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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Lüge geworden sind, ganz und gar fahren lassen, wenn man Politik machen
null. Es läßt sich nun einmal die traurige Thatsache nicht verhehlen, sowie
Holland Luxemburg und Limburg, sowie Dänemark Holstein (mit seinen Be¬
richtigungen), so hat Österreich die deutschen Erdtaube von Deutschland los¬
gerissen. Wer sich dieses verhehlt, unterliegt einer gefährlichen Täuschung; wer
es in Abrede stellt, will täuschen, denn er leugnet eine Thatsache....

Allen diesen im großen und ganzen unwiderleglicher, weil rein thatsäch¬
liche!? Erwägungen könnte man nur noch einen scheinbaren EinWurf entgegen¬
stelle". Preußen, könnte man sagen, sollte seine eigentümliche Stellung benutzen,
sich an die Stelle einer bewaffneten Neutralität zu stellen. Gegen Osten wie
gegen Westen sich rüstend, sollte es die Mittelmächte Europas, Schweden, Däne¬
mark, Holland, Sardinien und Neapel um sich schaaren, um zu rechter Zeit
entscheidend in den Kampf einzutreten. Ein solcher Plan beruht auf einer Ver-
kennung der wirklichen Verhältnisse und Verbindlichkeiten und zugleich auf einer
Überschätzung der preußischen Kräfte. Was Preußen thun muß, ist angezeigt
durch Konferenzen und Protokolle, durch das Nechtsgcftthl, durch Österreichs
rettenden Einfluß. Was von ihm mit einsichtsvoller Achtung und redlich ver¬
langt wird, ist, was es thun kann, ohne Erschöpfung uach dem ersten Feld¬
zuge, und das, wobei allem ihm die öffentliche Meinung Deutschlands zur Seite
steht. Der andre Plan ist eine bloße Einbildung, welche ernsthaft auch nicht
eine Stunde verteidigt werden kann. Die beiden Seemächte haben Einfluß
genug, um jene andern Mächte entweder fiir sich zu gewinne" oder ihnen jede
feindselige Politik unmöglich zu mache". Feindselig allerdings würde ihnen aber
eine solche bewaffnete Neutralität erscheinen. Österreich mit den übrigen deutschen
Fürsten würde außerdem auf ihrer Seite stehen. Preußen würde am Rhein
wie am Niemen allein stehen und -- allein geschlagen werden; ja schlimmer, es
würde fallen ohne Achtung bei Freund und Feind, ohne Bedauern bei Mitwelt
und Nachwelt, Aber deshalb ist jener Einwurf als unmöglich und undenkbar
gar nicht zu berücksichtigen."

Überblicken wir diese Ansichten und Vorschläge, so werden wir an das
Bonmot erinnert, das einst über Bunsen in London zirkulirte: "Die Gelehrten
halten ihn für einen Diplomaten, die Diplomaten für einen Gelehrten." Die
erste Hälfte des Satzes mag hier, so weit sie eine geringe Achtung vor Bunsens
wissenschaftlichen Leistungen ausdrückt, unerörtert bleiben, obwohl sich manches
zum Beweis dafür sagen ließe, daß diese Leistungen Dilettantenarbeit sind. Die
zweite Hälfte würde durch die Denkschrift gerechtfertigt werde", wenn es dessen
noch bedürfte. Es ist der Professor, wie er leibt und lebt, der hier meditirt
und dvzirt. Auch das Bewußtsein der Unfehlbarkeit spricht sich in dem Expose
deutlich ans.

Nach der mehrfach angeführten deutschen Ausgabe seiner Biographie (III,
S. 557) schreibt Bunsen 1859 an einen seiner Söhne: "Theodors Anstellung


Lüge geworden sind, ganz und gar fahren lassen, wenn man Politik machen
null. Es läßt sich nun einmal die traurige Thatsache nicht verhehlen, sowie
Holland Luxemburg und Limburg, sowie Dänemark Holstein (mit seinen Be¬
richtigungen), so hat Österreich die deutschen Erdtaube von Deutschland los¬
gerissen. Wer sich dieses verhehlt, unterliegt einer gefährlichen Täuschung; wer
es in Abrede stellt, will täuschen, denn er leugnet eine Thatsache....

Allen diesen im großen und ganzen unwiderleglicher, weil rein thatsäch¬
liche!? Erwägungen könnte man nur noch einen scheinbaren EinWurf entgegen¬
stelle». Preußen, könnte man sagen, sollte seine eigentümliche Stellung benutzen,
sich an die Stelle einer bewaffneten Neutralität zu stellen. Gegen Osten wie
gegen Westen sich rüstend, sollte es die Mittelmächte Europas, Schweden, Däne¬
mark, Holland, Sardinien und Neapel um sich schaaren, um zu rechter Zeit
entscheidend in den Kampf einzutreten. Ein solcher Plan beruht auf einer Ver-
kennung der wirklichen Verhältnisse und Verbindlichkeiten und zugleich auf einer
Überschätzung der preußischen Kräfte. Was Preußen thun muß, ist angezeigt
durch Konferenzen und Protokolle, durch das Nechtsgcftthl, durch Österreichs
rettenden Einfluß. Was von ihm mit einsichtsvoller Achtung und redlich ver¬
langt wird, ist, was es thun kann, ohne Erschöpfung uach dem ersten Feld¬
zuge, und das, wobei allem ihm die öffentliche Meinung Deutschlands zur Seite
steht. Der andre Plan ist eine bloße Einbildung, welche ernsthaft auch nicht
eine Stunde verteidigt werden kann. Die beiden Seemächte haben Einfluß
genug, um jene andern Mächte entweder fiir sich zu gewinne» oder ihnen jede
feindselige Politik unmöglich zu mache». Feindselig allerdings würde ihnen aber
eine solche bewaffnete Neutralität erscheinen. Österreich mit den übrigen deutschen
Fürsten würde außerdem auf ihrer Seite stehen. Preußen würde am Rhein
wie am Niemen allein stehen und — allein geschlagen werden; ja schlimmer, es
würde fallen ohne Achtung bei Freund und Feind, ohne Bedauern bei Mitwelt
und Nachwelt, Aber deshalb ist jener Einwurf als unmöglich und undenkbar
gar nicht zu berücksichtigen."

Überblicken wir diese Ansichten und Vorschläge, so werden wir an das
Bonmot erinnert, das einst über Bunsen in London zirkulirte: „Die Gelehrten
halten ihn für einen Diplomaten, die Diplomaten für einen Gelehrten." Die
erste Hälfte des Satzes mag hier, so weit sie eine geringe Achtung vor Bunsens
wissenschaftlichen Leistungen ausdrückt, unerörtert bleiben, obwohl sich manches
zum Beweis dafür sagen ließe, daß diese Leistungen Dilettantenarbeit sind. Die
zweite Hälfte würde durch die Denkschrift gerechtfertigt werde», wenn es dessen
noch bedürfte. Es ist der Professor, wie er leibt und lebt, der hier meditirt
und dvzirt. Auch das Bewußtsein der Unfehlbarkeit spricht sich in dem Expose
deutlich ans.

Nach der mehrfach angeführten deutschen Ausgabe seiner Biographie (III,
S. 557) schreibt Bunsen 1859 an einen seiner Söhne: „Theodors Anstellung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/382>, abgerufen am 29.06.2024.