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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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wnsili lveioschagin.

bereits in der Marineschule in Petersburg bis zum Offizier gebracht, als die
Neigung, sich der Kunst zu widmen, endlich zum Durchbruch kam und er mit
siebzehn Jahren seine Studien auf der Petersburger Akademie begann. Die¬
selben bewegten sich anfangs, dem Lehrgänge folgend, ans dem Boden des
Klassischen. Für eine Komposition "Die Ermordung der Freier der Penelope
durch Odysseus" erhielt er sogar eine Medaille. Lange scheint ihm aber der
akademische Unterricht nicht behagt zu haben; denn er begab sich nach Tiflis,
von wo er Ausflüge in die Umgegend und in deu Kaukasus machte, von welchen
er zahlreiche Studien heimbrachte. Bis hierher war er aber nur Zeichner ge¬
wesen; die Welt der Farben ging ihm erst ans einer großen Reise uach Berlin,
Paris und deu Pyrenäen auf, zu welcher ihm sein Vater im Jahre 1863 die
Mittel gewährt hatte. Im nächsten Jahre kehrte er wieder in den Kaukasus
zurück, ging aber bald abermals nach Paris, dessen vielseitiges, reich bewegtes Kunst¬
leben den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Er beschloß nun, ein regelrechtes
Studium durchzumachen, und trat in die Lvols ass LöMx-^res ein, erhielt auch
Aufnahme in das Atelier Gsrümes, des berühmten Orientmalers. Der letztre
Umstand war für seine künstlerische Entwicklung entscheidend. In der Kunst-
schule mag er nicht viel gelernt haben. Der methodische Unterricht mit dem
ewigen Hinweis auf die Antike mußte einem durch und durch naturalistische"
Talente als eine unerträgliche Fessel erscheinen. Desto tiefer wirkte auf ihn das
Beispiel Gvrümes. Er lebte sich außerordentlich schnell in die koloristische Aus¬
drucksweise seines Meisters hinein und lernte von ihm die plastische Feinheit in
der Mvdellirnng der Köpfe, Körper und Extremitäten -- Gsröme ist bekanntlich
auch ein ausgezeichneter Bildhauer --, die energische Behandlung der Lokal-
farbeu und die feine Abstufung der Töne innerhalb einer Farbenskala. Hier ist
der Punkt, wo Wereschagin einsetzte. Er ist als Techniker durchaus ein Zög¬
ling der französischen Schule. Eine spezifisch russische Kunst, d. h. eine solche,
welche auf heimischen Traditionen sei es der Technik oder der Auffassungsweise
fußte und sich aus ihnen entwickelt hätte, giebt es in unserm Jahrhundert nicht.
Die Russen haben also kein Recht darauf, Wereschcigiu als Künstler zu rekla-
miren. Ob er denen, die es mit ihrem Vaterlande ehrlich meinen, als Mensch,
als Agitator willkommen ist, dürfte nach seinen Bildern aus dem russisch-tür¬
kischen Kriege fraglich sein. Denn diese Bilder sind in ihrer Totalität ein mit
feuriger Beredsamkeit ausgesprochener Protest gegen deu russischen CäsarismuS
und Absolutismus, gegen die Militärherrschaft und, wenn man die Konsequenzen
daraus zieht, wenn man vor jedem Bilde den Gewalthabern zürnst: "Seht!
das ist euer Werk! Aller Jammer, alles Elend, welches aus diesen Bildern
zum Himmel schreit, komme auf euer schuldbeladenes Haupt!", wenn man solche
Konsequenzen zieht, eine furchtbare Waffe in deu Händen der nihilistischen Pro¬
paganda. Was freilich auch sich umkehren kann, wenn die gegenwärtige Re¬
gierung auf sie hinweisen will mit den Worten: "Seht! das sind die Folgen


wnsili lveioschagin.

