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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bunsens Freunde und die Mahrheit.

über einen andern Notencntwurf, der nach Petersburg zur Erklärung, ob man
damit zufrieden sei, und nach Konstantinopel mit der dringenden Aufforderung
gesandt wurde, ihn als unbedenklich zu unterzeichnen. Diese Note wurde i"
Petersburg angenommen, in Konstantinopel dagegen abgelehnt, und aus einem
am 3. März 1854 veröffentlichten Memorandum des Grafen Nesselrode, dessen
wichtigste Stelle der Verfasser der Widerlegung mitteilt, ergiebt sich deutlich,
daß der Kaiser Napoleon sich noch im Sommer des Vorjahres aus der Ver¬
wicklung, die er durch Eintreten für die Ansprüche des römischen Klerus im
Orient hatte herbeiführen helfen, hernnszuwinden versucht hatte, daß er nichts
weniger als zuverlässig war, und daß der König von Preußen sehr klug daran
that, der französische" Politik und der sich mit derselben immer enger verbindenden
englischen Regierung nicht zu trauen.

Als die Pforte am 4. Oktober 18S3 Rußland den Krieg erklärt und die
Wiener Konferenz am 5. Dezember ein Protokoll unterzeichnet hatte, in welchem
die vier Mächte die Absicht aussprachen, den kriegführenden Parteien ihre guten
Dienste anzubieten, wünschte man in Berlin sich durch persönliche Rücksprache
mit Bunsen über die Verhältnisse in London zu uuterichten und ihn mit An¬
weisung zu Versehen. Aufgefordert, zu diesem Zwecke nach Berlin zu kommen,
lehnte er ans Gesundheitsrücksichten ab, und so wurde Albert Pvurtalvs unes
London gesandt, um das Terrain zu recognosciren. Er nahm eine schriftliche
Instruktion für seine Unterhaltungen mit den englischen Minister mit, Von denen
er in den letzten Tagen des Jahres in Gegenwart Bunsens, der jene Instruktion
kannte, Aberdeen und Clareudvn, dann Palmerston allein sprach, Nach^ der
amtlichen Aufzeichnung dieser Gespräche erklärte er dabei, das Minimum dessen,
wozu Preußen sich verstehen könne, sei strenge, nötigenfalls mit den Waffen auf¬
recht zu erhaltende Neutralität, das Maximum aktive Mitwirkung unter der
Voraussetzung, daß Preußen die Unverletzlichkeit des gestimmten deutschen Ge¬
bietes mit Ausnahme der östcrreischen Landesteile und Nichteinmischung in das,
was der König in Deutschland sür nötig finden würde, garantirt werde. "Das
letztere definirte Pourtalös bestimmt und ausschließlich als Herstellung einer
nuits nülitaiiö; dieselbe sei nötig, damit Preußen mit vollem Gewicht eintreten
könne und Österreich verhindert werde, die Kraft Deutschlands zu paralysiren.
Allen Ministerii stellt er jede Absicht einer Gebictsvergrößeruug Preußens nach
irgendwelcher Seite hin entschieden in Abrede." Von vollkommen freier Hand
für Preußen Deutschland gegenüber war nach dem amtlichen Berichte mit keinem
Worte die Rede, und wenn Bunsen nach der von seiner Wittwe herausgegebenen
Schrift über sein Leben*) wirklich zu Clarendon gesagt hat: "Die Anbahnung



") Christinn Karl Josias Freiherr v. Bunsen. Deutsche Ausgabe. 111, S. 320. Der
ganze in unsern Zusammenhang gehörige Abschnitt des Buches ist eine Fabelei, die wider
besseres Wissen geschrieben ist.
Bunsens Freunde und die Mahrheit.

über einen andern Notencntwurf, der nach Petersburg zur Erklärung, ob man
damit zufrieden sei, und nach Konstantinopel mit der dringenden Aufforderung
gesandt wurde, ihn als unbedenklich zu unterzeichnen. Diese Note wurde i»
Petersburg angenommen, in Konstantinopel dagegen abgelehnt, und aus einem
am 3. März 1854 veröffentlichten Memorandum des Grafen Nesselrode, dessen
wichtigste Stelle der Verfasser der Widerlegung mitteilt, ergiebt sich deutlich,
daß der Kaiser Napoleon sich noch im Sommer des Vorjahres aus der Ver¬
wicklung, die er durch Eintreten für die Ansprüche des römischen Klerus im
Orient hatte herbeiführen helfen, hernnszuwinden versucht hatte, daß er nichts
weniger als zuverlässig war, und daß der König von Preußen sehr klug daran
that, der französische» Politik und der sich mit derselben immer enger verbindenden
englischen Regierung nicht zu trauen.

Als die Pforte am 4. Oktober 18S3 Rußland den Krieg erklärt und die
Wiener Konferenz am 5. Dezember ein Protokoll unterzeichnet hatte, in welchem
die vier Mächte die Absicht aussprachen, den kriegführenden Parteien ihre guten
Dienste anzubieten, wünschte man in Berlin sich durch persönliche Rücksprache
mit Bunsen über die Verhältnisse in London zu uuterichten und ihn mit An¬
weisung zu Versehen. Aufgefordert, zu diesem Zwecke nach Berlin zu kommen,
lehnte er ans Gesundheitsrücksichten ab, und so wurde Albert Pvurtalvs unes
London gesandt, um das Terrain zu recognosciren. Er nahm eine schriftliche
Instruktion für seine Unterhaltungen mit den englischen Minister mit, Von denen
er in den letzten Tagen des Jahres in Gegenwart Bunsens, der jene Instruktion
kannte, Aberdeen und Clareudvn, dann Palmerston allein sprach, Nach^ der
amtlichen Aufzeichnung dieser Gespräche erklärte er dabei, das Minimum dessen,
wozu Preußen sich verstehen könne, sei strenge, nötigenfalls mit den Waffen auf¬
recht zu erhaltende Neutralität, das Maximum aktive Mitwirkung unter der
Voraussetzung, daß Preußen die Unverletzlichkeit des gestimmten deutschen Ge¬
bietes mit Ausnahme der östcrreischen Landesteile und Nichteinmischung in das,
was der König in Deutschland sür nötig finden würde, garantirt werde. „Das
letztere definirte Pourtalös bestimmt und ausschließlich als Herstellung einer
nuits nülitaiiö; dieselbe sei nötig, damit Preußen mit vollem Gewicht eintreten
könne und Österreich verhindert werde, die Kraft Deutschlands zu paralysiren.
Allen Ministerii stellt er jede Absicht einer Gebictsvergrößeruug Preußens nach
irgendwelcher Seite hin entschieden in Abrede." Von vollkommen freier Hand
für Preußen Deutschland gegenüber war nach dem amtlichen Berichte mit keinem
Worte die Rede, und wenn Bunsen nach der von seiner Wittwe herausgegebenen
Schrift über sein Leben*) wirklich zu Clarendon gesagt hat: „Die Anbahnung



») Christinn Karl Josias Freiherr v. Bunsen. Deutsche Ausgabe. 111, S. 320. Der
ganze in unsern Zusammenhang gehörige Abschnitt des Buches ist eine Fabelei, die wider
besseres Wissen geschrieben ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/379>, abgerufen am 29.06.2024.