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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bunsens Freunde und die Wahrheit.

bei der japanischen Expedition nimmt mir einen schweren Stein vom Herzen;
er springt in eine schöne Laufbahn hinein, ohne die sinnlose, zeitmörderische
Vorbereitung zur Diplomatie bei einem Landgericht oder einer Regierung, inecimm
w rhin, als lebten wir in einem vernünftigen Systeme, welches, ans Hnmnnitäts-
bildnng ruhend, auf Teilung der Arbeit gerichtet sein muß und nicht ans den
Beruf eines Mädchens für alles ... Nach der jetzigen Weise wird unsre Diplomatie
immer die schlechteste sein." Nun, bei Theodor hat dieses Recept nicht ange¬
schlagen, obwohl Bunsen ihn einmal gegen einen Berliner Diplomaten für den
begabtesten seiner Söhne erkläre hatte. In Lima und in Alexandrien muß er
mit seiner auf bloße "Humanitätsbildnng" basirten Diplomatcnkunst kaum Er¬
sprießliches geleistet und arge Mißgriffe begangen haben; denn nach kurzem
Aufenthalt hier wie dort wurde er kaltgestellt, und zuletzt nahm er seinen Ab¬
schied -- vermutlich aus Selbsterkenntnis. Und wenn der alte Herr ferner eine
praktische, ins Leben führende Vorbildung genossen hätte, so würde er in die
Phantastereien der Denkschrift vom 1. März wahrscheinlich nicht verfallen sein
und sich nicht der Insubordination vom 4. März, von welcher noch die Rede sein
wird, schuldig gemacht, würde nicht seine Regierung beim Prinzen Albert an¬
geklagt, auch sich schwerlich erlaubt haben, bei seinem Rücktritt ins Privatleben
Abschriften von amtlichen Aktenstücken (oder waren es wie bei Harry v, Arnim
etwa gar die Originalien?) mitzunehmen, die seine Familie dann verstümmelt und
folglich verfälscht durch den Druck in die Öffentlichkeit gebracht hat.

Dies beiläufig. Die Denkschrift kann getrost als noch weniger denn als
eine politische Prvfessorenabhandlung, sie kann als eine Schülerarbeit bezeichnet
werden. Durchweg dieselbe geringe Kenntnis des Thatsächlichen, dieselben fal¬
schen Berechnungen, dasselbe für nüchterne Beobachter der Dinge unausstehliche
Pathos. Österreich bis aus Asowsche Meer ausgedehnt, Preußen mit Öster-
rcichisch-Schlesien, eiuer Provinz, die dem Kaiserhauses am treuesten ergeben ist,
und -- mit Mähren vergrößert und zuletzt der furchtbare Gedanke der Wie¬
derherstellung Polens, gelassen ausgesprochen, als ob die Sache sich ungefähr
von selber verstünde und gar keine bedenklichen Folgen haben könnte! Fast meint
man hier einen Geistesverwandten jenes Leipziger Professors zu hören, der sich
1848 oder 1849 in einer öffentlichen Versammlung vernehmen ließ: "Meine
Herren, es wird nicht eher besser mit Deutschland, als bis wir -- meine Herren
-- als bis wir die Insel Cypern haben! Senden wir dreimalhunderttausend
Mann nach Osten, dreimalhunderttausend Maun nach Westen, dreimalhundert-
tausend Mann nach Süden" u. s. w.

Auf die Bunsensche Auffassung der Lage hat offenbar dessen Wunsch und
Streben nach einem Bündnisse, das zunächst nur England und Preußen ver¬
einigen sollte, eingewirkt. Dies scheint eine Lieblingsidee von ihm gewesen zu
sein. Wenigstens begegenen wir dem Gedanken an mehrern Stellen der Bio¬
graphie. Zu Neujahr 1852 schreibt Bunsen an Stockmar (HI, S. 201): "England


Bunsens Freunde und die Wahrheit.

bei der japanischen Expedition nimmt mir einen schweren Stein vom Herzen;
er springt in eine schöne Laufbahn hinein, ohne die sinnlose, zeitmörderische
Vorbereitung zur Diplomatie bei einem Landgericht oder einer Regierung, inecimm
w rhin, als lebten wir in einem vernünftigen Systeme, welches, ans Hnmnnitäts-
bildnng ruhend, auf Teilung der Arbeit gerichtet sein muß und nicht ans den
Beruf eines Mädchens für alles ... Nach der jetzigen Weise wird unsre Diplomatie
immer die schlechteste sein." Nun, bei Theodor hat dieses Recept nicht ange¬
schlagen, obwohl Bunsen ihn einmal gegen einen Berliner Diplomaten für den
begabtesten seiner Söhne erkläre hatte. In Lima und in Alexandrien muß er
mit seiner auf bloße „Humanitätsbildnng" basirten Diplomatcnkunst kaum Er¬
sprießliches geleistet und arge Mißgriffe begangen haben; denn nach kurzem
Aufenthalt hier wie dort wurde er kaltgestellt, und zuletzt nahm er seinen Ab¬
schied — vermutlich aus Selbsterkenntnis. Und wenn der alte Herr ferner eine
praktische, ins Leben führende Vorbildung genossen hätte, so würde er in die
Phantastereien der Denkschrift vom 1. März wahrscheinlich nicht verfallen sein
und sich nicht der Insubordination vom 4. März, von welcher noch die Rede sein
wird, schuldig gemacht, würde nicht seine Regierung beim Prinzen Albert an¬
geklagt, auch sich schwerlich erlaubt haben, bei seinem Rücktritt ins Privatleben
Abschriften von amtlichen Aktenstücken (oder waren es wie bei Harry v, Arnim
etwa gar die Originalien?) mitzunehmen, die seine Familie dann verstümmelt und
folglich verfälscht durch den Druck in die Öffentlichkeit gebracht hat.

