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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bunsens Freunde und die Wahrheit.

muß. Wer soll es nun erhalten? Der es behaupten kann. Also nicht die Pforte.
Auch nicht, der es zur Weltdiktatur ebenso gut mißbrauchen könnte wie Ru߬
land. Also anch nicht ein künftiges kräftiges byzantinisches Reich . . . Jene
Landstriche müssen also um Österreich kommen. Es liegt am Tage, das man
dieses vor allem durch Übernahme der Donaufürstentümer an die Verteidigung
der Donau und Europas fesseln muß, gegen billige Entschädigung der Pforte...
und gegen Abtretung der Lombardei bis zum Mincio"...

Gewiß viel Enthusiasmus und Phantasie, doch hören wir weiter.

"Aber im Hintergrunde steht" -- so heißt es in der Bunsenschen Denk¬
schrift, wie sie die Widerlegung in der "Deutschen Revue" mitteilt -- "als politische
Möglichkeit die Sünde des achtzehnten, die Pestbeule des neunzehnten Jahr¬
hunderts -- Polen. Ist es möglich, Polen wiederherzustellen, so muß es in
einem so erhabenen Augenblicke der Weltgeschichte geschehen, nicht den Polen zu
Liebe, sondern trotz ihrer Fehler. Aber wahrlich auch nicht zu Gunsten einer
Sekundvgenitur oder Tertiogenitur des Hauses Romcmoff, sondern als Grenz¬
hüter gegen Moskau. Österreich kann Galizien hergeben, und im Notfalle muß
Preußen auch die polnische östliche Hälfte des Großherzogtums zum Opfer bringen.
Aber Preußen muß nie die polnische/Königskrone für sich erstreben oder much
nur für einen Prinzen seines Hauses annehmen. Preußen muß verstärkt werden,
das suhlen alle englischen Staatsmänner. Es ist 1816 schlecht behandelt worden,
zu seinem, Deutschlands und Europas Schaden. Aber es muß und wird sich
nie entschädigen lassen ans Deutschlands Kosten. Es verstärkt sich, weil Deutsch¬
land, wenn es dazu mitwirkt, daß das sächsische Königshaus wieder nach Polen
gesetzt und der durch Unrecht und Gewalt verdrängten ernestinischen Linie szu
der auch die Coburger gehören^ der Platz wiedergegeben werde. Aber aller¬
dings, wenn es für die Freiheit Europas mutig und rechtzeitig in die Schranken
tritt, darf und wird Preußen nicht gegen Österreich zurückgesetzt werden. Europa
kaun nicht wünschen, daß das Haus Lothringen noch mächtiger werde als das
Haus Habsburg. Europa kann ebenso wenig es rätlich sinden, daß Preußen
hinfüro ohne alle Grenzen sei gegen Nußland oder Polen, eben wie gegen Österreich.
Starke, der Verteidigung fähige Grenzen kann es nur erhalten durch Abtretung
Oberschlesiens ^Österreich-Schlesien ist gemeintj und Mährens. Jetzt ist der
Augenblick, so zu handeln, daß, wenn der Kampf die volle Ausdehnung erhält,
deren Keime in ihm liegen, es seine gerechten Ansprüche erheben und durch¬
setzen kann.

Man wird doch nicht sagen, daß eine solche Vergrößerung gegen den oben
aufgestellten Grundsatz Streite, Preußen dürfe sich nicht auf Kosten Deutschlands
vergrößern. Böhmen, Mähren und Schlesien gehörten immer nur im uneigent-
lichen Sinne zu Deutschland. Seitdem aber der österreichische Gesammtstaat
die Grundlage des Hauses Lothringen geworden ist, muß man, um der Wahr¬
heit der Dinge treu zu bleiben, die alten Redensarten, welche eine verderbliche


Bunsens Freunde und die Wahrheit.

muß. Wer soll es nun erhalten? Der es behaupten kann. Also nicht die Pforte.
Auch nicht, der es zur Weltdiktatur ebenso gut mißbrauchen könnte wie Ru߬
land. Also anch nicht ein künftiges kräftiges byzantinisches Reich . . . Jene
Landstriche müssen also um Österreich kommen. Es liegt am Tage, das man
dieses vor allem durch Übernahme der Donaufürstentümer an die Verteidigung
der Donau und Europas fesseln muß, gegen billige Entschädigung der Pforte...
und gegen Abtretung der Lombardei bis zum Mincio"...

Gewiß viel Enthusiasmus und Phantasie, doch hören wir weiter.

