit geschickter Hand herausgegriffen hat. In der Charakteristik solcher Figuren trifft Wereschagin am nächsten mit unserem Wilhelm Gentz und dem italienischen Orientmaler Pasini zusammen, dessen entzückende Feinheit des Kolorits er auch auf seinen kleinen Landschaften und Archteltnrstücken erreicht. Es steht außerhalb jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/407>, abgerufen am 29.06.2024.