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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Zukunft des deutschen Dramas.

eines großen geschichtlichen Ereignisses blieb soweit in Dunkel gehüllt, als es
nicht das unmittelbare Ergebnis eines psychologischen Prozesses war. Helden
und Könige machten die Geschichte wie ein Schachspieler sein Spiel. Dem¬
gemäß kam die allgemeine Anschauung dem Dramatiker entgegen, weil sie, gleich
ihm, alles Geschehende konzentrirte und personifizirte. Gerade das Umgekehrte
findet bei uns statt. Wir haben uns gewöhnt, die Geschichte als das langsam
reifende Produkt unzähliger, unscheinbar, ganz in der Stille wirkender Be¬
dingungen anzusehen, sodaß uns die Handlung in einem historischen Drama leicht
lückenhaft und den thatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechend erscheint. Der
Idealismus aber, der in einem großen Manne die Krystallisation der zeitbe-
wegcnden Ideen sieht, die rein menschliche Freude an einer groß und eigenartig
angelegten Persönlichkeit ist stets nur das Eigentum weniger gewesen und vermag
die lebendige Überzeugung von der Wahrheit des Gedichteten, das entzückende
Bewußtsein von der Einheit der eignen Weltanschauung mit der von der Bühne
herab verkündeten, auch bei diesen wenigen nicht zu ersetzen.

Zudem ist das Interesse an einer eigengcartcten Persönlichkeit als einer
solchen bei niemand besonders stark. Woher sollte es auch kommen? Die Art
unsrer Erziehung, die aus uns selbst viel weniger tüchtige Individualitäten als
brauchbare Kapizitäten zu bilden strebt, hält davon ab, Talent und Neigung
für die naive Freude an andern Charakteren zu wecken. Es scheint, als tränkten
auch unsre Dichter an diesen Gebrechen der Zeit, als flösse ihre Begeisterung nur
spärlich, als müßten sie sich erst künstlich die rechte Unbefangenheit ihrem Helden
gegenüber erwerben, als könnten sie es nicht über sich gewinnen, alle und jede
Reflexion beiseite zu setzen, wenn sie sich nicht auf streng künstlerischem Boden
bewegt. So erwecken sie auch im Zuschauer uukünstlerische Reflexion, das heißt:
sie begehen einen Raub an ihrem eignen Werke, indem sie den Stoff, ehe sie
ihn in das Sonnenlicht der Kunst bringen, zuvor durch die gefärbten Gläser
politischer und sozialer Parteiungen betrachten. Es mag vielleicht vielen lächerlich
klingen, aber es wird am Ende doch Wahrheit sein, daß die allgemeine Teil¬
nahme an den Jrrgängen der Politik auch aus dem eben angedeuteten Grunde
dem Gedeihen historischer Dramatik hinderlich ist. Eine Willensstärke, sich über
alles Recht hinwegsetzende Persönlichkeit erscheint dem auf den staatlichen Rechts¬
verhältnissen fußender politischen Bewußtsein der Gegenwart vielfach unsym¬
pathisch. Freilich wird man dadurch recht lebhaft an das bekannte Wort er¬
innert, kein Held sei ein Held für seinen Kammerdiener. Aber leider laufen die
Kammerdiener in mancherlei Masken und Trachten herum und wolle" uns weis¬
machen, die Helden seien ausgestorben.

Ausdrücklich möchten wir darauf hinweisen, daß die gegenwärtige Be¬
deutungslosigkeit der historischen Tragödie nicht etwa nationalen Einseitigkeiten
oder Schwächen entspringt. Im modernen England und Frankreich sowohl als
im klassischen Altertum wendet sich -- ähnlich wie bei uns -- das öffentliche


Die Zukunft des deutschen Dramas.

eines großen geschichtlichen Ereignisses blieb soweit in Dunkel gehüllt, als es
nicht das unmittelbare Ergebnis eines psychologischen Prozesses war. Helden
und Könige machten die Geschichte wie ein Schachspieler sein Spiel. Dem¬
gemäß kam die allgemeine Anschauung dem Dramatiker entgegen, weil sie, gleich
ihm, alles Geschehende konzentrirte und personifizirte. Gerade das Umgekehrte
findet bei uns statt. Wir haben uns gewöhnt, die Geschichte als das langsam
reifende Produkt unzähliger, unscheinbar, ganz in der Stille wirkender Be¬
dingungen anzusehen, sodaß uns die Handlung in einem historischen Drama leicht
lückenhaft und den thatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechend erscheint. Der
Idealismus aber, der in einem großen Manne die Krystallisation der zeitbe-
wegcnden Ideen sieht, die rein menschliche Freude an einer groß und eigenartig
angelegten Persönlichkeit ist stets nur das Eigentum weniger gewesen und vermag
die lebendige Überzeugung von der Wahrheit des Gedichteten, das entzückende
Bewußtsein von der Einheit der eignen Weltanschauung mit der von der Bühne
herab verkündeten, auch bei diesen wenigen nicht zu ersetzen.

