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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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ZVasili wereschagin.

funkelt der brutalen Thatsachen wirksam zu unterstützen. Was er uns bietet,
sind nur sklavische Abschriften der Natur, die nur besagen, daß ein Ereignis sich
so und so zugetragen hat, aus denen aber nicht herauszulesen ist, weshalb es
sich anders oder gar nicht hätte zutragen sollen, Wereschagin scheint auch ein¬
gesehen zu haben, daß die Gemälde allein nicht ausreichen, um sein Programm
der Verwirklichung nahe zu bringe". Er, der Realist, suchte nach mystischen
Reizmitteln, um die Phantasie der Besucher seiner Ausstellungen von vornherein
gefangen zu nehmen und sie von nüchterner Prüfung fern zu halte".

In Berlin, wo die Gemälde in zwei großen Sälen des Krollschen Eta¬
blissements aufgestellt worden sind, suchte er diese" Zweck auf folgende Weise
zu erreichen. In dem ersten Saale prangte eine reiche ethnographische Samm¬
lung, welche der Künstler ans seinen weite" Reisen zusammengebracht hat. Man sah
da in Glasschränken und Vitrinen Waffen, Teppiche, Kleider, Schmucksachen,
Geräte, Trinkgefäße aus Schädeln, einen Rosenkranz aus menschliche" Hirn¬
schalen und ähnliche Monstrositäten und Raritäten, und daneben eine Kollektiv"
von fünfundzwanzig Bleistiftzeichnungen, welche in scharfer und prägnanter
Charakteristik die interessantesten Volkstype" Mittelasiens, Kirgisen, Usbeke",
Perser, Kalmüken, Kaschgaren und Chinesen darstellten. Diese Zeichnungen ge¬
hören in ihrer knappen Ausdrucksweise und ihrer subtilen Durchführung zu deu
vollendetsten Schöpfungen des Künstlers.

Im zweiten Saale präsentirten sich die Gemälde, hundert an der Zahl,
unter elektrischer Beleuchtung. Das Tageslicht war vou vornherein dadurch
ausgeschlossen, daß sämmtliche Fenster verhängt worden waren. Die Bilder
hohen sich von roten Draperien ab, und die größeren waren von Arrangements
lebender Gewächse umgeben. Wirkt schon das elektrische Licht und das damit
verbundene eigentümliche Sausen fascinirend auf die suae, so wurde auch noch
das Ohr insbesondre beschäftigt, indem sich an einen: verborgenen Orte el"
Sängerchor aufgestellt hatte, welcher zu den Klängen eines Harmoniums feier¬
liche Weisen, vermutlich russische Friedenshymen, hören ließ. Das alles streift
stark an Charlatanerie, und man wäre gar "icht verwundert gewesen, wenn man
die Rodomontaden eines leeren Prahlers zu sehen bekommen hätte. Man wäre
dann kurzer Hand mit Wereschagin fertig geworden; in Wahrheit aber fordert
er nach Abzug dieser wunderlichen Schrullen eine ernste Beachtung.

Wasili Wereschagin oder eigentlich Wereschtschagin, wenn man die russische
Schreibweise mit deutschen Lettern wiedergeben will, wurde am 26. Oktober 1842
zu Tschercpovcts im Gouvernement Nowgorod gehöre". Seine Großmutter war
eine christliche Tartarin. slavisches und mougolisches Blut haben sich also in
ihm vereinigt, so daß sich ans dieser Mischung einerseits sein lebhaftes, feuriges
Temperament, andrerseits aber auch seine künstlerischen Prinzipien erkläre", die
"icht durch deu ästhetischen Kodex der europäischen Civilisation regulirt werden.
Seine Eltern hatten ihn für die militärische Karriere bestimmt, und er hatte es


ZVasili wereschagin.

funkelt der brutalen Thatsachen wirksam zu unterstützen. Was er uns bietet,
sind nur sklavische Abschriften der Natur, die nur besagen, daß ein Ereignis sich
so und so zugetragen hat, aus denen aber nicht herauszulesen ist, weshalb es
sich anders oder gar nicht hätte zutragen sollen, Wereschagin scheint auch ein¬
gesehen zu haben, daß die Gemälde allein nicht ausreichen, um sein Programm
der Verwirklichung nahe zu bringe». Er, der Realist, suchte nach mystischen
Reizmitteln, um die Phantasie der Besucher seiner Ausstellungen von vornherein
gefangen zu nehmen und sie von nüchterner Prüfung fern zu halte».

In Berlin, wo die Gemälde in zwei großen Sälen des Krollschen Eta¬
blissements aufgestellt worden sind, suchte er diese» Zweck auf folgende Weise
zu erreichen. In dem ersten Saale prangte eine reiche ethnographische Samm¬
lung, welche der Künstler ans seinen weite» Reisen zusammengebracht hat. Man sah
da in Glasschränken und Vitrinen Waffen, Teppiche, Kleider, Schmucksachen,
Geräte, Trinkgefäße aus Schädeln, einen Rosenkranz aus menschliche» Hirn¬
schalen und ähnliche Monstrositäten und Raritäten, und daneben eine Kollektiv»
von fünfundzwanzig Bleistiftzeichnungen, welche in scharfer und prägnanter
Charakteristik die interessantesten Volkstype» Mittelasiens, Kirgisen, Usbeke»,
Perser, Kalmüken, Kaschgaren und Chinesen darstellten. Diese Zeichnungen ge¬
hören in ihrer knappen Ausdrucksweise und ihrer subtilen Durchführung zu deu
vollendetsten Schöpfungen des Künstlers.

