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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Wcisili Wereschagin.

breitet ein fesselndes Licht- und Schattenspiel! Sogar den Schmutz -- und
davon haben ihm Kirgisen, Kalmüken und Afghanen gewiß ein massenhaftes Ma¬
terial geboten -- weiß Wereschagin malerisch auszubeuten.

Aber das Seltsame, Abenteuerliche, Geheimnisvolle und Schauerliche be¬
schäftigt doch in erster Linie seine Phantasie/ Er malt die Ruinen von Tschu-
gutschak, einer zerstörten Festung an der chinesischen Grenze. Bloß, weil sie
malerisch interessant waren? Nein. Der Katalog sagt uns in der Erläuterung
den wahren Grund. "Die ganze Umgebung dieser eroberten Festung, Dörfer,
Felder und Höfe, ist mit den Knochen und Schädeln der kalmükischen und chine¬
sischen Einwohner erfüllt, welche hier im muselmännische" Aufstände nieder¬
gemetzelt wurden. Nicht weniger als zwanzig Millionen Menschen (?), Männer,
Frauen und Kinder, wurden längs der westlichen Grenze Chinas ermordet,
der Nest der Bewohner wanderte über die russische Grenze." Neben solchen
Greuelthaten, an deren Wahrheit man kaum glnubeu kauu, übt die "Schädel-
phramidc," welche Wereschagin gemalt hat, kaum noch eine Wirkung aus. Er
erzählt, daß uicht uur Tamerlau, sondern auch eine Anzahl minder bekannter
kaschgarischer Despoten aus den Schädeln erschlagener Feinde derartige Denk¬
mäler ihrer Kriegsthaten errichtet hätten und daß der Kopf des deutscheu Reisenden
Adolf von Schlagintweit, der 1857 in Kaschgar ermordet wurde, in eine solche
Schädelphramidc hineingeraten wäre.'") Ein mäßiges Grauen erregt, als ein
minderer Grad des Schreckens, das unterirdische Gefängnis in Samarkand, in
welches von oben ein fahler Lichtstreifen hineinfällt. Er beleuchtet eine Gruppe
schrecklich zerlumpter Gestalten, die um einen Gefährten herumstehen, welcher,
wie es scheint, eben seinen letzten Athemzug gethan hat. Der Chor der
singenden Derwische, die bettelnd in den Straßen umherziehen, ist wieder ein
interessantes Beispiel für Wereschagius große Kraft und Mannigfaltigkeit in der
Charakteristik. Direkt auf den russischen Krieg beziehen sich zwei Bilder, die
für die ganze künstlerische Eigenart Wereschagius, der nur nach ungewöhnlichen,
von der Kunst noch niemals zuvor behandelten Stoffen hascht, im höchsten
Grade bezeichnend sind.' Das eine zeigt ein Häuflein Kosaken, die angeblich von
zwölftausend Asiaten umzingelt worden waren, sich aber zwei Tage lang zu ver¬
teidigen wußten und jeden Parlamentär energisch zurückwiesen, bis es ihnen
schließlich gelang, sich zu retten. Auf dem zweiten Bilde sieht man einen
russischen Soldaten mit krampfhaft auf die Brust gepreßten Händen in dem
Augenblicke zusammcnstiirzcn, wo ihn die tätliche Kugel getroffen hat.

Diese Gemälde nahmen den Künstler etwa vier Jahre in Anspruch. Wohl
hatte er während seines Zuges durch Turkestan eine Reihe von Skizzen und



Wenn Wereschagin behauptet, kein "Tcndcnzmaler" im gewöhnlichsten Sinne des Wortes
zu sein, so straft ihn der Zusatz, den er im Kataloge zu diesem Bilde gemacht hat, allein
schou Lügen. Er lautet: "Gewidmet allen Siegern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."
Wcisili Wereschagin.

breitet ein fesselndes Licht- und Schattenspiel! Sogar den Schmutz — und
davon haben ihm Kirgisen, Kalmüken und Afghanen gewiß ein massenhaftes Ma¬
terial geboten — weiß Wereschagin malerisch auszubeuten.

Aber das Seltsame, Abenteuerliche, Geheimnisvolle und Schauerliche be¬
schäftigt doch in erster Linie seine Phantasie/ Er malt die Ruinen von Tschu-
gutschak, einer zerstörten Festung an der chinesischen Grenze. Bloß, weil sie
malerisch interessant waren? Nein. Der Katalog sagt uns in der Erläuterung
den wahren Grund. „Die ganze Umgebung dieser eroberten Festung, Dörfer,
Felder und Höfe, ist mit den Knochen und Schädeln der kalmükischen und chine¬
sischen Einwohner erfüllt, welche hier im muselmännische» Aufstände nieder¬
gemetzelt wurden. Nicht weniger als zwanzig Millionen Menschen (?), Männer,
Frauen und Kinder, wurden längs der westlichen Grenze Chinas ermordet,
der Nest der Bewohner wanderte über die russische Grenze." Neben solchen
Greuelthaten, an deren Wahrheit man kaum glnubeu kauu, übt die „Schädel-
phramidc," welche Wereschagin gemalt hat, kaum noch eine Wirkung aus. Er
erzählt, daß uicht uur Tamerlau, sondern auch eine Anzahl minder bekannter
kaschgarischer Despoten aus den Schädeln erschlagener Feinde derartige Denk¬
mäler ihrer Kriegsthaten errichtet hätten und daß der Kopf des deutscheu Reisenden
Adolf von Schlagintweit, der 1857 in Kaschgar ermordet wurde, in eine solche
Schädelphramidc hineingeraten wäre.'") Ein mäßiges Grauen erregt, als ein
minderer Grad des Schreckens, das unterirdische Gefängnis in Samarkand, in
welches von oben ein fahler Lichtstreifen hineinfällt. Er beleuchtet eine Gruppe
schrecklich zerlumpter Gestalten, die um einen Gefährten herumstehen, welcher,
wie es scheint, eben seinen letzten Athemzug gethan hat. Der Chor der
singenden Derwische, die bettelnd in den Straßen umherziehen, ist wieder ein
interessantes Beispiel für Wereschagius große Kraft und Mannigfaltigkeit in der
Charakteristik. Direkt auf den russischen Krieg beziehen sich zwei Bilder, die
für die ganze künstlerische Eigenart Wereschagius, der nur nach ungewöhnlichen,
von der Kunst noch niemals zuvor behandelten Stoffen hascht, im höchsten
Grade bezeichnend sind.' Das eine zeigt ein Häuflein Kosaken, die angeblich von
zwölftausend Asiaten umzingelt worden waren, sich aber zwei Tage lang zu ver¬
teidigen wußten und jeden Parlamentär energisch zurückwiesen, bis es ihnen
schließlich gelang, sich zu retten. Auf dem zweiten Bilde sieht man einen
russischen Soldaten mit krampfhaft auf die Brust gepreßten Händen in dem
Augenblicke zusammcnstiirzcn, wo ihn die tätliche Kugel getroffen hat.

