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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Wähnt Wereschagin.
Von Adolf Rosenberg.

or zwei Jahren drang der Name des russische" Malers, der Wochen
lang ganz Wien in Aufregung erhalten und nunmehr seine wandernde
Ausstellung nach Berlin übergeführt hat, zum erstenmale von Paris
aus in die Öffentlichkeit. Im Lvrolö ^rei"t.iW<z war eine reiche
Sammlung von Gemälden zu sehen, welche teils Architekturen,
Landschaften und Menschcnstudicn aus Indien, teils Szenen ans dem russisch¬
türkischen Kriege darstellten. Die Gemälde erregten wohl damals allgemeine
Bewunderung und fanden auch bei der Kritik volle Anerkennung; aber ihre Wirkung
war noch keineswegs eine sensationelle. Die Oricntmnlerei einerseits ist in Paris
immer stark in Flor gewesen, und in der Blut- und Leicheumalerei haben die
Franzosen von jeher Erkleckliches geleistet, so daß sie in den Kriegsbildern Were-
schagins nur eine höhere Stufe innerhalb einer Entwicklungsreihe sahen. Anders
in Wien und Berlin, wo man an die realistische Wiedergabe solcher Szenen des
Grauens und Entsetzens noch nicht in gleichem Maße gewöhnt ist. Außerdem
hatte der Maler in den beiden deutschen Städten für eine Jnszeniruug gesorgt,
welche mit großem Raffinement auf naive und leicht empfängliche Gemüter be¬
rechnet ist.

Wereschagin ist nämlich nicht bloß ein Maler, der nur innerhalb seiner
Kunst lebt, dem die Kunst erster und letzter Zweck ist, soudern ein Wanderlehrer,
eine Art Philosoph, welcher auf seinen Reisen die krassesten Beispiele gesammelt
hat, um den Krieg als den abscheulichsten Auswuchs der Zivilisation zu brand¬
marken. Mit Hilfe seiner Bilder will er eine universelle Friedenspropaganda
ins Werk setzen, welche ans die Abschaffung des Krieges und die Einführung
des allgemeinen Weltfriedens abzielt. Wereschagin hat seine Zeit so schlecht als
möglich gewählt. Er tritt in einer Epoche auf, welche so militärisch gesinnt ist
wie etwa diejenigen der Scipivnen oder Cäsars, in einer Periode, welche seit
zwanzig Jahren eine ununterbrochene Reihe der großartigsten, blutigsten und
ereignisreichsten Kriege gesehen hat, in welchen Sieger und Besiegte gleichmäßig
Proben heroischer Tapferkeit und ungebeugten Mutes abgelegt haben. Die all¬
gemeine Stimmung kommt dem Maler also nicht entgegen, die von ihm beliebte
Abschrecknngstheorie kann sogar sehr leicht zu deu entgegengesetzten Resultaten
führen, da durch ein so maßloses Zusammenhäufen von genialten Greuelthaten
die Augen an solchen Anblick gewöhnt, die Sinne abgestumpft und die Nerven
überreizt werden. Zudem fehlt Wereschagin, welcher mir Realist ist, doch die
Größe der Auffassung, das sittliche Pathos, das allein imstande ist, die Bered-


Äronzbowi I. 1882. 50
Wähnt Wereschagin.
Von Adolf Rosenberg.

or zwei Jahren drang der Name des russische» Malers, der Wochen
lang ganz Wien in Aufregung erhalten und nunmehr seine wandernde
Ausstellung nach Berlin übergeführt hat, zum erstenmale von Paris
aus in die Öffentlichkeit. Im Lvrolö ^rei»t.iW<z war eine reiche
Sammlung von Gemälden zu sehen, welche teils Architekturen,
Landschaften und Menschcnstudicn aus Indien, teils Szenen ans dem russisch¬
türkischen Kriege darstellten. Die Gemälde erregten wohl damals allgemeine
Bewunderung und fanden auch bei der Kritik volle Anerkennung; aber ihre Wirkung
war noch keineswegs eine sensationelle. Die Oricntmnlerei einerseits ist in Paris
immer stark in Flor gewesen, und in der Blut- und Leicheumalerei haben die
Franzosen von jeher Erkleckliches geleistet, so daß sie in den Kriegsbildern Were-
schagins nur eine höhere Stufe innerhalb einer Entwicklungsreihe sahen. Anders
in Wien und Berlin, wo man an die realistische Wiedergabe solcher Szenen des
Grauens und Entsetzens noch nicht in gleichem Maße gewöhnt ist. Außerdem
hatte der Maler in den beiden deutschen Städten für eine Jnszeniruug gesorgt,
welche mit großem Raffinement auf naive und leicht empfängliche Gemüter be¬
rechnet ist.