Dies beiläufig. Die Denkschrift kann getrost als noch weniger denn als
eine politische Prvfessorenabhandlung, sie kann als eine Schülerarbeit bezeichnet
werden. Durchweg dieselbe geringe Kenntnis des Thatsächlichen, dieselben fal¬
schen Berechnungen, dasselbe für nüchterne Beobachter der Dinge unausstehliche
Pathos. Österreich bis aus Asowsche Meer ausgedehnt, Preußen mit Öster-
rcichisch-Schlesien, eiuer Provinz, die dem Kaiserhauses am treuesten ergeben ist,
und — mit Mähren vergrößert und zuletzt der furchtbare Gedanke der Wie¬
derherstellung Polens, gelassen ausgesprochen, als ob die Sache sich ungefähr
von selber verstünde und gar keine bedenklichen Folgen haben könnte! Fast meint
man hier einen Geistesverwandten jenes Leipziger Professors zu hören, der sich
1848 oder 1849 in einer öffentlichen Versammlung vernehmen ließ: „Meine
Herren, es wird nicht eher besser mit Deutschland, als bis wir — meine Herren
— als bis wir die Insel Cypern haben! Senden wir dreimalhunderttausend
Mann nach Osten, dreimalhunderttausend Maun nach Westen, dreimalhundert-
tausend Mann nach Süden" u. s. w.

Auf die Bunsensche Auffassung der Lage hat offenbar dessen Wunsch und
Streben nach einem Bündnisse, das zunächst nur England und Preußen ver¬
einigen sollte, eingewirkt. Dies scheint eine Lieblingsidee von ihm gewesen zu
sein. Wenigstens begegenen wir dem Gedanken an mehrern Stellen der Bio¬
graphie. Zu Neujahr 1852 schreibt Bunsen an Stockmar (HI, S. 201): „England


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[0383] Bunsens Freunde und die Wahrheit. bei der japanischen Expedition nimmt mir einen schweren Stein vom Herzen; er springt in eine schöne Laufbahn hinein, ohne die sinnlose, zeitmörderische Vorbereitung zur Diplomatie bei einem Landgericht oder einer Regierung, inecimm w rhin, als lebten wir in einem vernünftigen Systeme, welches, ans Hnmnnitäts- bildnng ruhend, auf Teilung der Arbeit gerichtet sein muß und nicht ans den Beruf eines Mädchens für alles ... Nach der jetzigen Weise wird unsre Diplomatie immer die schlechteste sein." Nun, bei Theodor hat dieses Recept nicht ange¬ schlagen, obwohl Bunsen ihn einmal gegen einen Berliner Diplomaten für den begabtesten seiner Söhne erkläre hatte. In Lima und in Alexandrien muß er mit seiner auf bloße „Humanitätsbildnng" basirten Diplomatcnkunst kaum Er¬ sprießliches geleistet und arge Mißgriffe begangen haben; denn nach kurzem Aufenthalt hier wie dort wurde er kaltgestellt, und zuletzt nahm er seinen Ab¬ schied — vermutlich aus Selbsterkenntnis. Und wenn der alte Herr ferner eine praktische, ins Leben führende Vorbildung genossen hätte, so würde er in die Phantastereien der Denkschrift vom 1. März wahrscheinlich nicht verfallen sein und sich nicht der Insubordination vom 4. März, von welcher noch die Rede sein wird, schuldig gemacht, würde nicht seine Regierung beim Prinzen Albert an¬ geklagt, auch sich schwerlich erlaubt haben, bei seinem Rücktritt ins Privatleben Abschriften von amtlichen Aktenstücken (oder waren es wie bei Harry v, Arnim etwa gar die Originalien?) mitzunehmen, die seine Familie dann verstümmelt und folglich verfälscht durch den Druck in die Öffentlichkeit gebracht hat. Dies beiläufig. Die Denkschrift kann getrost als noch weniger denn als eine politische Prvfessorenabhandlung, sie kann als eine Schülerarbeit bezeichnet werden. Durchweg dieselbe geringe Kenntnis des Thatsächlichen, dieselben fal¬ schen Berechnungen, dasselbe für nüchterne Beobachter der Dinge unausstehliche Pathos. Österreich bis aus Asowsche Meer ausgedehnt, Preußen mit Öster- rcichisch-Schlesien, eiuer Provinz, die dem Kaiserhauses am treuesten ergeben ist, und — mit Mähren vergrößert und zuletzt der furchtbare Gedanke der Wie¬ derherstellung Polens, gelassen ausgesprochen, als ob die Sache sich ungefähr von selber verstünde und gar keine bedenklichen Folgen haben könnte! Fast meint man hier einen Geistesverwandten jenes Leipziger Professors zu hören, der sich 1848 oder 1849 in einer öffentlichen Versammlung vernehmen ließ: „Meine Herren, es wird nicht eher besser mit Deutschland, als bis wir — meine Herren — als bis wir die Insel Cypern haben! Senden wir dreimalhunderttausend Mann nach Osten, dreimalhunderttausend Maun nach Westen, dreimalhundert- tausend Mann nach Süden" u. s. w. Auf die Bunsensche Auffassung der Lage hat offenbar dessen Wunsch und Streben nach einem Bündnisse, das zunächst nur England und Preußen ver¬ einigen sollte, eingewirkt. Dies scheint eine Lieblingsidee von ihm gewesen zu sein. Wenigstens begegenen wir dem Gedanken an mehrern Stellen der Bio¬ graphie. Zu Neujahr 1852 schreibt Bunsen an Stockmar (HI, S. 201): „England

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/383>, abgerufen am 28.09.2024.