„Aber im Hintergrunde steht" — so heißt es in der Bunsenschen Denk¬
schrift, wie sie die Widerlegung in der „Deutschen Revue" mitteilt — „als politische
Möglichkeit die Sünde des achtzehnten, die Pestbeule des neunzehnten Jahr¬
hunderts — Polen. Ist es möglich, Polen wiederherzustellen, so muß es in
einem so erhabenen Augenblicke der Weltgeschichte geschehen, nicht den Polen zu
Liebe, sondern trotz ihrer Fehler. Aber wahrlich auch nicht zu Gunsten einer
Sekundvgenitur oder Tertiogenitur des Hauses Romcmoff, sondern als Grenz¬
hüter gegen Moskau. Österreich kann Galizien hergeben, und im Notfalle muß
Preußen auch die polnische östliche Hälfte des Großherzogtums zum Opfer bringen.
Aber Preußen muß nie die polnische/Königskrone für sich erstreben oder much
nur für einen Prinzen seines Hauses annehmen. Preußen muß verstärkt werden,
das suhlen alle englischen Staatsmänner. Es ist 1816 schlecht behandelt worden,
zu seinem, Deutschlands und Europas Schaden. Aber es muß und wird sich
nie entschädigen lassen ans Deutschlands Kosten. Es verstärkt sich, weil Deutsch¬
land, wenn es dazu mitwirkt, daß das sächsische Königshaus wieder nach Polen
gesetzt und der durch Unrecht und Gewalt verdrängten ernestinischen Linie szu
der auch die Coburger gehören^ der Platz wiedergegeben werde. Aber aller¬
dings, wenn es für die Freiheit Europas mutig und rechtzeitig in die Schranken
tritt, darf und wird Preußen nicht gegen Österreich zurückgesetzt werden. Europa
kaun nicht wünschen, daß das Haus Lothringen noch mächtiger werde als das
Haus Habsburg. Europa kann ebenso wenig es rätlich sinden, daß Preußen
hinfüro ohne alle Grenzen sei gegen Nußland oder Polen, eben wie gegen Österreich.
Starke, der Verteidigung fähige Grenzen kann es nur erhalten durch Abtretung
Oberschlesiens ^Österreich-Schlesien ist gemeintj und Mährens. Jetzt ist der
Augenblick, so zu handeln, daß, wenn der Kampf die volle Ausdehnung erhält,
deren Keime in ihm liegen, es seine gerechten Ansprüche erheben und durch¬
setzen kann.

Man wird doch nicht sagen, daß eine solche Vergrößerung gegen den oben
aufgestellten Grundsatz Streite, Preußen dürfe sich nicht auf Kosten Deutschlands
vergrößern. Böhmen, Mähren und Schlesien gehörten immer nur im uneigent-
lichen Sinne zu Deutschland. Seitdem aber der österreichische Gesammtstaat
die Grundlage des Hauses Lothringen geworden ist, muß man, um der Wahr¬
heit der Dinge treu zu bleiben, die alten Redensarten, welche eine verderbliche


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[0381] Bunsens Freunde und die Wahrheit. muß. Wer soll es nun erhalten? Der es behaupten kann. Also nicht die Pforte. Auch nicht, der es zur Weltdiktatur ebenso gut mißbrauchen könnte wie Ru߬ land. Also anch nicht ein künftiges kräftiges byzantinisches Reich . . . Jene Landstriche müssen also um Österreich kommen. Es liegt am Tage, das man dieses vor allem durch Übernahme der Donaufürstentümer an die Verteidigung der Donau und Europas fesseln muß, gegen billige Entschädigung der Pforte... und gegen Abtretung der Lombardei bis zum Mincio"... Gewiß viel Enthusiasmus und Phantasie, doch hören wir weiter. „Aber im Hintergrunde steht" — so heißt es in der Bunsenschen Denk¬ schrift, wie sie die Widerlegung in der „Deutschen Revue" mitteilt — „als politische Möglichkeit die Sünde des achtzehnten, die Pestbeule des neunzehnten Jahr¬ hunderts — Polen. Ist es möglich, Polen wiederherzustellen, so muß es in einem so erhabenen Augenblicke der Weltgeschichte geschehen, nicht den Polen zu Liebe, sondern trotz ihrer Fehler. Aber wahrlich auch nicht zu Gunsten einer Sekundvgenitur oder Tertiogenitur des Hauses Romcmoff, sondern als Grenz¬ hüter gegen Moskau. Österreich kann Galizien hergeben, und im Notfalle muß Preußen auch die polnische östliche Hälfte des Großherzogtums zum Opfer bringen. Aber Preußen muß nie die polnische/Königskrone für sich erstreben oder much nur für einen Prinzen seines Hauses annehmen. Preußen muß verstärkt werden, das suhlen alle englischen Staatsmänner. Es ist 1816 schlecht behandelt worden, zu seinem, Deutschlands und Europas Schaden. Aber es muß und wird sich nie entschädigen lassen ans Deutschlands Kosten. Es verstärkt sich, weil Deutsch¬ land, wenn es dazu mitwirkt, daß das sächsische Königshaus wieder nach Polen gesetzt und der durch Unrecht und Gewalt verdrängten ernestinischen Linie szu der auch die Coburger gehören^ der Platz wiedergegeben werde. Aber aller¬ dings, wenn es für die Freiheit Europas mutig und rechtzeitig in die Schranken tritt, darf und wird Preußen nicht gegen Österreich zurückgesetzt werden. Europa kaun nicht wünschen, daß das Haus Lothringen noch mächtiger werde als das Haus Habsburg. Europa kann ebenso wenig es rätlich sinden, daß Preußen hinfüro ohne alle Grenzen sei gegen Nußland oder Polen, eben wie gegen Österreich. Starke, der Verteidigung fähige Grenzen kann es nur erhalten durch Abtretung Oberschlesiens ^Österreich-Schlesien ist gemeintj und Mährens. Jetzt ist der Augenblick, so zu handeln, daß, wenn der Kampf die volle Ausdehnung erhält, deren Keime in ihm liegen, es seine gerechten Ansprüche erheben und durch¬ setzen kann. Man wird doch nicht sagen, daß eine solche Vergrößerung gegen den oben aufgestellten Grundsatz Streite, Preußen dürfe sich nicht auf Kosten Deutschlands vergrößern. Böhmen, Mähren und Schlesien gehörten immer nur im uneigent- lichen Sinne zu Deutschland. Seitdem aber der österreichische Gesammtstaat die Grundlage des Hauses Lothringen geworden ist, muß man, um der Wahr¬ heit der Dinge treu zu bleiben, die alten Redensarten, welche eine verderbliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/381>, abgerufen am 29.06.2024.