bereits in der Marineschule in Petersburg bis zum Offizier gebracht, als die
Neigung, sich der Kunst zu widmen, endlich zum Durchbruch kam und er mit
siebzehn Jahren seine Studien auf der Petersburger Akademie begann. Die¬
selben bewegten sich anfangs, dem Lehrgänge folgend, ans dem Boden des
Klassischen. Für eine Komposition „Die Ermordung der Freier der Penelope
durch Odysseus" erhielt er sogar eine Medaille. Lange scheint ihm aber der
akademische Unterricht nicht behagt zu haben; denn er begab sich nach Tiflis,
von wo er Ausflüge in die Umgegend und in deu Kaukasus machte, von welchen
er zahlreiche Studien heimbrachte. Bis hierher war er aber nur Zeichner ge¬
wesen; die Welt der Farben ging ihm erst ans einer großen Reise uach Berlin,
Paris und deu Pyrenäen auf, zu welcher ihm sein Vater im Jahre 1863 die
Mittel gewährt hatte. Im nächsten Jahre kehrte er wieder in den Kaukasus
zurück, ging aber bald abermals nach Paris, dessen vielseitiges, reich bewegtes Kunst¬
leben den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Er beschloß nun, ein regelrechtes
Studium durchzumachen, und trat in die Lvols ass LöMx-^res ein, erhielt auch
Aufnahme in das Atelier Gsrümes, des berühmten Orientmalers. Der letztre
Umstand war für seine künstlerische Entwicklung entscheidend. In der Kunst-
schule mag er nicht viel gelernt haben. Der methodische Unterricht mit dem
ewigen Hinweis auf die Antike mußte einem durch und durch naturalistische»
Talente als eine unerträgliche Fessel erscheinen. Desto tiefer wirkte auf ihn das
Beispiel Gvrümes. Er lebte sich außerordentlich schnell in die koloristische Aus¬
drucksweise seines Meisters hinein und lernte von ihm die plastische Feinheit in
der Mvdellirnng der Köpfe, Körper und Extremitäten — Gsröme ist bekanntlich
auch ein ausgezeichneter Bildhauer —, die energische Behandlung der Lokal-
farbeu und die feine Abstufung der Töne innerhalb einer Farbenskala. Hier ist
der Punkt, wo Wereschagin einsetzte. Er ist als Techniker durchaus ein Zög¬
ling der französischen Schule. Eine spezifisch russische Kunst, d. h. eine solche,
welche auf heimischen Traditionen sei es der Technik oder der Auffassungsweise
fußte und sich aus ihnen entwickelt hätte, giebt es in unserm Jahrhundert nicht.
Die Russen haben also kein Recht darauf, Wereschcigiu als Künstler zu rekla-
miren. Ob er denen, die es mit ihrem Vaterlande ehrlich meinen, als Mensch,
als Agitator willkommen ist, dürfte nach seinen Bildern aus dem russisch-tür¬
kischen Kriege fraglich sein. Denn diese Bilder sind in ihrer Totalität ein mit
feuriger Beredsamkeit ausgesprochener Protest gegen deu russischen CäsarismuS
und Absolutismus, gegen die Militärherrschaft und, wenn man die Konsequenzen
daraus zieht, wenn man vor jedem Bilde den Gewalthabern zürnst: „Seht!
das ist euer Werk! Aller Jammer, alles Elend, welches aus diesen Bildern
zum Himmel schreit, komme auf euer schuldbeladenes Haupt!", wenn man solche
Konsequenzen zieht, eine furchtbare Waffe in deu Händen der nihilistischen Pro¬
paganda. Was freilich auch sich umkehren kann, wenn die gegenwärtige Re¬
gierung auf sie hinweisen will mit den Worten: „Seht! das sind die Folgen


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[0403] wnsili lveioschagin. bereits in der Marineschule in Petersburg bis zum Offizier gebracht, als die Neigung, sich der Kunst zu widmen, endlich zum Durchbruch kam und er mit siebzehn Jahren seine Studien auf der Petersburger Akademie begann. Die¬ selben bewegten sich anfangs, dem Lehrgänge folgend, ans dem Boden des Klassischen. Für eine Komposition „Die Ermordung der Freier der Penelope durch Odysseus" erhielt er sogar eine Medaille. Lange scheint ihm aber der akademische Unterricht nicht behagt zu haben; denn er begab sich nach Tiflis, von wo er Ausflüge in die Umgegend und in deu Kaukasus machte, von welchen er zahlreiche Studien heimbrachte. Bis hierher war er aber nur Zeichner ge¬ wesen; die Welt der Farben ging ihm erst ans einer großen Reise uach Berlin, Paris und deu Pyrenäen auf, zu welcher ihm sein Vater im Jahre 1863 die Mittel gewährt hatte. Im nächsten Jahre kehrte er wieder in den Kaukasus zurück, ging aber bald abermals nach Paris, dessen vielseitiges, reich bewegtes Kunst¬ leben den tiefsten Eindruck auf ihn gemacht hatte. Er beschloß nun, ein regelrechtes Studium durchzumachen, und trat in die Lvols ass LöMx-^res ein, erhielt auch Aufnahme in das Atelier Gsrümes, des berühmten Orientmalers. Der letztre Umstand war für seine künstlerische Entwicklung entscheidend. In der Kunst- schule mag er nicht viel gelernt haben. Der methodische Unterricht mit dem ewigen Hinweis auf die Antike mußte einem durch und durch naturalistische» Talente als eine unerträgliche Fessel erscheinen. Desto tiefer wirkte auf ihn das Beispiel Gvrümes. Er lebte sich außerordentlich schnell in die koloristische Aus¬ drucksweise seines Meisters hinein und lernte von ihm die plastische Feinheit in der Mvdellirnng der Köpfe, Körper und Extremitäten — Gsröme ist bekanntlich auch ein ausgezeichneter Bildhauer —, die energische Behandlung der Lokal- farbeu und die feine Abstufung der Töne innerhalb einer Farbenskala. Hier ist der Punkt, wo Wereschagin einsetzte. Er ist als Techniker durchaus ein Zög¬ ling der französischen Schule. Eine spezifisch russische Kunst, d. h. eine solche, welche auf heimischen Traditionen sei es der Technik oder der Auffassungsweise fußte und sich aus ihnen entwickelt hätte, giebt es in unserm Jahrhundert nicht. Die Russen haben also kein Recht darauf, Wereschcigiu als Künstler zu rekla- miren. Ob er denen, die es mit ihrem Vaterlande ehrlich meinen, als Mensch, als Agitator willkommen ist, dürfte nach seinen Bildern aus dem russisch-tür¬ kischen Kriege fraglich sein. Denn diese Bilder sind in ihrer Totalität ein mit feuriger Beredsamkeit ausgesprochener Protest gegen deu russischen CäsarismuS und Absolutismus, gegen die Militärherrschaft und, wenn man die Konsequenzen daraus zieht, wenn man vor jedem Bilde den Gewalthabern zürnst: „Seht! das ist euer Werk! Aller Jammer, alles Elend, welches aus diesen Bildern zum Himmel schreit, komme auf euer schuldbeladenes Haupt!", wenn man solche Konsequenzen zieht, eine furchtbare Waffe in deu Händen der nihilistischen Pro¬ paganda. Was freilich auch sich umkehren kann, wenn die gegenwärtige Re¬ gierung auf sie hinweisen will mit den Worten: „Seht! das sind die Folgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/403>, abgerufen am 29.06.2024.