Diese Gemälde nahmen den Künstler etwa vier Jahre in Anspruch. Wohl
hatte er während seines Zuges durch Turkestan eine Reihe von Skizzen und



Wenn Wereschagin behauptet, kein „Tcndcnzmaler" im gewöhnlichsten Sinne des Wortes
zu sein, so straft ihn der Zusatz, den er im Kataloge zu diesem Bilde gemacht hat, allein
schou Lügen. Er lautet: „Gewidmet allen Siegern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."
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[0406] Wcisili Wereschagin. breitet ein fesselndes Licht- und Schattenspiel! Sogar den Schmutz — und davon haben ihm Kirgisen, Kalmüken und Afghanen gewiß ein massenhaftes Ma¬ terial geboten — weiß Wereschagin malerisch auszubeuten. Aber das Seltsame, Abenteuerliche, Geheimnisvolle und Schauerliche be¬ schäftigt doch in erster Linie seine Phantasie/ Er malt die Ruinen von Tschu- gutschak, einer zerstörten Festung an der chinesischen Grenze. Bloß, weil sie malerisch interessant waren? Nein. Der Katalog sagt uns in der Erläuterung den wahren Grund. „Die ganze Umgebung dieser eroberten Festung, Dörfer, Felder und Höfe, ist mit den Knochen und Schädeln der kalmükischen und chine¬ sischen Einwohner erfüllt, welche hier im muselmännische» Aufstände nieder¬ gemetzelt wurden. Nicht weniger als zwanzig Millionen Menschen (?), Männer, Frauen und Kinder, wurden längs der westlichen Grenze Chinas ermordet, der Nest der Bewohner wanderte über die russische Grenze." Neben solchen Greuelthaten, an deren Wahrheit man kaum glnubeu kauu, übt die „Schädel- phramidc," welche Wereschagin gemalt hat, kaum noch eine Wirkung aus. Er erzählt, daß uicht uur Tamerlau, sondern auch eine Anzahl minder bekannter kaschgarischer Despoten aus den Schädeln erschlagener Feinde derartige Denk¬ mäler ihrer Kriegsthaten errichtet hätten und daß der Kopf des deutscheu Reisenden Adolf von Schlagintweit, der 1857 in Kaschgar ermordet wurde, in eine solche Schädelphramidc hineingeraten wäre.'") Ein mäßiges Grauen erregt, als ein minderer Grad des Schreckens, das unterirdische Gefängnis in Samarkand, in welches von oben ein fahler Lichtstreifen hineinfällt. Er beleuchtet eine Gruppe schrecklich zerlumpter Gestalten, die um einen Gefährten herumstehen, welcher, wie es scheint, eben seinen letzten Athemzug gethan hat. Der Chor der singenden Derwische, die bettelnd in den Straßen umherziehen, ist wieder ein interessantes Beispiel für Wereschagius große Kraft und Mannigfaltigkeit in der Charakteristik. Direkt auf den russischen Krieg beziehen sich zwei Bilder, die für die ganze künstlerische Eigenart Wereschagius, der nur nach ungewöhnlichen, von der Kunst noch niemals zuvor behandelten Stoffen hascht, im höchsten Grade bezeichnend sind.' Das eine zeigt ein Häuflein Kosaken, die angeblich von zwölftausend Asiaten umzingelt worden waren, sich aber zwei Tage lang zu ver¬ teidigen wußten und jeden Parlamentär energisch zurückwiesen, bis es ihnen schließlich gelang, sich zu retten. Auf dem zweiten Bilde sieht man einen russischen Soldaten mit krampfhaft auf die Brust gepreßten Händen in dem Augenblicke zusammcnstiirzcn, wo ihn die tätliche Kugel getroffen hat. Diese Gemälde nahmen den Künstler etwa vier Jahre in Anspruch. Wohl hatte er während seines Zuges durch Turkestan eine Reihe von Skizzen und Wenn Wereschagin behauptet, kein „Tcndcnzmaler" im gewöhnlichsten Sinne des Wortes zu sein, so straft ihn der Zusatz, den er im Kataloge zu diesem Bilde gemacht hat, allein schou Lügen. Er lautet: „Gewidmet allen Siegern der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/406>, abgerufen am 29.06.2024.