Wereschagin ist nämlich nicht bloß ein Maler, der nur innerhalb seiner
Kunst lebt, dem die Kunst erster und letzter Zweck ist, soudern ein Wanderlehrer,
eine Art Philosoph, welcher auf seinen Reisen die krassesten Beispiele gesammelt
hat, um den Krieg als den abscheulichsten Auswuchs der Zivilisation zu brand¬
marken. Mit Hilfe seiner Bilder will er eine universelle Friedenspropaganda
ins Werk setzen, welche ans die Abschaffung des Krieges und die Einführung
des allgemeinen Weltfriedens abzielt. Wereschagin hat seine Zeit so schlecht als
möglich gewählt. Er tritt in einer Epoche auf, welche so militärisch gesinnt ist
wie etwa diejenigen der Scipivnen oder Cäsars, in einer Periode, welche seit
zwanzig Jahren eine ununterbrochene Reihe der großartigsten, blutigsten und
ereignisreichsten Kriege gesehen hat, in welchen Sieger und Besiegte gleichmäßig
Proben heroischer Tapferkeit und ungebeugten Mutes abgelegt haben. Die all¬
gemeine Stimmung kommt dem Maler also nicht entgegen, die von ihm beliebte
Abschrecknngstheorie kann sogar sehr leicht zu deu entgegengesetzten Resultaten
führen, da durch ein so maßloses Zusammenhäufen von genialten Greuelthaten
die Augen an solchen Anblick gewöhnt, die Sinne abgestumpft und die Nerven
überreizt werden. Zudem fehlt Wereschagin, welcher mir Realist ist, doch die
Größe der Auffassung, das sittliche Pathos, das allein imstande ist, die Bered-


Äronzbowi I. 1882. 50
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[0401] Wähnt Wereschagin. Von Adolf Rosenberg. or zwei Jahren drang der Name des russische» Malers, der Wochen lang ganz Wien in Aufregung erhalten und nunmehr seine wandernde Ausstellung nach Berlin übergeführt hat, zum erstenmale von Paris aus in die Öffentlichkeit. Im Lvrolö ^rei»t.iW<z war eine reiche Sammlung von Gemälden zu sehen, welche teils Architekturen, Landschaften und Menschcnstudicn aus Indien, teils Szenen ans dem russisch¬ türkischen Kriege darstellten. Die Gemälde erregten wohl damals allgemeine Bewunderung und fanden auch bei der Kritik volle Anerkennung; aber ihre Wirkung war noch keineswegs eine sensationelle. Die Oricntmnlerei einerseits ist in Paris immer stark in Flor gewesen, und in der Blut- und Leicheumalerei haben die Franzosen von jeher Erkleckliches geleistet, so daß sie in den Kriegsbildern Were- schagins nur eine höhere Stufe innerhalb einer Entwicklungsreihe sahen. Anders in Wien und Berlin, wo man an die realistische Wiedergabe solcher Szenen des Grauens und Entsetzens noch nicht in gleichem Maße gewöhnt ist. Außerdem hatte der Maler in den beiden deutschen Städten für eine Jnszeniruug gesorgt, welche mit großem Raffinement auf naive und leicht empfängliche Gemüter be¬ rechnet ist. Wereschagin ist nämlich nicht bloß ein Maler, der nur innerhalb seiner Kunst lebt, dem die Kunst erster und letzter Zweck ist, soudern ein Wanderlehrer, eine Art Philosoph, welcher auf seinen Reisen die krassesten Beispiele gesammelt hat, um den Krieg als den abscheulichsten Auswuchs der Zivilisation zu brand¬ marken. Mit Hilfe seiner Bilder will er eine universelle Friedenspropaganda ins Werk setzen, welche ans die Abschaffung des Krieges und die Einführung des allgemeinen Weltfriedens abzielt. Wereschagin hat seine Zeit so schlecht als möglich gewählt. Er tritt in einer Epoche auf, welche so militärisch gesinnt ist wie etwa diejenigen der Scipivnen oder Cäsars, in einer Periode, welche seit zwanzig Jahren eine ununterbrochene Reihe der großartigsten, blutigsten und ereignisreichsten Kriege gesehen hat, in welchen Sieger und Besiegte gleichmäßig Proben heroischer Tapferkeit und ungebeugten Mutes abgelegt haben. Die all¬ gemeine Stimmung kommt dem Maler also nicht entgegen, die von ihm beliebte Abschrecknngstheorie kann sogar sehr leicht zu deu entgegengesetzten Resultaten führen, da durch ein so maßloses Zusammenhäufen von genialten Greuelthaten die Augen an solchen Anblick gewöhnt, die Sinne abgestumpft und die Nerven überreizt werden. Zudem fehlt Wereschagin, welcher mir Realist ist, doch die Größe der Auffassung, das sittliche Pathos, das allein imstande ist, die Bered- Äronzbowi I. 1882. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/401>, abgerufen am 29.06.2024.