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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bunsens Freunde und die Wahrheit.

eines wahren Bundesstaates ist die Aufgabe Preußens; für dieses Werk muß
ihm vollkommen freie Hand gelassen und volle Zustimmung vvrausgegebeu werde","
so war er dazu in keiner Weise ermächtigt. Clarendvn versprach, die Eröff¬
nungen des Grafen Pourtalös dem Ministerrate vorzulegen, eine weitere Äuße¬
rung englischerseits ist aber in der Sache nicht erfolgt, und ebensowenig hat
Preußen später sich zu irgend etwas erboten oder irgend etwas zugesagt, sodaß
Prinz Albert irrt, wenn er von "Versprechungen" desselben und von einer spä¬
teren "Frvntverändernng in Berlin" redet.

Nachdem am 4. Januar 1864 die Flotten der Westmächte ins Schwarze
Meer eingelaufen waren, womit England und Frankreich den Boden des Wiener
Protokolls verlassen hatten, und nachdem der Sultan seine Friedensbedingungen
kundgegeben, die Wiener Konferenz dieselben in Petersburg zur Annahme empfohlen
und der Zar sie abgelehnt hatte, versuchten die Westmächte Preußen und Österreich zur
Beteiligung an eiuer Sommativn zu bewegen, in welcher Rußland unter Androhung
einer Kriegserklärung zur Räumung der Moldau und Wnllachei und zur An¬
nahme einer von Frankreich vorgeschlagenen Konvention aufgefordert werden
sollte, in der die vier Mächte sich verpflichteten, Mittel zu jener Räumung und
zur Sicherung der Rechte der Rajah, sowie der Integrität der Türkei unter
sich festzusetzen. Während diese Vorschläge in Berlin erwogen wurden, ließ
Bunsen die in dem Briefe des Prinzen Albert erwähnte Denkschrift dorthin ab¬
gehen. Dieselbe ist vom ersten März datirt und findet sich in der oben (in
der Anmerkung) genannten Ausgabe der Biographie Bunsens (Theil III, S. 337
bis 343), aber nur zum Theil, und mau erfährt hier auch, daß der Ge¬
sandte sie mit einem Privatbriefe an den König begleitet hat, der mit den Worten
beginnt: "Gnädigster Herr! Sie haben mich auf den Wnchtthnrm und die Warte
der Welt gestellt, und ich bin nirgends so sicher zu gebrauchen, als in dem Amte
eines Seemanns im Mastkorbe," und in dem es gegen den Schluß hin heißt:
"Ew. Majestät können durch Anschließen an die Mächte noch jetzt alles retten,
sicherer erreichen und alles feststellen, was Sie wünschen."

Es wäre vielleicht -- zwar nicht für Bunsen, wohl aber für die geschicht¬
liche Wahrheit -- besser gewesen, wenn die Herausgeber der Biographie statt
dieses Briefes die Denkschrift unverstümmelt mitgeteilt hätten, falls sie sich be¬
rechtigt fühlten, ein amtliches Schriftstück überhaupt zu veröffentlichen. Indeß
was dort unterlassen worden, hat der Verfasser der Widerlegung des prinzlichen
Schreibens an Stockmar gut gemacht. Schon die Denkschrift der Biographie
enthält zum Teil sehr seltsame Behauptungen. Der Plan der Westmächte "geht
dahin, Rußland auf seine natürlichem Grenzen zu beschränken." Sie werden den
Schweden die Alandsinselu und Finnland wieder verschaffen. "Konstantinopel
ist so wenig in christlichen als in türkischen Händen sicher, so lange Rußland
das Schwarze Meer beherrscht. Daraus folgt unabweisbar, daß man Rußland
nicht allein die Krim, sondern anch Bessarabien, Cherson und Taurien entreißen


Bunsens Freunde und die Wahrheit.

eines wahren Bundesstaates ist die Aufgabe Preußens; für dieses Werk muß
ihm vollkommen freie Hand gelassen und volle Zustimmung vvrausgegebeu werde»,"
so war er dazu in keiner Weise ermächtigt. Clarendvn versprach, die Eröff¬
nungen des Grafen Pourtalös dem Ministerrate vorzulegen, eine weitere Äuße¬
rung englischerseits ist aber in der Sache nicht erfolgt, und ebensowenig hat
Preußen später sich zu irgend etwas erboten oder irgend etwas zugesagt, sodaß
Prinz Albert irrt, wenn er von „Versprechungen" desselben und von einer spä¬
teren „Frvntverändernng in Berlin" redet.

Nachdem am 4. Januar 1864 die Flotten der Westmächte ins Schwarze
Meer eingelaufen waren, womit England und Frankreich den Boden des Wiener
Protokolls verlassen hatten, und nachdem der Sultan seine Friedensbedingungen
kundgegeben, die Wiener Konferenz dieselben in Petersburg zur Annahme empfohlen
und der Zar sie abgelehnt hatte, versuchten die Westmächte Preußen und Österreich zur
Beteiligung an eiuer Sommativn zu bewegen, in welcher Rußland unter Androhung
einer Kriegserklärung zur Räumung der Moldau und Wnllachei und zur An¬
nahme einer von Frankreich vorgeschlagenen Konvention aufgefordert werden
sollte, in der die vier Mächte sich verpflichteten, Mittel zu jener Räumung und
zur Sicherung der Rechte der Rajah, sowie der Integrität der Türkei unter
sich festzusetzen. Während diese Vorschläge in Berlin erwogen wurden, ließ
Bunsen die in dem Briefe des Prinzen Albert erwähnte Denkschrift dorthin ab¬
gehen. Dieselbe ist vom ersten März datirt und findet sich in der oben (in
der Anmerkung) genannten Ausgabe der Biographie Bunsens (Theil III, S. 337
bis 343), aber nur zum Theil, und mau erfährt hier auch, daß der Ge¬
sandte sie mit einem Privatbriefe an den König begleitet hat, der mit den Worten
beginnt: „Gnädigster Herr! Sie haben mich auf den Wnchtthnrm und die Warte
der Welt gestellt, und ich bin nirgends so sicher zu gebrauchen, als in dem Amte
eines Seemanns im Mastkorbe," und in dem es gegen den Schluß hin heißt:
„Ew. Majestät können durch Anschließen an die Mächte noch jetzt alles retten,
sicherer erreichen und alles feststellen, was Sie wünschen."

Es wäre vielleicht — zwar nicht für Bunsen, wohl aber für die geschicht¬
liche Wahrheit — besser gewesen, wenn die Herausgeber der Biographie statt
dieses Briefes die Denkschrift unverstümmelt mitgeteilt hätten, falls sie sich be¬
rechtigt fühlten, ein amtliches Schriftstück überhaupt zu veröffentlichen. Indeß
was dort unterlassen worden, hat der Verfasser der Widerlegung des prinzlichen
Schreibens an Stockmar gut gemacht. Schon die Denkschrift der Biographie
enthält zum Teil sehr seltsame Behauptungen. Der Plan der Westmächte „geht
dahin, Rußland auf seine natürlichem Grenzen zu beschränken." Sie werden den
Schweden die Alandsinselu und Finnland wieder verschaffen. „Konstantinopel
ist so wenig in christlichen als in türkischen Händen sicher, so lange Rußland
das Schwarze Meer beherrscht. Daraus folgt unabweisbar, daß man Rußland
nicht allein die Krim, sondern anch Bessarabien, Cherson und Taurien entreißen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/380>, abgerufen am 29.06.2024.