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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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wasili wereschagiu.

gehalten als die späteren indischen Bilder, die ganz im hellsten Lichte nach
französischer Manier gemalt sind.

Die Berliner Ausstellung enthält aus dieser erste" Periode von Wereschagins
Thätigkeit, abgesehen von den mit köstlicher Feinheit durchgeführten Bleistift-
zeichnnngen, fttnfunddreißig Gemälde, zum Teil von beträchtlichem Umfange, die
in zwei Klassen zerfallen. Die eine enthält Szenen ans dem Feldzuge, die
zweite, bedeutendere, Genrebilder aus dem Volksleben und Architekturstücke. So
zeigt er uns das Äußere und das Jnnere der Moschee über dem Grabe TcunerlanS
in Samarkand. Das Innere ist durch eine fesselnde Staffage belebt: der Emir
dankt Gott für den errungenen Sieg. Ein Bild in der Nähe weist dann so¬
gleich die Kehrseite auf, die Siegesfeier des Emirs, der die Köpfe der getöteten
Feinde anf Stangen vor sich bringen läßt. Eine Gruppe von Bildern ist nnr
Nacestndien gewidmet. Wir sehen da einen kirgisischen Jäger, der sich eines
Geiers statt des Falken zur Beize bedient, Kalmüken, Sarthen, usbekische Reiter,
Jndier aus Samarkand, afghanische Krieger, chinesische Kavallerie, Bettler und
Derwische, welche mit genauer Beobachtung aller ethnischen Eigentümlichkeit in
einer energischen Schärfe charakterisirt sind, die uns hcinfig an Menzel erinnert.
Während dieser aber solchen Studien immer das Gepräge seiner starken Indi¬
vidualität aufdrückt, verfährt Wereschagiu, wenn man so sagen darf, in epischer
Weise, d. h. seine Persönlichkeit tritt vollkommen hinter der dargestellten zurück,
und nur die objektive Wahrheit kommt zum Ausdruck, nicht das subjektive Em¬
pfinden. Das ist ein Hauptzug in der künstlerischen Physiognomie Wereschagins.
Die Wahrheit geht ihm über alles. Ihr opfert er unbedenklich alle ästhetische!,
Rücksichten. Trägt eine Landschaft, eine Architektur, eine Figur nicht von vorn¬
herein schon ein Stückchen Poesie in sich, der Maler trägt sie nicht hinein.
Hat sie es aber, so kommt das poetische Element unter dem mit diplomatischer
Treue arbeitenden Pinsel Wereschagins auch zu so ungeschmälerten Ausdruck,
daß man nach einem derartigen Anblick geneigt wäre, dem Künstler einen nicht
unbedeutenden Teil poetischer Schöpferkraft beizumessen, wenn man nicht durch
die Gesammtheit seiner Werke eines andern belehrt würde.

Zwei große Architekturstücke, die Thür einer großen Moschee und das Thor des
Tamerlanpalastes in Samarkand, legen Zeugnis für die Meisterschaft ab, mit
welcher Wereschagiu große Flächen zu beleben weiß. Beide Bauwerke sind in
naturgroße, also auf einem Stück Leinwand von beträchtlichen Dimensionen,
dargestellt. Beide werden von je zwei turkestanischen Kriegern bewacht, deren
barocke und doch malerische Tracht mit der seltsamen, anscheinend ans persischen
und indischen Elementen gemischten Ornamentik harmonirt. Einer der Krieger
hat sich hingekauert, um Jagd nach unliebsamen Gästen zu machen, welche seine
Ruhe stören. Da ist auf der ganzen Leinwand auch uicht ein Quadratzoll, der
malerisch uninteressant wäre. Abgefallener Mörtel, zerstörte Steinplatten, die
Abdrücke unsauberer Hände, der Schmutz der Jahrhunderte, und darüber ver-


wasili wereschagiu.

gehalten als die späteren indischen Bilder, die ganz im hellsten Lichte nach
französischer Manier gemalt sind.

Die Berliner Ausstellung enthält aus dieser erste» Periode von Wereschagins
Thätigkeit, abgesehen von den mit köstlicher Feinheit durchgeführten Bleistift-
zeichnnngen, fttnfunddreißig Gemälde, zum Teil von beträchtlichem Umfange, die
in zwei Klassen zerfallen. Die eine enthält Szenen ans dem Feldzuge, die
zweite, bedeutendere, Genrebilder aus dem Volksleben und Architekturstücke. So
zeigt er uns das Äußere und das Jnnere der Moschee über dem Grabe TcunerlanS
in Samarkand. Das Innere ist durch eine fesselnde Staffage belebt: der Emir
dankt Gott für den errungenen Sieg. Ein Bild in der Nähe weist dann so¬
gleich die Kehrseite auf, die Siegesfeier des Emirs, der die Köpfe der getöteten
Feinde anf Stangen vor sich bringen läßt. Eine Gruppe von Bildern ist nnr
Nacestndien gewidmet. Wir sehen da einen kirgisischen Jäger, der sich eines
Geiers statt des Falken zur Beize bedient, Kalmüken, Sarthen, usbekische Reiter,
Jndier aus Samarkand, afghanische Krieger, chinesische Kavallerie, Bettler und
Derwische, welche mit genauer Beobachtung aller ethnischen Eigentümlichkeit in
einer energischen Schärfe charakterisirt sind, die uns hcinfig an Menzel erinnert.
Während dieser aber solchen Studien immer das Gepräge seiner starken Indi¬
vidualität aufdrückt, verfährt Wereschagiu, wenn man so sagen darf, in epischer
Weise, d. h. seine Persönlichkeit tritt vollkommen hinter der dargestellten zurück,
und nur die objektive Wahrheit kommt zum Ausdruck, nicht das subjektive Em¬
pfinden. Das ist ein Hauptzug in der künstlerischen Physiognomie Wereschagins.
Die Wahrheit geht ihm über alles. Ihr opfert er unbedenklich alle ästhetische!,
Rücksichten. Trägt eine Landschaft, eine Architektur, eine Figur nicht von vorn¬
herein schon ein Stückchen Poesie in sich, der Maler trägt sie nicht hinein.
Hat sie es aber, so kommt das poetische Element unter dem mit diplomatischer
Treue arbeitenden Pinsel Wereschagins auch zu so ungeschmälerten Ausdruck,
daß man nach einem derartigen Anblick geneigt wäre, dem Künstler einen nicht
unbedeutenden Teil poetischer Schöpferkraft beizumessen, wenn man nicht durch
die Gesammtheit seiner Werke eines andern belehrt würde.

