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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bunsens Freunde und die Wahrheit,

und Preußen verbündet, und was kann der Teufel thun?" und in einem seiner
späteren Briefe an denselben Freund und Gesinnungsgenossen heißt es (S. 227):
"Ich hoffe auf ein Wort aus Berlin über die Idee eines anglvprenßischen
Bündnisses mit Belgien und Holland," Diese Allianz war zwar ein Haupt¬
dogma im Katechismus der Altlibcralen, nichts destoweniger aber eine Absur¬
dität, die auf völliger Unkenntnis der englischen Politik beruhte, welche sich
auf völkerrechtliche Bündnisse von Dauer und ohne bestimmten und beschränkten
Zweck niemals eingelassen hat und niemals einlassen wird.

In der Denkschrift heißt es: "Der Plan der Westmüchte geht dahin, Ru߬
land aus seine natürlichen Grenzen zu beschränken," Wir fragen: Welche
sind die? Und woher wußte Bunsen von diesem Plane? Die Widerlegung
antwortet: Aus Zeitungsartikeln und unbestimmten und zu nichts verpflichtenden
Phrasen in ministeriellen Parlamentsreden. Daß die Westmächte jenen Zweck
ernstlich im Auge gehabt, war damals und ist auch heute noch durch nichts zu
beweisen. Er wird also bis auf weiteres den vielen Illusionen beizuzählen sein,
in denen Bunsen lebte und seiner Regierung Ratschläge ertheilte.

Am 4. März richtete Bunsen an Manteuffel zwei Telegramme. Im ersten
berichtete er: Nachdem Clarendon sich in rücksichtsloser Sprache geäußert,
Preußen müsse Rußland den Krieg erklären, habe er, Bunsen, geantwortet, diese
Forderung sei weder politisch noch freundlich, wenn Preußen nicht zugleich
bleibende Deckung im Nordosten und Brechung der Übermacht Rußlands in der
Ostsee garantirt werde; Preußen werde sich ohne solche Bürgschaften am Kriege
nicht beteiligen. Die Depesche schloß mit den Worten: "Ich bitte Ew. Ex¬
cellenz, mir umgehend telegraphisch zu sagen, ob Sie diese Erklärung geneh¬
migen. Ich bin überzeugt, daß nur dieser Ton hier anschlägt, und ich habe
Maßregeln getroffen, daß er im heutigen Ministcrrate eifrige Vertreter finde."
In dem zweiten Telegramme meldete der Gesandte, nach einer Unterredung
Clarendons mit Walewski (dem Vertreter Frankreichs in London) habe der
Ministerrat die beiden von ihm, Bunsen, geforderten Pnnkte beschlossen: 1. "Die
Flotte wird in der Ostsee vor dem 1, April sein und dort bleiben. 2. Sobald
die Convention unterzeichnet ist, wird der erste Akt der vier Bevollmächtigten
der sein, den Zweck des Krieges, die Abstellung der Übermacht Rußlands, aus¬
zusprechen und das Interesse von Preußen dabei, für ganz Europa eine ge¬
sicherte Grenze im Norden und Osten zu haben, als solidarisch zu erkläre"."

Hieraus entwickelte sich das, was Prinz Albert den "Sturz" Bunsens
nennt. Bunsen war in keiner Weise zu dem von ihm eingeschlagenen Verfahren
berechtigt gewesen, er hatte mit dem, was er von Clarendon verlangt und was
der englische Ministerrat dann Angestanden, entschieden eigenmächtig gehandelt.
Am S. März erhielt er telegraphisch von Berlin die Weisung, Lord Clarendon
ohne Verzug zu erklären, daß der König das vorgeschlagene Abkommen nicht
billige und jetzt die Verpflichtung, gegen Rußland Krieg zu führen, unter keinen


Bunsens Freunde und die Wahrheit,

und Preußen verbündet, und was kann der Teufel thun?" und in einem seiner
späteren Briefe an denselben Freund und Gesinnungsgenossen heißt es (S. 227):
„Ich hoffe auf ein Wort aus Berlin über die Idee eines anglvprenßischen
Bündnisses mit Belgien und Holland," Diese Allianz war zwar ein Haupt¬
dogma im Katechismus der Altlibcralen, nichts destoweniger aber eine Absur¬
dität, die auf völliger Unkenntnis der englischen Politik beruhte, welche sich
auf völkerrechtliche Bündnisse von Dauer und ohne bestimmten und beschränkten
Zweck niemals eingelassen hat und niemals einlassen wird.

In der Denkschrift heißt es: „Der Plan der Westmüchte geht dahin, Ru߬
land aus seine natürlichen Grenzen zu beschränken," Wir fragen: Welche
sind die? Und woher wußte Bunsen von diesem Plane? Die Widerlegung
antwortet: Aus Zeitungsartikeln und unbestimmten und zu nichts verpflichtenden
Phrasen in ministeriellen Parlamentsreden. Daß die Westmächte jenen Zweck
ernstlich im Auge gehabt, war damals und ist auch heute noch durch nichts zu
beweisen. Er wird also bis auf weiteres den vielen Illusionen beizuzählen sein,
in denen Bunsen lebte und seiner Regierung Ratschläge ertheilte.