Im zweiten Saale präsentirten sich die Gemälde, hundert an der Zahl,
unter elektrischer Beleuchtung. Das Tageslicht war vou vornherein dadurch
ausgeschlossen, daß sämmtliche Fenster verhängt worden waren. Die Bilder
hohen sich von roten Draperien ab, und die größeren waren von Arrangements
lebender Gewächse umgeben. Wirkt schon das elektrische Licht und das damit
verbundene eigentümliche Sausen fascinirend auf die suae, so wurde auch noch
das Ohr insbesondre beschäftigt, indem sich an einen: verborgenen Orte el»
Sängerchor aufgestellt hatte, welcher zu den Klängen eines Harmoniums feier¬
liche Weisen, vermutlich russische Friedenshymen, hören ließ. Das alles streift
stark an Charlatanerie, und man wäre gar »icht verwundert gewesen, wenn man
die Rodomontaden eines leeren Prahlers zu sehen bekommen hätte. Man wäre
dann kurzer Hand mit Wereschagin fertig geworden; in Wahrheit aber fordert
er nach Abzug dieser wunderlichen Schrullen eine ernste Beachtung.

Wasili Wereschagin oder eigentlich Wereschtschagin, wenn man die russische
Schreibweise mit deutschen Lettern wiedergeben will, wurde am 26. Oktober 1842
zu Tschercpovcts im Gouvernement Nowgorod gehöre». Seine Großmutter war
eine christliche Tartarin. slavisches und mougolisches Blut haben sich also in
ihm vereinigt, so daß sich ans dieser Mischung einerseits sein lebhaftes, feuriges
Temperament, andrerseits aber auch seine künstlerischen Prinzipien erkläre», die
»icht durch deu ästhetischen Kodex der europäischen Civilisation regulirt werden.
Seine Eltern hatten ihn für die militärische Karriere bestimmt, und er hatte es


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[0402] ZVasili wereschagin. funkelt der brutalen Thatsachen wirksam zu unterstützen. Was er uns bietet, sind nur sklavische Abschriften der Natur, die nur besagen, daß ein Ereignis sich so und so zugetragen hat, aus denen aber nicht herauszulesen ist, weshalb es sich anders oder gar nicht hätte zutragen sollen, Wereschagin scheint auch ein¬ gesehen zu haben, daß die Gemälde allein nicht ausreichen, um sein Programm der Verwirklichung nahe zu bringe». Er, der Realist, suchte nach mystischen Reizmitteln, um die Phantasie der Besucher seiner Ausstellungen von vornherein gefangen zu nehmen und sie von nüchterner Prüfung fern zu halte». In Berlin, wo die Gemälde in zwei großen Sälen des Krollschen Eta¬ blissements aufgestellt worden sind, suchte er diese» Zweck auf folgende Weise zu erreichen. In dem ersten Saale prangte eine reiche ethnographische Samm¬ lung, welche der Künstler ans seinen weite» Reisen zusammengebracht hat. Man sah da in Glasschränken und Vitrinen Waffen, Teppiche, Kleider, Schmucksachen, Geräte, Trinkgefäße aus Schädeln, einen Rosenkranz aus menschliche» Hirn¬ schalen und ähnliche Monstrositäten und Raritäten, und daneben eine Kollektiv» von fünfundzwanzig Bleistiftzeichnungen, welche in scharfer und prägnanter Charakteristik die interessantesten Volkstype» Mittelasiens, Kirgisen, Usbeke», Perser, Kalmüken, Kaschgaren und Chinesen darstellten. Diese Zeichnungen ge¬ hören in ihrer knappen Ausdrucksweise und ihrer subtilen Durchführung zu deu vollendetsten Schöpfungen des Künstlers. Im zweiten Saale präsentirten sich die Gemälde, hundert an der Zahl, unter elektrischer Beleuchtung. Das Tageslicht war vou vornherein dadurch ausgeschlossen, daß sämmtliche Fenster verhängt worden waren. Die Bilder hohen sich von roten Draperien ab, und die größeren waren von Arrangements lebender Gewächse umgeben. Wirkt schon das elektrische Licht und das damit verbundene eigentümliche Sausen fascinirend auf die suae, so wurde auch noch das Ohr insbesondre beschäftigt, indem sich an einen: verborgenen Orte el» Sängerchor aufgestellt hatte, welcher zu den Klängen eines Harmoniums feier¬ liche Weisen, vermutlich russische Friedenshymen, hören ließ. Das alles streift stark an Charlatanerie, und man wäre gar »icht verwundert gewesen, wenn man die Rodomontaden eines leeren Prahlers zu sehen bekommen hätte. Man wäre dann kurzer Hand mit Wereschagin fertig geworden; in Wahrheit aber fordert er nach Abzug dieser wunderlichen Schrullen eine ernste Beachtung. Wasili Wereschagin oder eigentlich Wereschtschagin, wenn man die russische Schreibweise mit deutschen Lettern wiedergeben will, wurde am 26. Oktober 1842 zu Tschercpovcts im Gouvernement Nowgorod gehöre». Seine Großmutter war eine christliche Tartarin. slavisches und mougolisches Blut haben sich also in ihm vereinigt, so daß sich ans dieser Mischung einerseits sein lebhaftes, feuriges Temperament, andrerseits aber auch seine künstlerischen Prinzipien erkläre», die »icht durch deu ästhetischen Kodex der europäischen Civilisation regulirt werden. Seine Eltern hatten ihn für die militärische Karriere bestimmt, und er hatte es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/402>, abgerufen am 29.06.2024.