Zwei große Architekturstücke, die Thür einer großen Moschee und das Thor des
Tamerlanpalastes in Samarkand, legen Zeugnis für die Meisterschaft ab, mit
welcher Wereschagiu große Flächen zu beleben weiß. Beide Bauwerke sind in
naturgroße, also auf einem Stück Leinwand von beträchtlichen Dimensionen,
dargestellt. Beide werden von je zwei turkestanischen Kriegern bewacht, deren
barocke und doch malerische Tracht mit der seltsamen, anscheinend ans persischen
und indischen Elementen gemischten Ornamentik harmonirt. Einer der Krieger
hat sich hingekauert, um Jagd nach unliebsamen Gästen zu machen, welche seine
Ruhe stören. Da ist auf der ganzen Leinwand auch uicht ein Quadratzoll, der
malerisch uninteressant wäre. Abgefallener Mörtel, zerstörte Steinplatten, die
Abdrücke unsauberer Hände, der Schmutz der Jahrhunderte, und darüber ver-


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[0405] wasili wereschagiu. gehalten als die späteren indischen Bilder, die ganz im hellsten Lichte nach französischer Manier gemalt sind. Die Berliner Ausstellung enthält aus dieser erste» Periode von Wereschagins Thätigkeit, abgesehen von den mit köstlicher Feinheit durchgeführten Bleistift- zeichnnngen, fttnfunddreißig Gemälde, zum Teil von beträchtlichem Umfange, die in zwei Klassen zerfallen. Die eine enthält Szenen ans dem Feldzuge, die zweite, bedeutendere, Genrebilder aus dem Volksleben und Architekturstücke. So zeigt er uns das Äußere und das Jnnere der Moschee über dem Grabe TcunerlanS in Samarkand. Das Innere ist durch eine fesselnde Staffage belebt: der Emir dankt Gott für den errungenen Sieg. Ein Bild in der Nähe weist dann so¬ gleich die Kehrseite auf, die Siegesfeier des Emirs, der die Köpfe der getöteten Feinde anf Stangen vor sich bringen läßt. Eine Gruppe von Bildern ist nnr Nacestndien gewidmet. Wir sehen da einen kirgisischen Jäger, der sich eines Geiers statt des Falken zur Beize bedient, Kalmüken, Sarthen, usbekische Reiter, Jndier aus Samarkand, afghanische Krieger, chinesische Kavallerie, Bettler und Derwische, welche mit genauer Beobachtung aller ethnischen Eigentümlichkeit in einer energischen Schärfe charakterisirt sind, die uns hcinfig an Menzel erinnert. Während dieser aber solchen Studien immer das Gepräge seiner starken Indi¬ vidualität aufdrückt, verfährt Wereschagiu, wenn man so sagen darf, in epischer Weise, d. h. seine Persönlichkeit tritt vollkommen hinter der dargestellten zurück, und nur die objektive Wahrheit kommt zum Ausdruck, nicht das subjektive Em¬ pfinden. Das ist ein Hauptzug in der künstlerischen Physiognomie Wereschagins. Die Wahrheit geht ihm über alles. Ihr opfert er unbedenklich alle ästhetische!, Rücksichten. Trägt eine Landschaft, eine Architektur, eine Figur nicht von vorn¬ herein schon ein Stückchen Poesie in sich, der Maler trägt sie nicht hinein. Hat sie es aber, so kommt das poetische Element unter dem mit diplomatischer Treue arbeitenden Pinsel Wereschagins auch zu so ungeschmälerten Ausdruck, daß man nach einem derartigen Anblick geneigt wäre, dem Künstler einen nicht unbedeutenden Teil poetischer Schöpferkraft beizumessen, wenn man nicht durch die Gesammtheit seiner Werke eines andern belehrt würde. Zwei große Architekturstücke, die Thür einer großen Moschee und das Thor des Tamerlanpalastes in Samarkand, legen Zeugnis für die Meisterschaft ab, mit welcher Wereschagiu große Flächen zu beleben weiß. Beide Bauwerke sind in naturgroße, also auf einem Stück Leinwand von beträchtlichen Dimensionen, dargestellt. Beide werden von je zwei turkestanischen Kriegern bewacht, deren barocke und doch malerische Tracht mit der seltsamen, anscheinend ans persischen und indischen Elementen gemischten Ornamentik harmonirt. Einer der Krieger hat sich hingekauert, um Jagd nach unliebsamen Gästen zu machen, welche seine Ruhe stören. Da ist auf der ganzen Leinwand auch uicht ein Quadratzoll, der malerisch uninteressant wäre. Abgefallener Mörtel, zerstörte Steinplatten, die Abdrücke unsauberer Hände, der Schmutz der Jahrhunderte, und darüber ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/405>, abgerufen am 29.06.2024.