Zudem ist das Interesse an einer eigengcartcten Persönlichkeit als einer
solchen bei niemand besonders stark. Woher sollte es auch kommen? Die Art
unsrer Erziehung, die aus uns selbst viel weniger tüchtige Individualitäten als
brauchbare Kapizitäten zu bilden strebt, hält davon ab, Talent und Neigung
für die naive Freude an andern Charakteren zu wecken. Es scheint, als tränkten
auch unsre Dichter an diesen Gebrechen der Zeit, als flösse ihre Begeisterung nur
spärlich, als müßten sie sich erst künstlich die rechte Unbefangenheit ihrem Helden
gegenüber erwerben, als könnten sie es nicht über sich gewinnen, alle und jede
Reflexion beiseite zu setzen, wenn sie sich nicht auf streng künstlerischem Boden
bewegt. So erwecken sie auch im Zuschauer uukünstlerische Reflexion, das heißt:
sie begehen einen Raub an ihrem eignen Werke, indem sie den Stoff, ehe sie
ihn in das Sonnenlicht der Kunst bringen, zuvor durch die gefärbten Gläser
politischer und sozialer Parteiungen betrachten. Es mag vielleicht vielen lächerlich
klingen, aber es wird am Ende doch Wahrheit sein, daß die allgemeine Teil¬
nahme an den Jrrgängen der Politik auch aus dem eben angedeuteten Grunde
dem Gedeihen historischer Dramatik hinderlich ist. Eine Willensstärke, sich über
alles Recht hinwegsetzende Persönlichkeit erscheint dem auf den staatlichen Rechts¬
verhältnissen fußender politischen Bewußtsein der Gegenwart vielfach unsym¬
pathisch. Freilich wird man dadurch recht lebhaft an das bekannte Wort er¬
innert, kein Held sei ein Held für seinen Kammerdiener. Aber leider laufen die
Kammerdiener in mancherlei Masken und Trachten herum und wolle» uns weis¬
machen, die Helden seien ausgestorben.

Ausdrücklich möchten wir darauf hinweisen, daß die gegenwärtige Be¬
deutungslosigkeit der historischen Tragödie nicht etwa nationalen Einseitigkeiten
oder Schwächen entspringt. Im modernen England und Frankreich sowohl als
im klassischen Altertum wendet sich — ähnlich wie bei uns — das öffentliche


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[0388] Die Zukunft des deutschen Dramas. eines großen geschichtlichen Ereignisses blieb soweit in Dunkel gehüllt, als es nicht das unmittelbare Ergebnis eines psychologischen Prozesses war. Helden und Könige machten die Geschichte wie ein Schachspieler sein Spiel. Dem¬ gemäß kam die allgemeine Anschauung dem Dramatiker entgegen, weil sie, gleich ihm, alles Geschehende konzentrirte und personifizirte. Gerade das Umgekehrte findet bei uns statt. Wir haben uns gewöhnt, die Geschichte als das langsam reifende Produkt unzähliger, unscheinbar, ganz in der Stille wirkender Be¬ dingungen anzusehen, sodaß uns die Handlung in einem historischen Drama leicht lückenhaft und den thatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechend erscheint. Der Idealismus aber, der in einem großen Manne die Krystallisation der zeitbe- wegcnden Ideen sieht, die rein menschliche Freude an einer groß und eigenartig angelegten Persönlichkeit ist stets nur das Eigentum weniger gewesen und vermag die lebendige Überzeugung von der Wahrheit des Gedichteten, das entzückende Bewußtsein von der Einheit der eignen Weltanschauung mit der von der Bühne herab verkündeten, auch bei diesen wenigen nicht zu ersetzen. Zudem ist das Interesse an einer eigengcartcten Persönlichkeit als einer solchen bei niemand besonders stark. Woher sollte es auch kommen? Die Art unsrer Erziehung, die aus uns selbst viel weniger tüchtige Individualitäten als brauchbare Kapizitäten zu bilden strebt, hält davon ab, Talent und Neigung für die naive Freude an andern Charakteren zu wecken. Es scheint, als tränkten auch unsre Dichter an diesen Gebrechen der Zeit, als flösse ihre Begeisterung nur spärlich, als müßten sie sich erst künstlich die rechte Unbefangenheit ihrem Helden gegenüber erwerben, als könnten sie es nicht über sich gewinnen, alle und jede Reflexion beiseite zu setzen, wenn sie sich nicht auf streng künstlerischem Boden bewegt. So erwecken sie auch im Zuschauer uukünstlerische Reflexion, das heißt: sie begehen einen Raub an ihrem eignen Werke, indem sie den Stoff, ehe sie ihn in das Sonnenlicht der Kunst bringen, zuvor durch die gefärbten Gläser politischer und sozialer Parteiungen betrachten. Es mag vielleicht vielen lächerlich klingen, aber es wird am Ende doch Wahrheit sein, daß die allgemeine Teil¬ nahme an den Jrrgängen der Politik auch aus dem eben angedeuteten Grunde dem Gedeihen historischer Dramatik hinderlich ist. Eine Willensstärke, sich über alles Recht hinwegsetzende Persönlichkeit erscheint dem auf den staatlichen Rechts¬ verhältnissen fußender politischen Bewußtsein der Gegenwart vielfach unsym¬ pathisch. Freilich wird man dadurch recht lebhaft an das bekannte Wort er¬ innert, kein Held sei ein Held für seinen Kammerdiener. Aber leider laufen die Kammerdiener in mancherlei Masken und Trachten herum und wolle» uns weis¬ machen, die Helden seien ausgestorben. Ausdrücklich möchten wir darauf hinweisen, daß die gegenwärtige Be¬ deutungslosigkeit der historischen Tragödie nicht etwa nationalen Einseitigkeiten oder Schwächen entspringt. Im modernen England und Frankreich sowohl als im klassischen Altertum wendet sich — ähnlich wie bei uns — das öffentliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/388>, abgerufen am 29.06.2024.