Am 4. März richtete Bunsen an Manteuffel zwei Telegramme. Im ersten
berichtete er: Nachdem Clarendon sich in rücksichtsloser Sprache geäußert,
Preußen müsse Rußland den Krieg erklären, habe er, Bunsen, geantwortet, diese
Forderung sei weder politisch noch freundlich, wenn Preußen nicht zugleich
bleibende Deckung im Nordosten und Brechung der Übermacht Rußlands in der
Ostsee garantirt werde; Preußen werde sich ohne solche Bürgschaften am Kriege
nicht beteiligen. Die Depesche schloß mit den Worten: „Ich bitte Ew. Ex¬
cellenz, mir umgehend telegraphisch zu sagen, ob Sie diese Erklärung geneh¬
migen. Ich bin überzeugt, daß nur dieser Ton hier anschlägt, und ich habe
Maßregeln getroffen, daß er im heutigen Ministcrrate eifrige Vertreter finde."
In dem zweiten Telegramme meldete der Gesandte, nach einer Unterredung
Clarendons mit Walewski (dem Vertreter Frankreichs in London) habe der
Ministerrat die beiden von ihm, Bunsen, geforderten Pnnkte beschlossen: 1. „Die
Flotte wird in der Ostsee vor dem 1, April sein und dort bleiben. 2. Sobald
die Convention unterzeichnet ist, wird der erste Akt der vier Bevollmächtigten
der sein, den Zweck des Krieges, die Abstellung der Übermacht Rußlands, aus¬
zusprechen und das Interesse von Preußen dabei, für ganz Europa eine ge¬
sicherte Grenze im Norden und Osten zu haben, als solidarisch zu erkläre»."

Hieraus entwickelte sich das, was Prinz Albert den „Sturz" Bunsens
nennt. Bunsen war in keiner Weise zu dem von ihm eingeschlagenen Verfahren
berechtigt gewesen, er hatte mit dem, was er von Clarendon verlangt und was
der englische Ministerrat dann Angestanden, entschieden eigenmächtig gehandelt.
Am S. März erhielt er telegraphisch von Berlin die Weisung, Lord Clarendon
ohne Verzug zu erklären, daß der König das vorgeschlagene Abkommen nicht
billige und jetzt die Verpflichtung, gegen Rußland Krieg zu führen, unter keinen


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[0384] Bunsens Freunde und die Wahrheit, und Preußen verbündet, und was kann der Teufel thun?" und in einem seiner späteren Briefe an denselben Freund und Gesinnungsgenossen heißt es (S. 227): „Ich hoffe auf ein Wort aus Berlin über die Idee eines anglvprenßischen Bündnisses mit Belgien und Holland," Diese Allianz war zwar ein Haupt¬ dogma im Katechismus der Altlibcralen, nichts destoweniger aber eine Absur¬ dität, die auf völliger Unkenntnis der englischen Politik beruhte, welche sich auf völkerrechtliche Bündnisse von Dauer und ohne bestimmten und beschränkten Zweck niemals eingelassen hat und niemals einlassen wird. In der Denkschrift heißt es: „Der Plan der Westmüchte geht dahin, Ru߬ land aus seine natürlichen Grenzen zu beschränken," Wir fragen: Welche sind die? Und woher wußte Bunsen von diesem Plane? Die Widerlegung antwortet: Aus Zeitungsartikeln und unbestimmten und zu nichts verpflichtenden Phrasen in ministeriellen Parlamentsreden. Daß die Westmächte jenen Zweck ernstlich im Auge gehabt, war damals und ist auch heute noch durch nichts zu beweisen. Er wird also bis auf weiteres den vielen Illusionen beizuzählen sein, in denen Bunsen lebte und seiner Regierung Ratschläge ertheilte. Am 4. März richtete Bunsen an Manteuffel zwei Telegramme. Im ersten berichtete er: Nachdem Clarendon sich in rücksichtsloser Sprache geäußert, Preußen müsse Rußland den Krieg erklären, habe er, Bunsen, geantwortet, diese Forderung sei weder politisch noch freundlich, wenn Preußen nicht zugleich bleibende Deckung im Nordosten und Brechung der Übermacht Rußlands in der Ostsee garantirt werde; Preußen werde sich ohne solche Bürgschaften am Kriege nicht beteiligen. Die Depesche schloß mit den Worten: „Ich bitte Ew. Ex¬ cellenz, mir umgehend telegraphisch zu sagen, ob Sie diese Erklärung geneh¬ migen. Ich bin überzeugt, daß nur dieser Ton hier anschlägt, und ich habe Maßregeln getroffen, daß er im heutigen Ministcrrate eifrige Vertreter finde." In dem zweiten Telegramme meldete der Gesandte, nach einer Unterredung Clarendons mit Walewski (dem Vertreter Frankreichs in London) habe der Ministerrat die beiden von ihm, Bunsen, geforderten Pnnkte beschlossen: 1. „Die Flotte wird in der Ostsee vor dem 1, April sein und dort bleiben. 2. Sobald die Convention unterzeichnet ist, wird der erste Akt der vier Bevollmächtigten der sein, den Zweck des Krieges, die Abstellung der Übermacht Rußlands, aus¬ zusprechen und das Interesse von Preußen dabei, für ganz Europa eine ge¬ sicherte Grenze im Norden und Osten zu haben, als solidarisch zu erkläre»." Hieraus entwickelte sich das, was Prinz Albert den „Sturz" Bunsens nennt. Bunsen war in keiner Weise zu dem von ihm eingeschlagenen Verfahren berechtigt gewesen, er hatte mit dem, was er von Clarendon verlangt und was der englische Ministerrat dann Angestanden, entschieden eigenmächtig gehandelt. Am S. März erhielt er telegraphisch von Berlin die Weisung, Lord Clarendon ohne Verzug zu erklären, daß der König das vorgeschlagene Abkommen nicht billige und jetzt die Verpflichtung, gegen Rußland Krieg zu führen, unter keinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/384>, abgerufen am 28.09.2024.